Freitag, 19. April 2024


Die lyrix-Gewinner im November 2010

"Verpasste Gelegenheiten" lautete das Leitmotiv im November. Das Gedicht "Fast eine Romanze (I)" von Matthias Politycki diente euch dabei als Inspiration.

10.01.2011
    In Polityckis Gedicht wendet sich das lyrische Ich in einem inneren Monolog an eine Frau, zu der es sich hingezogen fühlt. Es verpasst aber die Gelegenheit, sie anzusprechen. Wir haben euch gebeten, von euren oder fiktiven verpassten Gelegenheiten zu erzählen. Erreicht haben uns Texte, die sich ganz unterschiedlich mit dem Thema auseinandersetzen. Die meisten eurer Gedichte handeln von verpassten Chancen in der Liebe oder von verpassten Gelegenheiten, einen bestimmten Weg im Leben einzuschlagen.

    Vielen Dank für eure Gedichte und herzlichen Glückwunsch den Gewinnern!



    Hier die Texte der Monatsgewinner aus dem Inland:

    Verpasste Gelegenheiten

    Nie wieder sehn
    dein süß‘ Angesicht
    blau und grün
    die Augen
    golden blond
    das Haar
    blutig roter
    Klatschmohnmund

    Der Zufall trug’s
    zusammen
    wenn es ihn denn gibt
    Verloren unsre Zeit
    Die Dämmerstund‘ kam leis‘
    nahm dich hinfort

    Dunkler tiefer Sommerabend
    Sehnsucht
    tief, hast du geweckt
    Am See
    Laute Versprechen
    In stiller Stunde

    Sehnsüchtig, schwelgend
    im Moment
    Verdammt nun
    zur Frage
    Bist du?


    (Julia Prokoph aus Dresden, Deutschland, Gymnasium Dresden Klotzsche, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch)


    nie umgedreht

    die hände in der grauen granitplatte begraben
    stehe ich frierend am fenster und benebel die welt
    da draußen mit meinem atem an dem kalten glas
    während ich versuche mein leben da draußen zu erkennen -

    Doch plötzlich schlägt in meinem Rücken maifarbener Wind
    die Tür gegen meine scheinbar wohlige Stille
    und durch das staubige Zimmer tanzen Düfte
    von Himmelblau und Sonnengelb und Blumengrün

    Während in meinem Rücken Tulpenlieder wachsen
    Während in meinem Rücken Lebensfarben sprießen
    starre ich auf meine atemflecken und die welt dahinter

    und als novemberfarbene stürme die tür wieder zuschlagen
    schließe ich enttäuscht die augen, falle um und bin tot
    ohne je den geruch von leben gesehen zu haben...


    (Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch und griechisch)


    Letzte Chance

    düster liegt die stadt im weihnachtslicht
    der mond entlockt dem baum grausige schatten
    jeder erfüllt konsumentenpflicht
    unweit der buden tummeln sich ratten

    zwei begegnen sich, wechseln kein wort
    der moment viel zu kurz der blick zu intim
    er wär ihr glück
    sie glück für ihn
    die gelegenheit
    verpasst
    längst schon fort

    sie liegt da und denkt ihm nach
    hätte sie nur genutzt die gunst
    verpasst
    verloren
    vorbei
    - welche schmach
    das glück zu finden darf doch nicht sein solche kunst

    glück hat auch er nicht sehr viel
    erfahren
    auf dem heimweg im dunkeln
    man hört nur noch die ratten munkeln,
    der Tod verpasste die gelegenheit
    nicht.


    (Manuel Kohnen aus Ludwigshafen, Deutschland, Heinrich-Böll-Gymnasium, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)


    Späte Erkenntnis der Einsamkeit

    Auf dem Flaschenboden
    Liegt Wirklichkeit im Traum
    Wie verzerrte Fratzen
    Sich in Gläsern spiegeln
    Runden Gläserscherben

    Eine Hand war zu langsam
    Um noch zu fangen
    Was schon verloren war
    Aber die rot gezeichnete Haut
    Erzählt von Vergangenem
    Vergangenen Versuchen
    Das Leben
    Höher zu leben
    Besser zu sein
    Und sich nicht umzusehen
    Nach rufenden Armen
    Die zu Boden ziehen

    Selbstgefällig
    Fegt die Arroganz
    Gläser vom Tisch
    Wo keine Hände sind
    Sie zu halten
    Und Perlenregen
    Schwemmt Illusionen fort

    Nur die Flasche
    Hält noch Versprechen
    Von stumpfer Sehnsucht
    Nach ein wenig Wärme


    (Sophie Garbe aus Tübingen, Deutschland, Uhland-Gymnasium, Jahrgangsstufe: 11, Muttersprache: deutsch)


    Rückspultaste

    Du spulst wie im Film eine Szene zurück.
    Der Zug fährt rückwärts,
    Stück für Stück.
    Du drückst auf Play,
    alles von vorn.
    Du hörst den Ton,
    was wirst du tun?
    Du steigst ein,
    nutzt dein Glück,
    verpasste Momente gibt es nicht.

    Doch im wahren Leben
    stehst du im Regen.
    Schaust dem Zug hinterher,
    zu merken "es war falsch" fällt dir schwer,
    denn zurück auf Anfang geht nicht mehr!


    (Katharina Kisker aus Altena, Burggymnasium Altena, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)



    Und hier die Gewinner aus dem Ausland:

    Verpasste Gelegenheiten

    Ich wollte.
    Schreien und zeigen alles, was in meinem Herz passiert.
    Nein!
    Ich habe nichts gemacht.
    Und die Zeit ist vergangen
    und ich konnte sie nicht anhalten.
    Aber ich wollte und will immer noch…
    Jetzt ist es schon zu spät, jetzt würde ich verlieren!
    Der Moment kommt nicht zurück.
    Die Zeit hat gewonnen gegen meinen Mut.


    (Beatriz Albuquerque aus Amadora, Portugal, Schule Oficinas de S.Jose., Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: portugiesisch)


    Verpasste Gelegenheit
    Wie ich verpasst habe
    dein Lachen zu hören
    Wie ich verpasst habe
    in deine Augen zu schauen
    deine sanften Bewegungen
    und dein vertrautes Gesicht
    alles vorbei!
    Wie ich verpasst habe
    dich besser kennen zu lernen
    Wie ich verpasst habe
    dich zu fragen
    ob du mit mir kommen wolltest
    Langsam bist du weggegangen.
    Langsam habe ich alles verpasst.


    (Isabella von Wallwitz aus São Paulo, Brasilien, Colégio Visconde de Porto Seguro, Jahrgangsstufe 6, Muttersprache: portugiesisch)