Dienstag, 16. April 2024


Die lyrix-Gewinner im Mai und Juni 2011

"Wenn ich beim Waldesrauschen..." - Natur gestern und heute. So lautete unser Leitmotiv im Mai und Juni. Inspirieren lassen konntet ihr euch von Gedichten von Joseph von Eichendorff und Hilde Domin sowie von Caspar David Friedrich-Bildern aus der Hamburger Kunsthalle.

25.07.2011
    Im Mai und Juni haben wir ein Gedicht des Romantikers Joseph von Eichendorff und einen zeitgenössischen Text von Hilde Domin gegenübergestellt. Während bei Eichendorff das Motiv des Reisens als Ausdruck der Sehnsucht und Einsamkeit aufgegriffen wird, betont Hilde Domin in "Inselmittag" das verbindende Element der Natur, das Menschen im gemeinsamen Erleben zusammenführt. Wir wollten im Mai und Juni von euch wissen, was ihr heute sucht, wenn ihr in die Natur geht. Erreicht haben uns Texte in denen viele von euch - ähnlich wie Hilde Domin - die Natur als Schauplatz und Raum zwischenmenschlicher Beziehungen beschreiben. Auch kritische Auseinandersetzungen mit Umweltzerstörung und Nachlässigkeit im Umgang mit der Natur sind bei uns eingegangen, ebenso wie Gedichte über die Vielfalt von Empfindungen, die ihr zu den Naturgewalten habt: Ehrfurcht, Bedrohung, Angst und Bewunderung.

    Vielen Dank für eure Gedichte und herzlichen Glückwunsch den Gewinnern!


    Hier die Texte der Leitmotivrundengewinner aus dem Inland:

    Seelenflug

    Als ich saß auf stillem Hügel
    Und die Sonn’ die Berge küsst,
    Ward mir als bekäm’ ich Flügel
    Und als ob ich fliegen müsst.

    Über Tal und weite Meere
    Möcht’ ich fliegen hoch hinaus,
    Freier als ein Vogel wäre,
    Aus der Seele innerst Haus.

    Wie das Senfkorn auf dem Felde
    Würd’ ich wachsen und erblüh’n,
    Wär’s als ob die Sonn’ mir melde:
    Du bist frei, scheu keine Müh’n.

    Würde ich mit and'ren Augen
    Der Welten Seele sehen können,
    Würd’ aus des Weltenstrome ich saugen
    Und meiner Seele dieses gönnen.

    Mein Herz, es wäre gar so offen,
    Als wollt’ es umarmen die ganze Welt
    Und ich weiß ich kann noch hoffen,
    Dass die Hoffnung nie zerfällt.

    Doch als die Sonn’ hinunter sank
    Und lange nicht mehr ward geseh’n,
    Dürstete ich nach diesem Trank,
    Der meine Seele ließ neu aufersteh’n.

    Betrübt, doch zugleich beflügelt
    Stand ich vom düstren Hügel auf,
    Meine Seele neu gezügelt,
    Neu verschlossen, der eisern’ Knauf.


    (Miriam Kaisers aus Mönchengladbach, Deutschland, Gymnasium Odenkirchen, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Meer

    Setze meinen Fuß hinein
    Das Gefühl
    Es ist
    Ist kalt
    Kalt aber dennoch vertraut
    Es umspült meinen Fuß
    Reinigt ihn
    Von allem Schmutz

    Ich sehe zu
    Wie sich die Schaumkronen bilden
    Sehe zu
    Wie sich das Meer verfärbt
    Von blau zu grün
    Von grün zu blau
    Kann sehen
    Wie die Wellen kommen

    Das Meer
    Es will toben
    Schlägt meterhohe Wellen
    Sehe sie auf mich stürzen

    Das Meer
    Hat zwei Gesichter
    Einerseits
    Hat es eine mächtige Kraft
    Kann uns verletzen
    Andererseits
    Ist es doch für uns da
    Ernährt uns
    Beruhigt uns


    (Lena Marie Hinrichs aus Wentorf bei Hamburg, Deutschland, Hansa-Gymnasium Hamburg-Bergedorf, Jahrgangsstufe 5, Muttersprache: deutsch)


    salzgräser

    an der nordsee ist nur der horizont geblieben
    ich weiß dass es nicht vollkommen wird ohne dich
    die gischt zu atmen macht mich frei aber
    freedom is just another word for nothing left to lose
    und so sitze ich auf dem trockenen und während ich die freiheit
    für uns neu definiere denke ich nur an dich
    und wie du hier wärst mit mir
    in meiner fantasie schmelzen wir schon in den dünen
    wie die sonne die erst elf uhr nachts verschwunden ist
    doch die realität stellt mir nur backfisch auf den tisch
    im strandlokal wo die musik mich flüchten lässt nach draußen
    dort stelle ich mich dann ins watt zu den salzgräsern
    und schlage wurzeln damit ich nicht ausversehen zu dir laufe

    ich biege mich im wind und vor lachen
    wie sehr du hier fehlst


    (Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz, Deutschland, Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)


    die natur des menschen

    die lunge der welt wird höchstbietend versteigert das kettensägenrasseln nicht ernst genommen

    solange die tulpen noch puls haben
    und duften und leuchten
    will ich strahlen
    manchmal erfasse
    ich flakongeruch zwischen ihnen

    solange sich noch regenbögen
    zwischen den verrußten schloten spannen
    will ich staunen
    manchmal habe
    ich angst sie zerbrechen einfach

    solange die evolution
    nicht ihr ganzes buntes federkleid verliert will ich hoffen manchmal sehe ich uns schon als nackte vögel

    und der himmel in den wir fliegen
    flammt auf


    (Jonas Kohnen aus Ludwigshafen, Deutschland, Heinrich-Böll-Gymnasium Ludwigshafen, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Stadtparksommer

    in den stamm der alten eiche ritzten wir lügen und verankerten sie tief im wurzelwerk als der sommer sich in in unsere lider brannte seine grünen tage ins straßennetz schickte

    wir leckten die strahlen von einander ab bis wir ausgehöhlt in den windmeeren trieben ließen uns von grasgrillenmelodien tragen die selbst das alltagsrauschen ausblendeten

    schattenspiele sprenkelten deine helle haut jagten ihre muster von deinem mundwinkel bis zu meinen prickelnden fingerkuppen und gruben sich tief in meine fersenwege hinein

    die stunden in diesem hibiskusrausch
    ließen uns wohl glauben wir wären
    winterlos


    (Sophie Garbe aus Tübingen, Deutschland, Uhlandgymnasium, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch)


    Erste Liebe

    Mohnfelder im Gegenlicht.
    Chromatik der Dämmerung.
    Zitternde Wörter
    im Sommerwind.
    Pusteblumensamen
    zwischen den Zähnen.
    Ab und zu
    synchroner Sternensturz
    am Firmament.
    Einen Herzschlag lang, Zögern.

    Die Lippen finden sich
    im Lichterdecrescendo.


    (Larissa Hieber aus Schwäbisch Gmünd, Deutschland, Hans-Baldung-Gymnasium, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Und hier die Gewinnertexte aus dem Ausland:

    Ich laufe durch den Wald,
    niemand ist da.
    Ich bin verloren.
    Der Wind flüstert, die Bäume rascheln,
    meine Gedanken fliegen
    und die Hoffnung fehlt mir.
    Ich renne und renne
    und komm’ nicht mehr raus.
    Die Dunkelheit hält mich fest
    und versperrt mir den Weg.
    Wie lange geht das noch so?
    Ich habe Angst!

    Aber warum?
    Warum habe ich denn eigentlich Angst?
    Ich liebe doch in der Natur zu sein!
    Da fühle ich mich immer so wohl.
    Warum laufe ich denn eigentlich?
    Ich bin doch da, wo ich sein will!
    Von der Stadt entfernt.
    Wo es nur Stille herrscht.
    Wo ich wirklich daheim bin!
    Ich bin glücklich!

    Der Mond scheint,
    so ruhig und still.
    Dieses sanfte silberne Licht.
    Der See, so tief,
    bewahrt Geheimnisse.
    Das Gras, so weich,
    mit kleinen Tröpfchen Wasser.
    So wundervoll.
    Ich rieche
    den leichten Duft der Blumen
    und fühle mich wohl.
    Ja, ich fühle mich wohl,
    Ich bin da, wo ich wirklich sein will.


    (Isabella von Wallwitz aus São Paulo, Brasilien, Colégio Visconde de Porto Seguro, Jahrgangsstufe 7, Muttersprache: portugiesisch)


    Loving you in Gedanken

    gestern saßen wir noch aneinandergebunden
    mein rücken von deinen armen umrankt
    wir waren eins in diesen sekunden
    die natur hat ihre energie von uns getankt

    ich küsste deine frischgeernteten erdbeerlippen
    versank in deinem schokohaar
    die eiche über uns fing an zu wippen
    sie und der wind sahen aus wie ein paar

    deine augen glänzten wie wassertropfen
    vom morgentau am grünen gras
    man hörte nur unsere Herzklopfen
    so laut dass ich alles andere vergaß

    heute im wolkenkratzer denke ich an dich
    so schön hast du gestern gelacht
    wie kälte warm wird fühle ich
    und wie der beton zum leben erwacht


    (Haris Poturkovic aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: bosnisch)