Dienstag, 16. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Juni 2012

Ihr habt euch in euren Gedichten vor allem den düsteren Themen zugewandt: Tod, Angst, Chaos, Trauer, Wut und Hass. Ihr habt philosophiert über Irren, Sinn und Illusionen. Oft waren die Gedichte pessimistisch, handelten von apokalyptischen Szenarien, Klimawandel und Armut. "Ist die Welt so wie sie dir gefällt?" fragte eine Schülerin.

03.08.2012
    Aber es gab auch auffordernde, optimistische Texte. Zu Zivilcourage und Verantwortung wurde aufgerufen, es wurde an die zukünftigen Enkel appelliert und die Erde durfte eine Ansprache an die Menschheit halten. So dichtete ein Schüler: "Die Erde spielt nicht mehr lange mit, zu viele Möglichkeiten, Drum, erlauchtes Wesen, Mensch genannt, der Geister Kraft, dir ist bekannt, erfülle sie und nutze Sie, nur Vernichtung verbreite nie."
    Mit mahnenden, aber auch motivierenden Worten habt ihr eure Sicht auf den Irrsinn dieser Welt mit uns geteilt.

    Außerdem haben sich engagierte Schülerinnen und Schüler der KGS Rastede in einem Unterrichtsprojekt mit dem Thema "Der Irrsinn dieser Welt" beschäftigt, eigene Gedichte verfasst und uns als Audio zur Verfügung gestell. Viel Spaß beim Hören!






    Unsere Jury hat die fünf besten Gedichte ausgewählt.

    Wir gratulieren den Gewinnern und präsentieren euch die Texte der Leitmotivrundengewinner aus dem Juni 2012:



    Der Wasserfall

    Wir schaukeln über das Wellenmeer,
    jeder in seinem Boot,
    es tanzt und torkelt, wippt hin und her,
    der Himmel ist feuerrot.
    Ich sitze entspannt,
    das Paddel lose in der Hand
    und sehe dem Treiben zu.

    Immer schneller fährt mein hölzerner Schlitten,
    die Wogen werfen ihn schief,
    in der Ferne ist der Fluss abgeschnitten,
    dort hängt der Himmel tief.
    Schnipp, schnapp,
    Flusslauf ab,
    schau die Wolke sieht aus wie ein Schuh.

    Wie schnell die Distanz doch die Meter verliert,
    wie groß war wohl diese Schere?
    Wir betrachten das Flussende interessiert,
    dahinter gähnende Leere.
    Die ersten stürzen ins Schluchtenmeer,
    ich wink' ihnen fröhlich hinterher,
    ein erster Hauch von Nervosität.

    Mit leisem Gluggern neigt sich nun auch mein Bug
    und ich blicke entsetzt ins Nichts,
    ein letzter verzweifelter Atemzug
    des blutenden Abendlichts.
    Ich ruder mit aller Kraft zurück,
    doch ich habe kein Glück.
    Zu spät.



    (Anna Wolf aus Brandenburg an der Havel, Evangelisches Domgymnasium, Klasse 10,
    Muttersprache Deutsch)



    copy and paste – oder: das Schweigen der Fische


    Wir haben Staubkörner zwischen den Zähnen
    Und Spinnenweben an den Händen
    Unsere Spiegelbilder sind leer
    Wir posten unser Leben in das,
    was sie Kommunikation von morgen nennen
    und haben vergessen, dass wir gestern
    anfangen wollten zu reden
    Heute schauen wir in den Spiegel
    Und um die Leere zu füllen
    Klicken wir auf copy and paste
    Damit irgendjemand auf "gefällt mir” drücken kann
    Wir hoffen, dass es seines Tages Montag wird
    Weil wir glauben gelesen zu haben,
    dass Fische montags nicht schweigen



    (Anna Neocleous aus Rietberg, Gymnasium Nepomucenum, Klasse 13, Muttersprache Deutsch und Griechisch)


    Schwarzer Rauch

    Als ich ihn dort tanzen sah,
    ihm noch nicht
    doch mir war klar,
    dies wird nun sein Letzter sein,
    denn bald schon lässt er mich allein.
    Stand neben ihm, in Schnee und Eis
    und kalter Hass auf Blütenweiß,
    rot gesprenkelt war die Flut
    um uns herum, ein Meer aus Blut
    doch morgen kann es vorbei sein,
    dann will ich dabei sein.

    Und als ich sie kommen sah,
    sofort, ich wusst’s, es war mir klar,
    sie nehmen ihn mir bald schon fort,
    bringen ihn an düst‘ren Ort.
    Und niemand von uns wusste,
    wem wird’s wohl gewahr‘,
    dass anstelle frischen Wassers,
    der Tod, er wartet da.

    Als sie ihn dann holten,
    o ja da sah ich ihn
    seine Schreie tanzten,
    im kalten Morgenwind
    ich spürte all die Schmerzen,
    von meinem lieben Kind.
    Und Rauch aus den Kaminen,
    Schornsteine dick wie Blei,
    meine Tränen wussten,
    sein Leben ist vorbei,
    am Himmel ja, da sah ich
    den schweren, schwarzen Rauch
    ich wusste nun ganz sicher,
    dass ich sterben würde auch.

    Als sie mich holen kamen,
    da tanzte er für mich
    das Kind in meinem Herzen,
    ich fürchtete mich nicht.



    (Julia Fourate aus Nordhofen, Mons-Tabor-Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)

    Fremde Welt

    Tausend Morde gesehen
    Tausend Tode gelitten
    Nur um weiterzugehn
    Um nicht zu verstehn'

    Wer hat das entschieden
    Wer hat das gesagt
    Die restliche Welt hat niemand gefragt

    Ein Blick und ein Nicken
    Und schon ist's vorbei
    Der Krieg hat begonnen
    Niemand mehr frei

    Die anderen Menschen
    Die anderen Leute
    Die Menschen von morgen
    Die Meute von heute

    Sie sehen die Welt
    Hören die Nachrichten
    Wie ein Soldat tausendmal fällt
    Und Kinder auf Kindheit verzichten

    Doch am Ende ist es nur ein Lied
    Das die Welt allzeitlich sieht
    Das es es schon immer gab
    Und niemals erstarb

    Aber wer kann mir sagen,
    Wer weiß wo,
    Und wen kann ich fragen,
    Wieso?



    (Marlene Mörig aus Edewecht, Gymnasium Bad Zwischenahn-Edewecht, Klasse 8, Muttersprache Deutsch)


    Fallbeispiel.

    Wir brauchen keine Fantasie. Uns
    fällt
    nichts mehr ein, aber
    Facebook weiß alles, Google vergisst nichts.
    Wir wollen alles, tun nichts.
    Stellen die Nachrichten aus,
    verlieren den Verstand, lachen nervös.
    Eheringe. Schlagringe. Augenringe.
    Vorbilder.
    Ein bisschen Gandhi bei den Lieblingszitaten,
    ein bisschen Ackermann im Herzen,
    Handabdrücke im Gesicht, Löcher in Erinnerungen,
    Fußabdrücke in Hollywood, Löcher über Australien,
    CO2-Abdrücke im Kosmos, Löcher in der Kleidung
    der Heimatlosen und Kreuzberg ist überall,
    im Himalaya gibt es Massentourismus,
    Pisa kippt, Griechenland brennt,
    ich bin achtzehn, weißt du, ich träume vom Frieden.
    Hab Pfefferspray in der Hand,
    Salz in meinen Wunden,
    Süßstoff statt Zucker,
    denn verdammt, wir müssen doch wenigstens
    schön
    zu Grunde gehen.

    Nehmen uns den Boden unter den
    Füßen, haben die Hände in den Sternen,
    den Kopf in den Wolken,
    wollen alles, können nichts.
    Ein Schritt zurück, sechzigtausend vor.
    Bis wir merken, dass da längst ein Abgrund
    war und wenn wir fallen, fallen wir still, beim Aufprall ist es zu spät
    und wenn wir stürzen, taumeln, fallen
    (Bemerkungen) wie Bomben
    fallen wir zum Opfer, tappen wir in Fallen
    fallen aus, einfältig, verloren - falloren.
    Eine letzte Statusmeldung
    (bloß nicht auffallen)
    Aber
    vielleicht reichen
    140 Zeichen
    nicht aus,
    um die Welt zu retten



    (Verena Kramer aus Münster, Gymnasium St. Mauritz, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)