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Die Mär vom Ballbesitz

Sportlich besehen, entwickelt sich diese erste Fußball-WM auf afrikanischem Boden zur reinsten Mogelpackung: Spätestens im Viertelfinale ist sie zu einer Art Copa America mit transatlantischen Gästen geworden.

Von Thomas Kistner | 30.06.2010
    Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay haben es unter die letzten acht Teams geschafft, das ist nicht nur ein historischer Wert, sondern birgt überdies die Möglichkeit, dass ab dem Halbfinale nur noch südamerikanische Mannschaften im Rennen sind - sie treffen nämlich nicht aufeinander, sondern auf die drei verbliebene Europäer sowie die Auswahl von Ghana.

    Was hinter dieser latinischen Erfolgswelle steckt, das hat diese WM bereits gezeigt. Fußball konnten sie ja immer spielen zwischen Zuckerhut und Rio de la Plata, nun haben sie ihre Kräfte organisiert und ihre Schwächen minimiert. Das bedeutet zum einen Teambuilding: Die Mannschaft ist der Star, nicht mehr einzelne Überflieger, wie früher all die Ronaldos und Ronaldinhos. Brasiliens Trainer Dunga wird in der Heimat regelrecht angefeindet wegen seines unspektakulären Ergebnisfußballs, doch seine 22 Spieler aus zumeist zweitklassigen Klubs stehen wie eine Wand hinter ihm. Nicht mal der skandalumwitterte Verbandschef Ricardo Teixeira hat es geschafft, auf Drängen des allmächtigen TV-Senders Globo Dungas Verbot aufzuheben, die Mannschaft beim WM-Training zu filmen.

    Den vermeintlichen Gegenpol zu diesen disziplinierten Brasilianern bildet Argentinien mit seinem Star-Ensemble. Doch gibt es auch hier eine Personalie, die jede Selbstdarstellung von einzelnen Spielern obsolet macht: Diego Maradona ist der Star, unter der offiziellen Rollenbezeichnung als Trainer. Das aber ist er nnur formell, sein Trainerstab erledigt die Arbeit, Maradona selbst ist der mediale Blitzableiter und damit das, was empfindsame Seelen wie Messi und Co. brauchen, um im Gleichgewicht zu bleiben. Und die Kicker Uruguays und Paraguays? Sie haben erkennbar die professionellen Strukturen und die Vereinsdisziplin aus ihren europäischen Klubs ins Nationalteam hinübertransportiert.

    Auch auf dem Platz ist eine ähnliche Struktur zu erkennen: Stabile, spielerisch starke Abwehrreihen und torgefährliche Angreifer, dazwischen ein Mittelfeld, das nicht auf Ballkontrolle aus ist, die bisherige Heilslehre, sondern schnellstmöglich überbrückt wird - am liebsten so flott wie beim Handball. Hinten soll der Gegner gegen die Wand laufen, vorne richten es Stürmer, die nicht auf Dribblings aus sind, sondern allein auf Tore: Luis Fabiano, Higuain, Tevez, Suarez oder Forlan sind Namen, die für Treffer bürgen.

    Derweil beklagen Asiens und Afrikas Teams einen Stillstand der Entwicklung. In Europa aber wird die Lehre vom anhaltenden Ballbesitz als Schlüssel zum Erfolg nach dieser WM sicher überdacht. Schon im Champions-League-Finale hatte ja der FC Bayern München deutlich mehr Ballbesitz. Mit 2:0 gewonnen aber hat Inter Mailand, gespickt übrigens mit Latino-Fußballern.