Im Mai 2013 war »lyrix« zu Gast im LWL-Museum für Archäologie in Herne. Dort haben wir Exponate aus vergangenen Zeiten gefunden, die als Gedächtnis der Menschheit früheres Leben dokumentieren und unsere Geschichte für die Nachwelt zugänglich machen.
Uns haben im Mai Gedichte über eure Archive erreicht. Ihr schreibt von Momenten mit Familie und Freunden, von einschneidenden Ereignissen und von Augenblicken, die ihr nicht vergessen könnt oder wollt. Doch nicht nur eure eigenen Erinnerungen haben euch zum Schreiben inspiriert, auch historische Ereignisse, besonders der deutschen Geschichte, stehen in einigen Texten im Zentrum.
Wir präsentieren die Top 5 eurer archivierten Gedanken!
Archiv durchstöbert
Alte Mumien gefunden.
Mahnmale am Wegesrand,
Denkmäler im Sonnenuntergang.
Regale voller Aktenordner,
Akribisch im Alphabet.
Vergilbt, Verstaubt, Vergessen.
Den Staub heruntergewischt,
mit einer Bewegung Staubkorntanz.
Kribbelnd in der Spürnase.
Die tausend Fotos
Zeigen tausende Augenblicke.
Sekunden, die viel länger wirken.
Grab ausgehoben,
Suche nach Vergangenem,
Hinweise tiefer durchforsten.
Ärchäologen stöbern,
Sammeln die Überreste.
Berichte verflossener Zeit.
Zurück bleiben leblose Wortspiegel der Erkenntnis.
(Luise Charlotte Behr aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Legende der Hibakusha
Mein Kind, wahr' deine Tränen rein,
sie sollen wie der Regen sein,
er fällt auf unsre Dächer nieder,
und singt uns seine süßen Lieder,
er strömt in dir, er ist der Fluss,
den immer du bewahren musst,
mein Kind, ich will nun bei dir sein,
die Tränen sollst du mir verzeih'n.
Unsre Zeit, sie stand heut' still,
weil nimmer sie vergessen will,
dass die Gezeiten auf uns fielen,
dass Kummer kam, um hier zu spielen,
die Uhr am Turm, sie zeigt die Zeit,
für Jahr und Tag, die Ewigkeit.
Du schaust so traurig, sieh mich an,
ich will dich seh'n, so gut ich kann,
nun lauf' mein Kind, kein Blick zurück,
du wirst verstehen, Stück für Stück,
wenn Blüten der Erinnerung
wie Flügel uns entfalten,
ich will sie noch ein letztes Mal,
in meinen Armen halten.
Sie warfen heute Nacht das Ende,
auf unser Haupt, und ich bin müd',
nun laufe schnell, schau’ mich nicht an,
erinn’re dich nur, dann und wann:
Bewahr' die Tränen dir, mein Kind,
damit sie wie der Regen sind.
(Julia Fourate aus Nordhofen, Mons-Tabor-Gymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)
Nachtfalter
kalt.
kalt und röchelnd fließt der letzte saft aus seinen venen man
hatte sie ihm aufgeschnitten, seine existenz
ausgehöhlt
kein nachlass, außer dem alten klavier, die
wohnung war leer
sein wissen um das leben das er trug,
verschwimmt im erbrochenen er
war alkoholiker
zuletzt hatte die sucht das vorangegangene fortgebrannt, im
nebel des wahnes waren selbst die erste zelle des traumes, die letzte
gemütsregung der verrottenden organe
erloschen
im oktoberbeton krümmte sich die raupe das letzte mal und
im kokon erstickt
Es ist Dezember und der letzte Tropfen stirbt
im Schnee mit der Erinnerung an den vergessenden Vergessenen.
(Elias Peschke aus Bad Dürkheim, Werner-Heisenberg-Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Dein Geruch nach Mandeln
Der Fall,
schon lange zu den Akten gelegt.
unlösbar
Mord verjährt nicht,
aber Blätter zerfallen und
zersetzen sich.
nur eine Akte im Polizeiarchiv
Zwanzig Seiten Du
Ich frage mich wann die Würmer-
und will dich nicht vergessen lassen.
(Caroline Pfeffer aus Hofheim, Eichendorffschule, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)
Wie Flammen
Mutwillig gelegt
um ein Gedächtnis auszulöschen
züngeln sie sich vorwärts
sie zügeln sich nicht
Regal für Regal
Buch für Buch
Briefe und Erinnerungen
Gehofftes und Geträumtes
wird zu Staub
was im Weg ist
alles
zu Asche
deswegen
Speichern unter
und doch
nicht zu löschen
dieser eine Mausklick
der bejahend auf die Frage folgte
Alles löschen?
(Magdalena Wejwer aus Umkirch, Wentzinger Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Und hier die Gewinner "außer Konkurrenz"
(Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
papierener Herzschlag
Wir bewahrten vor der Zeit, was jene uns
schenkte und wieder an sich nehmen will.
Erinnerungen ruhen in papierenen Betten,
in der Hoffnung erneut erweckt zu werden.
Scheint der Moment uns zu entfliehen,
so halten wir ihn klammernd fest,
aus Angst vor der Vergänglichkeit,
denn niemand duldet Endlichkeit.
Die Trophäe unserer Taten, bloß ein Raum,
dessen Inhalt Staub der Zeit bedeckt.
Doch reicht ein Wort für ein Gefühl?
Eine Seite für ästhetische Gedanken?
Reicht ein Buch um den Moment zu bannen?
Oder ein Archiv für ein Menschenleben?
Wie kurz kann ein Herz schlagen,
wie schnell ein Blatt zerfallen?
Unser Lebenswerk, geschrieben wie ein Buch,
und schließlich geleimt mit der Nachsinnlichkeit
des Augenblicks.
(Marleen Köller aus Buchholz, Albert-Einstein-Gymnasium, Klasse 10, Muttersprache Deutsch)
Archiv
Erinnerungen
feinsäuberlich
sortiert und aufgereiht
nach Alter
nach Jahren
nach längst vergangener Zeit
Menschenleben
abgeheftet
sortiert
nach dem Alter der Knochen
nach Geschlecht
ob Mann oder Frau
nach Größe, Bestand,
nach Epochen
Kein Hauch von Leben
steckt mehr darin
kein Hauch von Menschlichkeit
die Würde der Menschen
bröselt dahin
zermürbt
von Wissenschaft und Zeit
(Lucie Roth aus Köln, Montessori-Gymnasium Köln, Muttersprache: Deutsch)
Uns haben im Mai Gedichte über eure Archive erreicht. Ihr schreibt von Momenten mit Familie und Freunden, von einschneidenden Ereignissen und von Augenblicken, die ihr nicht vergessen könnt oder wollt. Doch nicht nur eure eigenen Erinnerungen haben euch zum Schreiben inspiriert, auch historische Ereignisse, besonders der deutschen Geschichte, stehen in einigen Texten im Zentrum.
Wir präsentieren die Top 5 eurer archivierten Gedanken!
Archiv durchstöbert
Alte Mumien gefunden.
Mahnmale am Wegesrand,
Denkmäler im Sonnenuntergang.
Regale voller Aktenordner,
Akribisch im Alphabet.
Vergilbt, Verstaubt, Vergessen.
Den Staub heruntergewischt,
mit einer Bewegung Staubkorntanz.
Kribbelnd in der Spürnase.
Die tausend Fotos
Zeigen tausende Augenblicke.
Sekunden, die viel länger wirken.
Grab ausgehoben,
Suche nach Vergangenem,
Hinweise tiefer durchforsten.
Ärchäologen stöbern,
Sammeln die Überreste.
Berichte verflossener Zeit.
Zurück bleiben leblose Wortspiegel der Erkenntnis.
(Luise Charlotte Behr aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Legende der Hibakusha
Mein Kind, wahr' deine Tränen rein,
sie sollen wie der Regen sein,
er fällt auf unsre Dächer nieder,
und singt uns seine süßen Lieder,
er strömt in dir, er ist der Fluss,
den immer du bewahren musst,
mein Kind, ich will nun bei dir sein,
die Tränen sollst du mir verzeih'n.
Unsre Zeit, sie stand heut' still,
weil nimmer sie vergessen will,
dass die Gezeiten auf uns fielen,
dass Kummer kam, um hier zu spielen,
die Uhr am Turm, sie zeigt die Zeit,
für Jahr und Tag, die Ewigkeit.
Du schaust so traurig, sieh mich an,
ich will dich seh'n, so gut ich kann,
nun lauf' mein Kind, kein Blick zurück,
du wirst verstehen, Stück für Stück,
wenn Blüten der Erinnerung
wie Flügel uns entfalten,
ich will sie noch ein letztes Mal,
in meinen Armen halten.
Sie warfen heute Nacht das Ende,
auf unser Haupt, und ich bin müd',
nun laufe schnell, schau’ mich nicht an,
erinn’re dich nur, dann und wann:
Bewahr' die Tränen dir, mein Kind,
damit sie wie der Regen sind.
(Julia Fourate aus Nordhofen, Mons-Tabor-Gymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)
Nachtfalter
kalt.
kalt und röchelnd fließt der letzte saft aus seinen venen man
hatte sie ihm aufgeschnitten, seine existenz
ausgehöhlt
kein nachlass, außer dem alten klavier, die
wohnung war leer
sein wissen um das leben das er trug,
verschwimmt im erbrochenen er
war alkoholiker
zuletzt hatte die sucht das vorangegangene fortgebrannt, im
nebel des wahnes waren selbst die erste zelle des traumes, die letzte
gemütsregung der verrottenden organe
erloschen
im oktoberbeton krümmte sich die raupe das letzte mal und
im kokon erstickt
Es ist Dezember und der letzte Tropfen stirbt
im Schnee mit der Erinnerung an den vergessenden Vergessenen.
(Elias Peschke aus Bad Dürkheim, Werner-Heisenberg-Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Dein Geruch nach Mandeln
Der Fall,
schon lange zu den Akten gelegt.
unlösbar
Mord verjährt nicht,
aber Blätter zerfallen und
zersetzen sich.
nur eine Akte im Polizeiarchiv
Zwanzig Seiten Du
Ich frage mich wann die Würmer-
und will dich nicht vergessen lassen.
(Caroline Pfeffer aus Hofheim, Eichendorffschule, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)
Wie Flammen
Mutwillig gelegt
um ein Gedächtnis auszulöschen
züngeln sie sich vorwärts
sie zügeln sich nicht
Regal für Regal
Buch für Buch
Briefe und Erinnerungen
Gehofftes und Geträumtes
wird zu Staub
was im Weg ist
alles
zu Asche
deswegen
Speichern unter
und doch
nicht zu löschen
dieser eine Mausklick
der bejahend auf die Frage folgte
Alles löschen?
(Magdalena Wejwer aus Umkirch, Wentzinger Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)
Und hier die Gewinner "außer Konkurrenz"
(Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
papierener Herzschlag
Wir bewahrten vor der Zeit, was jene uns
schenkte und wieder an sich nehmen will.
Erinnerungen ruhen in papierenen Betten,
in der Hoffnung erneut erweckt zu werden.
Scheint der Moment uns zu entfliehen,
so halten wir ihn klammernd fest,
aus Angst vor der Vergänglichkeit,
denn niemand duldet Endlichkeit.
Die Trophäe unserer Taten, bloß ein Raum,
dessen Inhalt Staub der Zeit bedeckt.
Doch reicht ein Wort für ein Gefühl?
Eine Seite für ästhetische Gedanken?
Reicht ein Buch um den Moment zu bannen?
Oder ein Archiv für ein Menschenleben?
Wie kurz kann ein Herz schlagen,
wie schnell ein Blatt zerfallen?
Unser Lebenswerk, geschrieben wie ein Buch,
und schließlich geleimt mit der Nachsinnlichkeit
des Augenblicks.
(Marleen Köller aus Buchholz, Albert-Einstein-Gymnasium, Klasse 10, Muttersprache Deutsch)
Archiv
Erinnerungen
feinsäuberlich
sortiert und aufgereiht
nach Alter
nach Jahren
nach längst vergangener Zeit
Menschenleben
abgeheftet
sortiert
nach dem Alter der Knochen
nach Geschlecht
ob Mann oder Frau
nach Größe, Bestand,
nach Epochen
Kein Hauch von Leben
steckt mehr darin
kein Hauch von Menschlichkeit
die Würde der Menschen
bröselt dahin
zermürbt
von Wissenschaft und Zeit
(Lucie Roth aus Köln, Montessori-Gymnasium Köln, Muttersprache: Deutsch)