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"Die Mehrheit der Türken will den Frieden mit den Kurden"

PKK-Chef Abdullah Öcalan habe seine Vorschläge für eine Waffenruhe bereits im Jahr 2009 formuliert, sagt Günter Seufert, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Nach 30 Jahren bewaffnetem Kampf habe der türkische Staat jetzt eingesehen, dass er die PKK militärisch nicht besiegen kann.

Günter Seufert im Gespräch mit Christiane Kaess | 22.03.2013
    Christoph Heinemann: Im Kurden-Konflikt in der Türkei gibt es nach fast 30 Jahren blutiger Kämpfe Hoffnung auf eine Friedenslösung. Der inhaftierte kurdische Rebellenführer Öcalan rief seine Anhänger zu einer Waffenruhe und einem Rückzug der Kämpfer auf. Der türkische Ministerpräsident Erdogan begrüßte den Friedensaufruf als "sehr positiv". Darüber hat meine Kollegin Christiane Kaess mit Günter Seufert gesprochen, dem Türkei-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik, und ihn gefragt, ob diese nach mehreren anderen Friedensinitiativen, die ja erfolglos geblieben sind, nun bessere Erfolgschancen hat.

    Günter Seufert: Sie hat viel bessere Chancen, weil sie viel besser vorbereitet worden ist und weil sie direkt den Führer der PKK, Abdullah Öcalan, einbezieht.

    Christiane Kaess: Wie ist sie vorbereitet worden?

    Seufert: Oh, es gab mehrere Monate Geheimverhandlungen mit Öcalan, geführt vom türkischen Geheimdienst, und es gab vor allen Dingen eine allmähliche Gewöhnung der türkischen Bevölkerung an die Verhandlungen mit Öcalan, dadurch, dass dreimal Delegationen der pro-kurdischen Partei den Führer der PKK auf seiner Gefängnisinsel besuchen konnten.

    Kaess: Welche Absprachen sind denn genau getroffen worden bei diesen Vorverhandlungen?

    Seufert: Das ist nicht bekannt. Aber es ist bekannt, dass die Regierung sich doch stark auf Vorschläge Öcalans eingelassen hat, die der eigentlich bereits 2009 formuliert hat und die vorsehen, dass die PKK erst einmal eine Waffenruhe erklärt, dann einen Termin, nämlich Mitte Juni, festlegt, zu dem sie ihre bewaffneten Kämpfer aus der Türkei abziehen will, und es sind auch bekannt die Bedingungen, die Öcalan gestellt hat, nämlich dass in diesem Zeitraum das Parlament nicht nur eine Wahrheitsfindungskommission gründet, sondern auch eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen beschließen soll, die die kulturelle Benachteiligung der Kurden aufheben sollen und die gleichzeitig dazu führen sollen, dass die Kurden so etwas wie einen eigenen Status in der Republik Türkei erhalten sollen.

    Kaess: Jetzt heißt es vonseiten der PKK, die PKK sei genauso zum Frieden fähig, wie sie das bisher zum Krieg gewesen sei. Glauben Sie an den Rückzug der bewaffneten Kämpfer?

    Seufert: Ich glaube an die Möglichkeit. Ich glaube an die Möglichkeit, eben weil das eine Position ist, die Öcalan schon seit 2009 vertritt, und weil Öcalan diesen Schritt mit dem Zentrum des bewaffneten Kampfes in den Kandilbergen genauso abgesprochen hat wie mit den PKK-Kreisen in Europa. Von daher denke ich, dass die Organisation bereit ist, diesen Schritt zu tun.

    Kaess: Wieso sagt Öcalan, die bewaffneten Kämpfer sollen sich in den Nord-Irak zurückziehen? Dort liegt das Hauptquartier der PKK. Warum sollen die nicht die Waffen abgeben?

    Seufert: …, weil natürlich keine Seite der anderen vollkommen traut. Wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Krieg jetzt genau seit 30 Jahren geführt wird, dass er ungefähr 35.000 Tote, natürlich meist Kurden, aber auch sehr vielen Türken das Leben gekostet hat, dass es verschiedene vorher Friedensinitiativen gab, die dann abgebrochen worden sind, auf halbem Wege stecken geblieben sind, dass die türkische Regierung bisher, also der Ministerpräsident Erdogan, sich sehr zurückhält, die von Öcalan oder von der PKK geforderten Gesetzesänderungen auch wirklich öffentlich bekannt zu geben, weil er nationalistische Reaktionen der türkischen Bevölkerung fürchtet. Also es ist ein sehr, sehr fragiler Prozess. Trotzdem glaube ich, dass er Chancen hat, sich umzusetzen.

    Kaess: Aber wenn es dieses Vertrauen nicht gibt, ist das doch eine ganz schlechte Voraussetzung und eine ganz schlechte Basis für diese Friedensinitiative?

    Seufert: Das ist eine ganz schlechte Basis, aber das sind nun mal die Ausgangsbedingungen.

    Kaess: Nun hat der türkische Premierminister Erdogan zwar gesagt, wenn es keine bewaffneten Angriffe der PKK mehr gebe, dann gebe es auch keine mehr vonseiten des türkischen Militärs. Aber gleichzeitig hat er direkt kritisiert, bei der Kundgebung heute seien keine türkischen Fahnen geschwenkt worden. Wie ist denn diese Bemerkung einzuordnen?

    Seufert: Das ist genau das, was ich versucht habe zu erklären. Wichtig an dieser Stellungnahme oder dieser Äußerung Erdogans ist die Wiederholung, dass es keine türkischen Militäroperationen geben wird, wenn die PKK ihrerseits die Waffen ruhen lässt. Das ist ein vollkommen neuer Schritt. Zu diesem Schritt war die türkische Regierung vorher nicht bereit. Dass Erdogan gleichzeitig sich darüber beklagt, dass keine türkischen Fahnen aufgehängt worden sind, dient dazu, ist letzten Endes eine Message an die türkische Bevölkerung, die sagen soll, wir halten nach wie vor an der Einheit des Staates und der Einheit der türkischen Nation fest.

    Kaess: Welche Rolle hat der türkische Premierminister Erdogan gespielt bei dieser Annäherung?

    Seufert: Er ist die zentrale Figur, weil nur ein türkischer Premierminister, der erstens nicht auf eine Koalitionspartei angewiesen ist, der zweitens in der dritten Legislaturperiode immer noch über 50 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung verfügt und der über ein starkes persönliches Charisma verfügt, kann es sich überhaupt leisten, einen 30 Jahre langen Krieg mit all den dazugehörenden Feindbildern und all dem dazugehörenden Hass und der dazugehörenden Verbitterung überhaupt beenden zu wollen.

    Kaess: Und welche Motivation hat Erdogan, mit den Kurden einen stabilen Frieden zu schließen?

    Seufert: Das sind eine ganze Reihe von Motivationen. Erstens hat der türkische Staat wohl eingesehen, dass er die PKK militärisch nicht besiegen kann. Man darf nicht vergessen, dass die PKK 1983 mit 150 bewaffneten Kämpfern den Krieg begonnen hat und dass es der türkischen Armee in diesen 30 Jahren nicht möglich war, die PKK auf diese Größe erneut zu reduzieren. Und selbst wenn sie es geschafft hätte, wäre es natürlich auch keine Garantie, dass sie die PKK militärisch besiegen kann. Und zweitens ist in diesen 30 Jahren eine neue Generation nachgewachsen von Kurden, die bereits in diese nationalistische Auseinandersetzung hineingeboren worden sind. Das heißt, die PKK repräsentiert heute nicht nur eine Terrororganisation, sondern sie repräsentiert politisch auch eine ganz starke Strömung in der kurdischen Bevölkerung der Türkei, die man nicht mehr einfach in türkische Parteien oder in islamische Parteien integrieren kann.

    Kaess: Also Sie glauben auch, die Mehrheit der Türken will den Frieden mit den Kurden?

    Seufert: Die Mehrheit der Türken will den Frieden mit den Kurden. Auch das ist eine Entwicklung, die in den letzten zwei Jahren langsam angefangen hat, deutlich zu werden. Heute unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung Verhandlungen mit der PKK.

    Heinemann: Günter Seufert, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Fragen stellte meine Kollegin Christiane Kaess.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.