Enzensberger zählt in seinem Gedicht in ironisch-distanziertem Ton leichte bis schwere Verfehlungen auf. Ihr habt in euren Texten von persönlichen Verfehlungen geschrieben, aber auch in Frage gestellt, ob wirklich alle von der Gesellschaft verurteilten Verhaltensweisen tatsächlich Verfehlungen sind. Oft ging es in euren Gedichten um den Gewissenskonflikt, in den man gerät, wenn man äußere Erwartungen nicht erfüllt.
Hier folgen nun wie immer die lyrix-Monatsgedichte und die Namen der Gewinnerinnen und Gewinner aus dem In- und Ausland.
Vielen Dank für eure Einsendungen und herzlichen Glückwunsch!
Die Steinigung
gezwungen durch die Menschengasse laufen
in ihren schweren Blicken fast ersaufen
jeder ist erschienen
wollen einen armen Sünder strafen
Steine scharf geschliffen
auf den Rossen sitzen reiche Grafen
neben ihnen Schergen, Steine in den Händen
alle werden heute Eines Lebens enden
alle warten um zu werfen
werd verachtet von den ganzen Leuten
wie sie warten mich zu töten
seh die Steine die mein Ende deuten
mit meiner Liebsten habe ich geschlafen
und jetzt nun wollen sie mich dafür strafen
Steine in den Händen fingen mich genau vor zwei der Wochen
wollen mich nun richten
tief in mir beginnt mein Herz zu pochen
wissend, seh die meine Liebste niemals wieder
eine Ehefrau die singt mir Liebeslieder
alle warten um zu werfen
werd verachtet von den ganzen Leuten
wie sie warten mich zu töten
seh die Steine die mein Ende deuten
ich weiß genau ich werde sterben nun
und schall ein aller letztes Mal:
Ich weiß ich würd es wieder tun!
und doch ich weiß ich würd es wieder tun!
(Martin Piekar aus Bad Soden, Deutschland, Friedrich-Dessauer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch/ polnisch)
Mustermensch
immer gelächelt
fröhlich getan.
immer gelernt
fleißig getan.
immer gehorcht
vernünftig getan.
immer gesprungen
höflich getan.
immer getan
immer gemacht
immer vorgetäuscht
immer das
Idealbild gewesen.
immer nur geträumt
vom Ameisen zertreten
vom Steine werfen
vom Schule schwänzen
vom Stress mit Eltern
vom dreckigen Lachen
von Zigarettenqualm
von Entnüchterungszellen
von Drogen
von Sex
vom abschreckenden Beispiel
vom "dagegen sein"
nur geträumt
nicht das Gefühl zu haben nur so dahin zu leben.
nur geträumt
die Hülle "Mustermensch" irgendwann abzustreifen und zu vergessen.
nur geträumt
sich selbst je verzeihen zu können.
(Johanna Fugmann aus Memmelsdorf, Deutschland, Dientzenhofer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 7, Muttersprache: deutsch)
Sühne
Ein alter Mann mit langem, wirrem Barthaar und mit kleinen,
Getrübten Augen im vergilbten, windgegerbten Angesicht
Sitzt unentwegt im Stadtpark in zerschlissnem Hemd und sucht das Licht.
Er schichtet kleine Türme aus im Gras gefund’nen Steinen,
Und wenn ihn einer fragt "warum?" Er möge doch erzählen,
Da sagt er: "Herr, an mir klebt Schuld, der Kummer mancher Seelen.
Mein größter Wunsch ist es, mich mit dem Himmel zu vereinen.
So bau’ ich die Türme als Leiter zu Sühne und Frieden,
Bis jetzt hat mir Gott jedoch keine Erfüllung beschieden.
Erst wenn ein Turm zur Sonne ragt, ist er mit mir im Reinen."
Und sagt der Parkbesucher dann Mit Mitleid in den Blicken:
"Solang man’s auch versuchen kann Es wird doch niemals glücken."
Gibt er zur Antwort: "Wenn die Mühen auch vergeblich scheinen,
Wenngleich der Wind sie niederwirft und sie zu Boden streben,
So hoffe ich doch fest darauf, denn Hoffnung ist mein Leben."
(Kai Gutacker aus Niddatal, Deutschland, Sankt-Lioba-Schule, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)
Betrug oder Non, je ne regrette rien
Der Sommer sang aus dem Radio,
da lächelte sie zu mir,
so süß wie noch keine lächelte,
am Badestrand saßen wir.
Bei Nacht krochen wir in die Zelte hinein,
ich sah ihr Lächeln nicht mehr,
doch sehnte mich dieses Lächeln zu spürn;
der Sommer kam schwül zu uns her.
Und als wir dann Arm in Arm versanken
kamen die ersten treuen Gedanken:
"Zu Hause, da wartet doch wer!"
Der Sommer hat schnell mein Gewissen verbrannt,
ich fühle an mir ihre zärtliche Hand
und spüre ihr Lächeln an mir.
(Oliver Riedmüller aus Fürth, Deutschland, Heinrich-Schliemann-Gymnasium, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)
Schuldig
Schwarz färbt meine Haut
wenn ich sie berühre
Fingerabdrücke an weißen Tapeten
treten
in ein Gesicht, das ich durch
Modenschauen führe
Hinter der Sonnenbrille:
meine Augen-
losen-
höhlen grölen:
betrogen
verlogen
verloren
verlassen
verblassend im Beichtstuhl sitzend
schlage ich mir den Kopf an
der Realität
(Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: griechisch und deutsch)
Verfehlungen
Verfehlt,
Den Elfmeter verfehlt,
verloren, verfehlt.
Die Liebe verfehlt,
für immer, verfehlt.
Es scheint so als ob ich den Zug meines Lebens verfehlt habe,
fünf Minuten zu spät, verfehlt.
Und ich sag mir immer wieder, das war das letzte mal,
doch es passiert wieder, verloren, für immer zu spät, verfehlt.
Wie lange geht`s so weiter?
Es scheint nicht lange, ich sehe das Licht am Ende des Tunnels.
...nur eine Enttäuschung, denn wieder sagt eine Stimme: Verfehlt!
Nein, hier bin ich richtig!
Hier lerne ich aus meinen Fehlern, hier kann ich nur gewinnen.
Und die Stimme schwindet...schwindet...für immer...
(Haris Poturkovic aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrgang 10, Muttersprache: bosnisch)
Wörter
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe.
Sie sind in die Zeilen meiner Seele eingeschrieben.
Sie sind
meine graue Ewigkeit.
Sie sterben
auf meinen heißen Lippen.
Dieses Zimmer ist für mich zu kalt.
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe.
Sie sind in die Zeilen meiner Seele eingeschrieben.
Sie vergehen
in der drückenden Zeit.
Sie sind
die Wände in meinem Zimmer
Und dieses Zimmer ist für mich zu kalt.
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe…
(Valentyna Bilokrynytska aus Tscherkassy, Ukraine, Cherkaska Himnazija Nr. 31, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: ukrainisch)
Eigentlich
Erst denken, dann handeln
Und dann das dumme Gefühl im Bauch
Wie fühlt sich denn das ja an, das Blöde
Zuerst kriegt man steife Beine
Oder – besser gesagt
Unsere Verfehlungen gehen in die Füße
Um wegzulaufen
Das Rauchen
Die Disco
War nicht so schlimm
Die Religion passt
Ist eigentlich toll
Es ist ja so vieles Unklar
Im unserem polnischen Geschichtsbuch
Aber wenn wir dann sehen das Ganze
Nicht das was wir wollten, planten
Eigentlich wollten wir das ja
Ja eigentlich schon
Aber das passt jetzt nicht so gut
Wie das andere
Das würde besser passen
Jetzt ist es aber da
Unbequem irgendwie
Und das Gefühl
Im Bauch, an der Leber
Weglassen
Verlassen
So, so – selber entscheiden
Ist ja schon gut
Die Zeit vergeht
Alles wird wie früher
Oder nicht?
(Anna Dyga aus Gogolin, Polen, Publiczne Liceum Ogólnokszta³c¹ce, Jahrgang 11, Muttersprache: polnisch)
Hier folgen nun wie immer die lyrix-Monatsgedichte und die Namen der Gewinnerinnen und Gewinner aus dem In- und Ausland.
Vielen Dank für eure Einsendungen und herzlichen Glückwunsch!
Die Steinigung
gezwungen durch die Menschengasse laufen
in ihren schweren Blicken fast ersaufen
jeder ist erschienen
wollen einen armen Sünder strafen
Steine scharf geschliffen
auf den Rossen sitzen reiche Grafen
neben ihnen Schergen, Steine in den Händen
alle werden heute Eines Lebens enden
alle warten um zu werfen
werd verachtet von den ganzen Leuten
wie sie warten mich zu töten
seh die Steine die mein Ende deuten
mit meiner Liebsten habe ich geschlafen
und jetzt nun wollen sie mich dafür strafen
Steine in den Händen fingen mich genau vor zwei der Wochen
wollen mich nun richten
tief in mir beginnt mein Herz zu pochen
wissend, seh die meine Liebste niemals wieder
eine Ehefrau die singt mir Liebeslieder
alle warten um zu werfen
werd verachtet von den ganzen Leuten
wie sie warten mich zu töten
seh die Steine die mein Ende deuten
ich weiß genau ich werde sterben nun
und schall ein aller letztes Mal:
Ich weiß ich würd es wieder tun!
und doch ich weiß ich würd es wieder tun!
(Martin Piekar aus Bad Soden, Deutschland, Friedrich-Dessauer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch/ polnisch)
Mustermensch
immer gelächelt
fröhlich getan.
immer gelernt
fleißig getan.
immer gehorcht
vernünftig getan.
immer gesprungen
höflich getan.
immer getan
immer gemacht
immer vorgetäuscht
immer das
Idealbild gewesen.
immer nur geträumt
vom Ameisen zertreten
vom Steine werfen
vom Schule schwänzen
vom Stress mit Eltern
vom dreckigen Lachen
von Zigarettenqualm
von Entnüchterungszellen
von Drogen
von Sex
vom abschreckenden Beispiel
vom "dagegen sein"
nur geträumt
nicht das Gefühl zu haben nur so dahin zu leben.
nur geträumt
die Hülle "Mustermensch" irgendwann abzustreifen und zu vergessen.
nur geträumt
sich selbst je verzeihen zu können.
(Johanna Fugmann aus Memmelsdorf, Deutschland, Dientzenhofer-Gymnasium, Jahrgangsstufe 7, Muttersprache: deutsch)
Sühne
Ein alter Mann mit langem, wirrem Barthaar und mit kleinen,
Getrübten Augen im vergilbten, windgegerbten Angesicht
Sitzt unentwegt im Stadtpark in zerschlissnem Hemd und sucht das Licht.
Er schichtet kleine Türme aus im Gras gefund’nen Steinen,
Und wenn ihn einer fragt "warum?" Er möge doch erzählen,
Da sagt er: "Herr, an mir klebt Schuld, der Kummer mancher Seelen.
Mein größter Wunsch ist es, mich mit dem Himmel zu vereinen.
So bau’ ich die Türme als Leiter zu Sühne und Frieden,
Bis jetzt hat mir Gott jedoch keine Erfüllung beschieden.
Erst wenn ein Turm zur Sonne ragt, ist er mit mir im Reinen."
Und sagt der Parkbesucher dann Mit Mitleid in den Blicken:
"Solang man’s auch versuchen kann Es wird doch niemals glücken."
Gibt er zur Antwort: "Wenn die Mühen auch vergeblich scheinen,
Wenngleich der Wind sie niederwirft und sie zu Boden streben,
So hoffe ich doch fest darauf, denn Hoffnung ist mein Leben."
(Kai Gutacker aus Niddatal, Deutschland, Sankt-Lioba-Schule, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)
Betrug oder Non, je ne regrette rien
Der Sommer sang aus dem Radio,
da lächelte sie zu mir,
so süß wie noch keine lächelte,
am Badestrand saßen wir.
Bei Nacht krochen wir in die Zelte hinein,
ich sah ihr Lächeln nicht mehr,
doch sehnte mich dieses Lächeln zu spürn;
der Sommer kam schwül zu uns her.
Und als wir dann Arm in Arm versanken
kamen die ersten treuen Gedanken:
"Zu Hause, da wartet doch wer!"
Der Sommer hat schnell mein Gewissen verbrannt,
ich fühle an mir ihre zärtliche Hand
und spüre ihr Lächeln an mir.
(Oliver Riedmüller aus Fürth, Deutschland, Heinrich-Schliemann-Gymnasium, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)
Schuldig
Schwarz färbt meine Haut
wenn ich sie berühre
Fingerabdrücke an weißen Tapeten
treten
in ein Gesicht, das ich durch
Modenschauen führe
Hinter der Sonnenbrille:
meine Augen-
losen-
höhlen grölen:
betrogen
verlogen
verloren
verlassen
verblassend im Beichtstuhl sitzend
schlage ich mir den Kopf an
der Realität
(Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: griechisch und deutsch)
Verfehlungen
Verfehlt,
Den Elfmeter verfehlt,
verloren, verfehlt.
Die Liebe verfehlt,
für immer, verfehlt.
Es scheint so als ob ich den Zug meines Lebens verfehlt habe,
fünf Minuten zu spät, verfehlt.
Und ich sag mir immer wieder, das war das letzte mal,
doch es passiert wieder, verloren, für immer zu spät, verfehlt.
Wie lange geht`s so weiter?
Es scheint nicht lange, ich sehe das Licht am Ende des Tunnels.
...nur eine Enttäuschung, denn wieder sagt eine Stimme: Verfehlt!
Nein, hier bin ich richtig!
Hier lerne ich aus meinen Fehlern, hier kann ich nur gewinnen.
Und die Stimme schwindet...schwindet...für immer...
(Haris Poturkovic aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrgang 10, Muttersprache: bosnisch)
Wörter
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe.
Sie sind in die Zeilen meiner Seele eingeschrieben.
Sie sind
meine graue Ewigkeit.
Sie sterben
auf meinen heißen Lippen.
Dieses Zimmer ist für mich zu kalt.
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe.
Sie sind in die Zeilen meiner Seele eingeschrieben.
Sie vergehen
in der drückenden Zeit.
Sie sind
die Wände in meinem Zimmer
Und dieses Zimmer ist für mich zu kalt.
Drei Wörter, die ich nicht gesagt habe…
(Valentyna Bilokrynytska aus Tscherkassy, Ukraine, Cherkaska Himnazija Nr. 31, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: ukrainisch)
Eigentlich
Erst denken, dann handeln
Und dann das dumme Gefühl im Bauch
Wie fühlt sich denn das ja an, das Blöde
Zuerst kriegt man steife Beine
Oder – besser gesagt
Unsere Verfehlungen gehen in die Füße
Um wegzulaufen
Das Rauchen
Die Disco
War nicht so schlimm
Die Religion passt
Ist eigentlich toll
Es ist ja so vieles Unklar
Im unserem polnischen Geschichtsbuch
Aber wenn wir dann sehen das Ganze
Nicht das was wir wollten, planten
Eigentlich wollten wir das ja
Ja eigentlich schon
Aber das passt jetzt nicht so gut
Wie das andere
Das würde besser passen
Jetzt ist es aber da
Unbequem irgendwie
Und das Gefühl
Im Bauch, an der Leber
Weglassen
Verlassen
So, so – selber entscheiden
Ist ja schon gut
Die Zeit vergeht
Alles wird wie früher
Oder nicht?
(Anna Dyga aus Gogolin, Polen, Publiczne Liceum Ogólnokszta³c¹ce, Jahrgang 11, Muttersprache: polnisch)