Donnerstag, 28. März 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Mai 2013

Welche Erlebnisse bleiben euch in Erinnerung? Was archiviert ihr in euren Gedanken? Habt ihr einen Ort, vielleicht eine Kiste oder ein Album, an dem ihr zentrale Gegenstände und Fotos aufbewahrt, die euch an frühere Zeiten erinnern? Und was gehört eurer Meinung nach in ein "zentrales Archiv" der Menschheitsgeschichte?

23.07.2013
    Im Mai 2013 war »lyrix« zu Gast im LWL-Museum für Archäologie in Herne. Dort haben wir Exponate aus vergangenen Zeiten gefunden, die als Gedächtnis der Menschheit früheres Leben dokumentieren und unsere Geschichte für die Nachwelt zugänglich machen.
    Uns haben im Mai Gedichte über eure Archive erreicht. Ihr schreibt von Momenten mit Familie und Freunden, von einschneidenden Ereignissen und von Augenblicken, die ihr nicht vergessen könnt oder wollt. Doch nicht nur eure eigenen Erinnerungen haben euch zum Schreiben inspiriert, auch historische Ereignisse, besonders der deutschen Geschichte, stehen in einigen Texten im Zentrum.

    Wir präsentieren die Top 5 eurer archivierten Gedanken!


    Archiv durchstöbert

    Alte Mumien gefunden.
    Mahnmale am Wegesrand,
    Denkmäler im Sonnenuntergang.
    Regale voller Aktenordner,
    Akribisch im Alphabet.
    Vergilbt, Verstaubt, Vergessen.
    Den Staub heruntergewischt,
    mit einer Bewegung Staubkorntanz.
    Kribbelnd in der Spürnase.
    Die tausend Fotos
    Zeigen tausende Augenblicke.
    Sekunden, die viel länger wirken.
    Grab ausgehoben,
    Suche nach Vergangenem,
    Hinweise tiefer durchforsten.
    Ärchäologen stöbern,
    Sammeln die Überreste.
    Berichte verflossener Zeit.

    Zurück bleiben leblose Wortspiegel der Erkenntnis.

    (Luise Charlotte Behr aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium Dresden, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)


    Legende der Hibakusha
    Mein Kind, wahr' deine Tränen rein,
    sie sollen wie der Regen sein,
    er fällt auf unsre Dächer nieder,
    und singt uns seine süßen Lieder,
    er strömt in dir, er ist der Fluss,
    den immer du bewahren musst,
    mein Kind, ich will nun bei dir sein,
    die Tränen sollst du mir verzeih'n.
    Unsre Zeit, sie stand heut' still,
    weil nimmer sie vergessen will,
    dass die Gezeiten auf uns fielen,
    dass Kummer kam, um hier zu spielen,
    die Uhr am Turm, sie zeigt die Zeit,
    für Jahr und Tag, die Ewigkeit.
    Du schaust so traurig, sieh mich an,
    ich will dich seh'n, so gut ich kann,
    nun lauf' mein Kind, kein Blick zurück,
    du wirst verstehen, Stück für Stück,
    wenn Blüten der Erinnerung
    wie Flügel uns entfalten,
    ich will sie noch ein letztes Mal,
    in meinen Armen halten.
    Sie warfen heute Nacht das Ende,
    auf unser Haupt, und ich bin müd',
    nun laufe schnell, schau’ mich nicht an,
    erinn’re dich nur, dann und wann:
    Bewahr' die Tränen dir, mein Kind,
    damit sie wie der Regen sind.

    (Julia Fourate aus Nordhofen, Mons-Tabor-Gymnasium, Klasse 12, Muttersprache Deutsch)


    Nachtfalter

    kalt.
    kalt und röchelnd fließt der letzte saft aus seinen venen man
    hatte sie ihm aufgeschnitten, seine existenz
    ausgehöhlt

    kein nachlass, außer dem alten klavier, die
    wohnung war leer

    sein wissen um das leben das er trug,
    verschwimmt im erbrochenen er
    war alkoholiker

    zuletzt hatte die sucht das vorangegangene fortgebrannt, im
    nebel des wahnes waren selbst die erste zelle des traumes, die letzte
    gemütsregung der verrottenden organe

    erloschen

    im oktoberbeton krümmte sich die raupe das letzte mal und

    im kokon erstickt

    Es ist Dezember und der letzte Tropfen stirbt
    im Schnee mit der Erinnerung an den vergessenden Vergessenen.

    (Elias Peschke aus Bad Dürkheim, Werner-Heisenberg-Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)

    Dein Geruch nach Mandeln

    Der Fall,
    schon lange zu den Akten gelegt.
    unlösbar
    Mord verjährt nicht,
    aber Blätter zerfallen und
    zersetzen sich.
    nur eine Akte im Polizeiarchiv
    Zwanzig Seiten Du
    Ich frage mich wann die Würmer-
    und will dich nicht vergessen lassen.


    (Caroline Pfeffer aus Hofheim, Eichendorffschule, Klasse 13, Muttersprache Deutsch)


    Wie Flammen

    Mutwillig gelegt
    um ein Gedächtnis auszulöschen
    züngeln sie sich vorwärts
    sie zügeln sich nicht
    Regal für Regal
    Buch für Buch
    Briefe und Erinnerungen
    Gehofftes und Geträumtes
    wird zu Staub
    was im Weg ist
    alles
    zu Asche
    deswegen
    Speichern unter
    und doch
    nicht zu löschen
    dieser eine Mausklick
    der bejahend auf die Frage folgte
    Alles löschen?

    (Magdalena Wejwer aus Umkirch, Wentzinger Gymnasium, Klasse 11, Muttersprache Deutsch)


    Und hier die Gewinner "außer Konkurrenz"

    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)

    papierener Herzschlag

    Wir bewahrten vor der Zeit, was jene uns
    schenkte und wieder an sich nehmen will.
    Erinnerungen ruhen in papierenen Betten,
    in der Hoffnung erneut erweckt zu werden.
    Scheint der Moment uns zu entfliehen,
    so halten wir ihn klammernd fest,
    aus Angst vor der Vergänglichkeit,
    denn niemand duldet Endlichkeit.
    Die Trophäe unserer Taten, bloß ein Raum,
    dessen Inhalt Staub der Zeit bedeckt.
    Doch reicht ein Wort für ein Gefühl?
    Eine Seite für ästhetische Gedanken?
    Reicht ein Buch um den Moment zu bannen?
    Oder ein Archiv für ein Menschenleben?
    Wie kurz kann ein Herz schlagen,
    wie schnell ein Blatt zerfallen?
    Unser Lebenswerk, geschrieben wie ein Buch,
    und schließlich geleimt mit der Nachsinnlichkeit
    des Augenblicks.

    (Marleen Köller aus Buchholz, Albert-Einstein-Gymnasium, Klasse 10, Muttersprache Deutsch)


    Archiv

    Erinnerungen
    feinsäuberlich
    sortiert und aufgereiht
    nach Alter
    nach Jahren
    nach längst vergangener Zeit
    Menschenleben
    abgeheftet
    sortiert
    nach dem Alter der Knochen
    nach Geschlecht
    ob Mann oder Frau
    nach Größe, Bestand,
    nach Epochen
    Kein Hauch von Leben
    steckt mehr darin
    kein Hauch von Menschlichkeit
    die Würde der Menschen
    bröselt dahin
    zermürbt
    von Wissenschaft und Zeit

    (Lucie Roth aus Köln, Montessori-Gymnasium Köln, Muttersprache: Deutsch)