Mittwoch, 24. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Oktober 2015

Im Oktober habt ihr hinter die Fassade der Freundschaft geschaut. Was macht einen wahren Freund aus? Woran erkennt man ihn? „best friends: farbfamilien merkt man sich“ – aber was ist, wenn man gar nicht die gleiche „farbfamilie“ bildet? Inspirieren lassen konntet ihr euch von Sabine Schos Gedicht „best friends“ und Renoirs Gemälde „La fin du déjeuner“ aus dem Frankfurter Städel-Museum.

31.10.2015
    Der Oktober fragte nicht einfach nach euren Gedanken zum Thema Freundschaft, sondern etwas konkreter nach "farbfamilien", nach "best friends", die ihresgleichen suchen. Nach Freunden, die sich so vertraut sind, dass sie eine besondere Art der Familie bilden. Doch nicht alle "Freunde" sind wirkliche, viel zu schnell betitelt man Bekannte als solche, obwohl sie der Bedeutung des Wortes nicht gerecht werden. Aber woran erkennt man, ob es wahre Freundschaft ist, ob man eine "farbfamilie" bildet?
    Ein Freund ist jemand, dem du vertraut bist und vertraust, der dich unterstützt, aber auch kritisiert, der für dich da ist, dir Halt und Orientierung bietet. Jemand, dem du dich öffnen kannst mit den Worten "Schau nur / Schau in mich rein! Dort siehst du, / was man nicht sehen kann". Jemand, der "die tränen in deinem lachen" hört, denn "vormachen? Kannst du [ihm] nichts". Er gibt dir Sicherheit, so dass deine Ängste zur Ruhe kommen und du "sicher [bist] für heute".
    Aber es gibt auch Freundschaften, die belasten. In denen man nicht man selbst sein kann. Man versteckt sich hinter einer Maske und kann doch dadurch nicht glücklich sein, denn was hilft schon ein Gespräch wie "wie geht es dir heute? / schlecht ... / erschrecken in fremden augen / falsche antwort" – "ein warum ... ist unbequem / warum ... / ... frisst zeit / ... belastet / vielleicht ... / müsste man / hilfe anbieten", aber "verständnis ist dünnhäutig / erschöpft sich schnell".
    Doch im Idealfall, in der wahren Freundschaft, erweitert man seinen Horizont durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen, denn "Freundschaft ist der Sicherheitsgurt der Schaukel des Lebens [...] Freunde leuchten in den gleichen Farben / Weil sie die gleichen Wellenlängen haben / Weil sie zusammen heller strahlen / Sich verstärken, Bilder malen".
    Wir gratulieren den Gewinnern im Oktober und danken euch allen für eure Einsendungen!
    Die Monatsgewinner im Oktober 2015:
    chronik unserer freundschaft
    unterm bett versteckt
    staubflusen im haar
    flausen im kopf
    nachbarn erschreckt
    aus mülltonnen
    flüstern aus schlafsäcken
    dein aquarium summt
    stumm schlummernd nebeneinander
    rücken aneinander
    unsere erste große liebe
    später würden wir ihn beide heiraten
    popcornschlachten
    dachten aneinander entlang
    so lang
    das schweigen in der bahn
    einsteigen aussteigen sitzen bleiben
    stummes leiden
    doch ich hör die tränen in deinem lachen
    vormachen? Kannst du mir nichts
    stiegen um von tee auf bier
    und ich schenk dir reinen wein ein
    während wir unter sternen liegen
    im schlafsack flüstern
    rücken gegeneinander
    "weißt du noch damals?"
    Laura Bärtle, 1999
    Teufelskreis Liebe
    Du – Mann – lächelst ihr. Liebe verdammt.
    Sie – Frau – lächelt mir. Frauenliebe.
    Und ich – Frau – lächle dir. Versteh doch, große Liebe!
    Versteh doch, sie will dich nicht -
    aber ich!
    Ich will dich mehr als sie und sonst wer.
    Treffen nur mit ihr wegen dir.
    Du stets dabei wenn sie es ist,
    ich akzeptiere euch beide.
    Doch wahrlich lieben
    - tu ich nur dich.
    Versteh doch, sie will ich nicht.
    Marie Formella, 1998
    Schwarz, gelb, blau,
    Ich schau, mit ewig stetem Blick,
    auf das Meer voller Farben.
    Auf das Meer in mir.
    Auf das Meer, von dem nur ich weiß,
    in dem allein ich zu schwimmen verstehe,
    in dem ich alleine unterzugehen drohe.
    Auf das Meer voller toter, vergangener Farben.
    Sieh nur! Denn du kannst es nicht sehen.
    Doch,
    dort! Das tiefrote Schwarz! schwarz.
    Das mich damals umgab, schwarz,
    als ich vergeblich auf deine Liebe wartete. schwarz?
    Liebtest du mich je?
    Ich sah dich nie wieder.
    Das tiefrote Schwarz blieb mir.
    Das tiefrote Schwarz meiner Schwäche.
    Siehst du das gelbstichige Weiß?
    Doch du kannst es nicht sehen. Unschuldiges Weiß.
    Über dem Schwarz? Um es zu verdecken. Schau doch noch einmal hin.
    Es verdeckt nicht besonders gut, mein Weiß.
    Es verdeckte auch damals schon
    meine Unsicherheit nicht.
    Du konntest sie trinken.
    Liebe um der Liebe Willen. Ich verstand nicht.
    Ich ahnte nur.
    Mein Weiß behielt ich mir auch wenn
    es doch eher ein Gelb war.
    Das tiefrote Schwarz meiner Schwäche.
    Das gelbstichige Weiß meiner Unsicherheit.
    Und die Wellen tragen Schaumkronen.
    Schau nur! Schau in mich rein! Dort siehst du,
    was man nicht sehen kann.
    Ich habe einen Kahn! In meinem Meer.
    Er ist klein, wird von den Wellen hin
    und her geworfen.
    Ist den durch Inzucht verkommenen
    ehernen Farbfamilien meiner Geschichte
    hoffnungslos ausgeliefert,
    wird ihnen nie entkommen.
    Und doch
    ist er mein.
    Mein.
    Er ist blau.
    Damit du ihn sehen kannst! Blau.
    Ich ihn sehen kann? Blau!
    Auch aus der Ferne!
    Ich habe ihn nach dir benannt.
    Blau, wie jene Nacht.
    In der ich dich küsste.
    Und anschließend nach Hause gehen musste.
    Und endlich heimgekommen war.
    Das tiefrote Schwarz meiner Schwäche.
    Das gelbstichige Weiß meiner Unsicherheit.
    Und die Wellen tragen Schaumkronen.
    Doch ich habe einen Kahn.
    Und er ist blau.
    Und ich bin sicher für heute.
    Vincent Grande, 1997
    Käptn Blaubär
    Tintenblaue Schrift
    -Schluchtseewanderung
    Käptn Blaubär
    in Meran getroffen-
    zerissene Shorts
    die Tattoos in
    den Oberschenkeln eingeritzt
    lachen über
    codierte Witze
    die zwei Freundinnen
    negative Integration
    wischen sie mit den Händen weg
    zusammengenähte
    Patch-Work-Pullis
    aus dem Augenzwinkern
    und dem geflüsterten Ton
    vergangener Nächte
    trinken Tee, das ist ihr Vodka
    die kleinen Finger
    ineinander verhakt
    die zwei Freundinnen
    mit der tintenblauen Schrift
    Pia Kostinek, 1997
    Freundschaft in allen Farben

    Mareen Kraft (außer Konkurrenz) und Neele Kosák
    Und hier drei Beiträge "außer Konkurrenz": (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
    Frau mit der Hand
    Die Frau mit der Hand ist weg
    hast du gesagt
    was?
    die Frau mit der Hand
    überrascht waren wir und enttäuscht
    vor allem sehr enttäuscht
    entrüstet fragtest du
    wie man denn jetzt all das sagen sollte
    was?
    all die Liebe, die Freundschaft, wie sehr
    wie sehr man jemanden mag und dass
    man jemanden vielleicht nicht mag, aber er denken soll
    er soll denken, dass man ihn mag
    und wie viel ich dir bedeute
    ich Frau mit der Hand
    doch wie sollst du das nur ausdrücken?
    denn die Frau mit der Hand ist weg
    Die Frau mit der Hand ist jetzt gelb
    was?
    ja, gelb und nicht mehr dieselbe
    ein Plagiat
    nur ein Abklatsch
    die kann das ja gar nicht ausdrücken
    so kalt und gefühllos wie die ist
    gelb
    was?
    ja, all das
    all die Liebe, Freundschaft
    fast hätte ich dir gesagt, wie groß unsere Liebe ist
    kein gelb, kein rot bedeutet so viel
    wie die weiße Frau im pinken Shirt
    keine Liebe
    wie soll man sie auch ausdrücken?
    denn die Frau mit der Hand ist weg
    Weil Liebe nur um der Liebe Willen
    nicht mehr hält,
    wenn sie nichts mehr hält
    was?
    Liebe hält nur
    weil sie ein Gefühl ist
    und man Gefühle nicht sehen kann
    was?
    die Frau mit der Hand ist weg
    aber du liebst mich trotzdem
    hast du gesagt
    Victoria Helene Bergemann, 1997
    ich lächle
    gierig küsst die sonne
    tautropfen aus bunten blumenkelchen
    ich liebe dieses schauspiel
    es ist echt
    ich lächle
    manchmal ist es echt
    oft ist es falsch
    tränen ängstigen andere
    lächeln beruhigt
    wie geht es dir heute?
    schlecht ...
    erschrecken in fremden augen
    falsche antwort
    sie zieht ein warum nach sich
    ein warum ... ist unbequem
    warum ...
    ... frisst zeit
    ... belastet
    vielleicht ...
    müsste man
    hilfe anbieten
    ich lächle
    ich zeige euch
    was ihr sehen wollt
    zuviel es geht mir nicht gut
    zuviel anderssein
    solche
    schicksale schaut man sich im fernsehen an
    liest man in illustrierten
    verständnis ist dünnhäutig
    erschöpft sich schnell
    ich wende mein gesicht
    der sonne zu
    vielleicht trocknet
    sie meine tränen
    ich lächle
    anderssein sprengt nähe
    ich lächle
    Marie-Celestine Cronhardt-Lück-Giessen, 2000
    o. T.
    eine flasche trockener rotwein
    ich starre hinaus
    mein blick
    getrübt
    die hohen fenster
    stumm
    das nebelklopfen an der scheibe
    unergründlich
    der ausdruckslose blick
    des laubbedeckten glascontainers
    anonym
    schlummert in dessen bauch
    eine leere flasche trockener rotwein aus spanien
    die wir einst gemeinsam tranken: viva la amistad
    dahinter verschwommen
    unser maisfeld: kahle stoppeln
    und die brombeerhecke: nur noch dornengestrüpp
    unsere worte längst verhallt -
    als ein
    blick noch so viel sagen konnte
    wir
    so tief und klar und vertraut über alles sprachen
    gemeinsam diskutierten
    und gemeinsam pferde stahlen -
    ich starre hinaus
    mein blick
    getrübt
    die hohen fenster
    stumm und feucht
    der umhüllende nebeldunst
    hinter dem im verborgenen
    von bauern die trauben geerntet werden
    und sich die drehende erde im sonnenlicht
    weinrot färbt
    Aaron Schmidt-Riese, 1995