Freitag, 29. März 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Januar 2016

Im Januar habt ihr euch treiben lassen, hattet Zeit für Gedanken jeglicher Art, die euch in den Kopf gekommen sind und die ihr ungefiltert und unzensiert aufgeschrieben habt. Oder ihr wolltet sie aufschreiben, habt euch extra Zeit genommen und dann hat euch die Muse doch nicht geküsst – und ihr habt wunderbar genau das zum Thema gemacht. Inspirationen zum Thema "Kram-Gedanken" gab es von Elke Erbs Gedicht "Idyll" und dem Seitenruder eines Luftschiffes aus dem Potsdam Museum.

31.01.2016
    Mittagspause auf einem Baum im Wald.
    Mittagspause auf einem Baum im Wald. (Damien Meyer / AFP)
    Wie viel Zeit bleibt dir zwischen Aufgaben und Pflichten des Alltags noch, um dir Zeit zu nehmen, nichts zu tun, dir eine Auszeit zu gönnen und deine Gedanken frei umher schweben zu lassen? Manche Menschen finden nichts an diesen "Kram-Gedanken", in denen alles durcheinander ist, wo durchaus auch wirres Zeug dabei ist. Aber durch dieses ganz freie, unbestimmte Denken kommen einem manchmal die besten Ideen, die genialsten Lösungen, die schönsten Sätze in den Kopf.
    Sich aber bewusst Zeit für Muße zu nehmen, ist schwierig, denn der Alltag stört und beeinflusst. Und daher ist es auch kaum möglich, rigoros den Stecker zu ziehen und zack – wirst du kreativ. Oft sind wir noch zu sehr fixiert auf ausschließlich geordnete und hilfreiche Gedanken, sodass wir erste Ansätze von "Kram-Gedanken" sofort hinterfragen und negativ als "Blödsinn" und mit "klingt das dumm" bewerten.
    Die Einfälle, die in den Kopf kommen sind flüchtig, aber durchaus wichtig. Und vielleicht tiefgründiger als vorerst vermutet, denn es sind persönliche Gedanken. Sie können Wahrheiten aufzeigen, durch die du unzensiert ehrlich zu dir selber wirst. Du fokussierst dich mehr auf ganz simple, grundlegende Dinge im Leben, die so sehr als selbstverständlich gelten, dass du sie neu entdecken musst, um sie zu schätzen und so "setzt[… du dich]/ in den schnee / und [siehst] der zarten pflanze / beim wachsen [… und] den sternen beim verglühen zu". Mit Geduld und Liebe zum Detail kannst du den "platz der entdeckung der langsamkeit" finden, "staubpulver glitzern sehen und staubkörner knistern hören und staubflockenschnee begreifen".
    Wir gratulieren den Gewinnern im Januar und danken euch allen für eure Einsendungen!
    Die Monatsgewinner im Januar 2016:
    o . T.
    Krame in Erinnerungen
    wie in einem alten Koffer
    ich war immer ehrlich zu dir
    sogar als ich mich selbst belog
    denke Gedanken
    wie andere an Wände malen
    aus Langeweile und
    zum Zeitvertreib
    dies und das und jenes
    hier und dort und tralala
    ich habe dich niemals geliebt
    entweder man kann die Welt in
    2 Worte zusammenfassen oder
    gar nicht
    Patricia Machmutoff, Jahrgang 1996
    barfuß
    der erste schnee
    und die nacht wurd kalt
    da begab ich mich
    zu einem stein
    er lag
    allein
    im weißen kleid
    im weißen schaum
    und dachte sich nichts dabei
    ich legte auf ihn nieder
    ein korn
    nein
    zwei
    zum wärmen im gefrorenen nass
    und ich wässerte sie
    mit einem schlückchen
    zwei
    drei
    und es wurd hell
    und wieder dunkel
    und ich begab mich zu meinem kleinen garten
    und sah einen spross
    den stein zerstoßen
    so setzte ich mich
    in den schnee
    und sah der zarten pflanze
    beim wachsen zu
    der baum
    wurd größer
    und größer
    und verschluckte den stein
    aus dem er einst gewachsen
    und als seine krone
    die wolken durchbrach
    kletterte ich hinauf
    und ließ mich im weichen laub nieder
    meine nackten füße
    baumelten
    in der luft
    ich grüßte den mond
    und sah den sternen beim verglühen zu
    Luna Martens, Jahrgang 2000
    zer-
    streuung
    staubpulver glitzern sehen
    zu anderer zeit womöglich, jetzt
    ist nur schmutz auf dem bildschirm
    brummender computer, schweigendes ich
    fahles licht gähnt aus meiner schreibtischlampe
    augen starren aus dem schwarzen bildschirmschoner
    wässrig suchen sie tränenlos in ellipsen kreisend gar nichts
    ich will moleküle befragen die in ihrer summe meine gefühle ergeben
    salzige wortwellen fließend das leere dokument hinter dem vorhang füllen lassen
    wieder staubpulver glitzern sehen und staubkörner knistern hören und staubflockenschnee begreifen
    Aaron Schmidt-Riese, Jahrgang 1995
    platz der entdeckung der langsamkeit
    flüstert er weil er
    retriever
    fürchtet und selber einer
    ist
    vom chinesischen horoskop
    nonexistent fast
    ist
    innenleben faultiers
    nach freuds definition
    wie symbiotische fellalgen
    im fell im mikroskop
    wenn schizophrene träumen
    sie
    normal oder
    sehen exstatisch
    in eine
    art
    kaleidoskop
    veilchen sind
    schön doch wenn du sie auf
    sexuelle art liebst
    (schaust bei
    stiefmütterchen
    zuerst auf arsch oder titten? ich arsch)
    hasst man
    dicht
    wieder bruder d(u) + ich(t)
    (erklärung: buchstabenspiel)
    integration wie hartz4nazi oder aids milf auf crack
    integration hat versagt
    darf man das formulieren
    überhaupt
    so
    (tv total - chris tall nacht)
    kaminer zwar gegenbeispiel
    dieser hälftemann vor mir im
    spiegel jedoch
    fürbeispiel genug

    inkohärente
    kramgedanken wie
    teppichwanzen saugen
    mich in ein
    (mit 5
    war ich mir sicher)
    nimmerendliches
    giftmeer nahe
    kerguelen
    max demian
    an lachgas erstickend
    konditionierte mich
    sie treiben
    zu lassen
    als wärens
    tüten aus plastik
    im dreieck bermuda
    Vladimir Shadrin, Jahrgang 1996
    C’est la vie
    [Stille drückt wie ein schweres Tuch]
    Blödsinn. Ritsch.
    Der erste Zettel fliegt.
    [Schneewittchenpapier
    unschuldig und unberührt.]
    Klingt das dumm. Ritsch.
    Der zweite Zettel fliegt.
    [Drei Schritte la]
    Verschrieben. Ritsch.
    Der dritte Zettel fliegt.
    Nervöses Fingerklopfen.
    Haare raufen.
    Augen rollen.
    Stöhnen.
    Linke Tür, oberstes Regal
    Mmhh...gar nicht schlecht.
    Klopf! Klopf!
    Ritsch.
    Das war der Geduldsfaden.
    WANTED!
    Mein Gedanken von vor zwei Sekunden
    Wenn´s weg ist, war´s nicht wichtig, sagt sie.
    Na, schön wär´s.
    Poeten würden sagen:
    sie hat...
    gefeilt wie Mädchen ihre Fingernägel
    investiert wie ein Spekulant
    geschwitzt wie ein Sportler
    gearbeitet wie ein Wissenschaftler
    und jetzt?
    Klopf! Klopf!
    Verdammt nochmal!
    Trampelt den gerade die ganze Welt
    durch mein Zimmer
    während ich versuche
    mich zu erinnern
    einen klaren Gedanken zu fassen.
    Kommst du zum Essen?
    Das wird dann heute nix,
    mit dem hochpoetischen Gedicht.
    Rebekka Stahlhut, Jahrgang 1999