Donnerstag, 18. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Februar 2015

Im Februar drehte sich bei »lyrix« alles um das Thema 'Glaube'. Was ist Glaube und wie verändert er sich im Laufe der Zeit, aber auch im Laufe eines Lebens? Inspirieren lassen konntet ihr euch dazu von dem 'Sandmandala des Yamantaka' aus dem Linden-Museum Stuttgart und dem Gedicht 'Die Welten' von Tzveta Sofronieva.

02.03.2015
    Ein Mann verlässt den Innenraum einer Kirche.
    Ein Mann verlässt den Innenraum einer Kirche. ( Ingo Wagner / dpa / lni)
    Vielseitig waren eure Einsendungen, aber auch gekennzeichnet von wiederkehrenden Elementen. So thematisieren viele eurer Texte, dass der Glaube ein Sicherheitsgerüst sein kann für Dinge, die wir uns nicht erklären können: "Denn was wir nicht begreifen woll'n, das müssen wir wohl glauben", schreibt treffend eine Teilnehmerin. Glaube kann Sinn stiften, uns damit beruhigen und trösten. Dieses Sicherheitsstreben kann aber auch schnell zu einer Farce werden. Dann zum Beispiel, wenn wir als "Teilzeitchrist" meinen, mit einem jährlichen Kirchenbesuch und einer kleinen Spende im Klingelbeutel hätten wir sozusagen unser Soll erfüllt. Oder wenn wir zwar christliche Werte befürworten, aber nur solange sie uns nicht direkt betreffen – klar, Flüchtlingen soll geholfen werden, aber doch bitte nicht in meiner Straße, "diese fremden nächsten sind mir zu nah", heißt es in dem Text einer Teilnehmerin. Doch ihr steht dem Glauben nicht nur kritisch gegenüber. Losgelöst von dem Glauben an einen Gott macht ihr einen ganz anderen Glauben zum Thema eurer Texte: Den Glauben an euch selbst. "Ich glaube an MEINE Hoffnung", schreibt beispielweise eine Schülerin.
    Vielen dank für eure Einsendungen!
    Hier die Gewinner im Februar 2015:
    glaubensblut
    glaubensblut getränkte erde
    füllt tausende geschichtsbücher
    hätten sie doch ohne glaubenskämpfe
    magere seitenzahlen
    kreuzzüge
    christen gegen islam
    christen gegen christen
    schwarz gegen weiß
    wer missioniert wen?
    missioniern bis zum tod
    glaube predigt – liebe –
    – vertauen – vergebung –
    – verheißung –
    glaube in angst gebettet
    satansmacht – höllenfeuer
    glaube tötet
    – söhne – väter – liebe –
    glaube tötet glaube
    glaubensblut schreit nach
    vergeltung
    mütter nach dem ende
    Wandel
    glaubensblut – liebe – vereint
    glocken läuten von minaretten
    muezzine rufen von kanzeln
    unter dünnem eis
    schlummert vergebung
    blumen blühn im sommerwind
    Lara-Sophie Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Ich bin anders
    Ich glaubte, ich sei wie alle anderen
    Ich glaubte nicht, was ich fühlte
    Ich glaubte, es kann nicht sein
    Wer hat entschieden – Du bist anders?
    Du – bist krank!
    Gott? Eine Laune der Natur?
    Ich bin anders
    meine
    Hoffnung auf Quantensprünge in der Medizin
    oder
    soll ich glauben, dass Gott seine Meinung ändert?
    wenn es ihn gibt? Und, – MORGEN bin ich gesund.
    arbeitet die Zeit
    – für –
    oder
    – gegen –
    mich?
    Hoffen – Glauben
    innere Zerstörung
    Hoffen – Glauben?
    Ich bin anders
    meine Sonne scheint heißer
    gelbe Blumen blühen für mich rot
    Synapsen explodieren in meinem Kopf
    Bringt die Zeit mir einen Wandel?
    tausche
    Bett gegen Strand
    Medikamente gegen Eis
    Hoffnung gegen Wissen
    Angst gegen Freiheit
    Ich trage mein Hoffen in jeden neuen Tag
    Ich bin anders
    Ich glaube an MEINE Hoffnung
    auf ein gesundes MORGEN
    – wann – immer dieses MORGEN
    auch sein mag!
    Ich lebe auf den Flügeln meiner Zeit!
    Marie-Celestine Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Teilzeitchrist
    Das Himmelreich in unsren Händen,
    wie passt ein Gott in Menschenfaust?
    Es klingeln samtbestickte Beutel
    wie Engelschöre in der Nacht,
    ein jeder kauft das Seelenheil
    vom kreuz'behangnen Dealer ein,
    und spart nicht an Glückseligkeit
    wenn er die Taschen leert.
    Am Holzschrein der Barmherzigkeit
    da ist das Licht erloschen,
    der Ablassbrief der Ewigkeit,
    dem wir nicht widersteh'n,
    ein „Amen" macht uns göttlich,
    wie der Herr es uns befohlen,
    drum tanzen wir nun
    Hand in Hand
    im Licht des Weihnachtssterns.
    Denn was wir nicht begreifen woll'n,
    das müssen wir wohl glauben,
    und heben unsre Hände stumm
    im Weihrauchrausch empor.
    Julia Fourate, Jahrgang 1994
    bedeutung
    leeres nichts
    scheint von bedeutung
    ohne glauben
    ohne sinn
    ohne oberste idee
    Wohin?
    Woher?
    Warum?
    ins nichts
    aus nichts
    grundlos
    könnte wohl nur
    ein zyniker
    antworten
    so viel
    vernünftiger scheint
    ein großer Sinn
    in alldem, ein Sinn
    mindestens so groß wie
    er uns scheint
    doch gott bleibt tot
    nihilistisches
    nichts
    bleibt
    keine richtung
    mehr
    in die zu gehen
    richtig ist
    nichts
    falsch ist
    nichts
    bleibt
    leere
    es bleibt
    an eigene Ideen
    zu glauben Wert Normen Gebote
    zu erschaffen
    wo keine sind für sich selbst
    für eigene Ideen denen jeder
    Anspruch auf Allgemeingültigkeit
    fehlt
    auch zugesprochene bedeutung ist
    Bedeutung
    moralische Maßstäbe finden die nicht
    universell richtig
    sind
    die nicht ewig
    sind
    die nicht begründbar
    sind
    Maßstäbe Ideen Werte
    die wie
    ein Kunstwerk
    die wie
    ein Stück
    die wie
    ein Gedicht
    schön sind
    Christoph Smaczny, Jahrgang 1996
    Sie glaubt.
    sie glaubt
    an gott
    an große dinge, zu schwierig zu verstehen
    an gut und böse, um durch taten heller zu sehen
    an eine höhere macht, die überall augen hat und
    an wunder in der nacht
    in der zwischen ochse und esel
    besonderes geschah
    sie glaubt
    der letzte besuch bei ihren eltern
    ist schon zu lange her
    unterlassene taten schmerzen sehr
    oft nur unterschwellig
    viel zu tun
    die scheidung steht an sie sagt ihr mann
    verwandelt sich vom prinzen zum frosch
    aber er soll nicht glauben
    er bekäme das haus
    oder die kinder
    oder das bild von gott das eingerahmt
    sie ihm heimlich gestohlen hat und ihn ermahnt
    dass manche lücken nicht zu füllen sind
    sie glaubt
    an eine bessere welt
    geschaffen durch ihr rückgeld
    das sie in eine kleine büchse an der kasse steckt
    den flüchtlingen soll es schließlich besser gehen
    doch sie kann nicht verstehen
    warum die nächste notunterkunft
    in ihrer straße gebaut wird
    liebe erfüllte schon stets ihr herz
    und doch denkt sie täglich voller schmerz
    "diese fremden nächsten sind mir zu nah"
    sie glaubt
    an wahrheit und gesteht ihre sünden
    doch verschweigt sie jene die aus diversen gründen
    zu heikel für den beichtstuhl sind
    sie glaubt
    an ihren glauben
    und schüttelt den kopf über atheisten schließlich
    geht sie jeden sonntag in die kirche denn
    sie ist fromm
    sie ist gut
    sie glaubt
    so sei es.
    Jing Wu, Jahrgang 1995