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"Die Möglichkeiten zur Manipulation sind groß"

Die Demonstranten in Kairo fühlen sich um die Früchte der Revolution betrogen. Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, sieht knapp eine Woche vor den ägyptischen Parlamentswahlen wenig Chancen, dass sich der Militärrat von seiner Macht verabschiedet.

Franziska Brantner im Gespräch mit Peter Kapern | 22.11.2011
    Peter Kapern: Seit dem vergangenen Freitag halten sie nun an, die gewalttätigen Demonstrationen in Ägypten. Dutzende Menschen haben dabei das Leben verloren, mehr als 2.000 wurden verletzt. Die Proteste richten sich gegen den Militärrat, der nach dem Rücktritt von Ex-Staatschef Mubarak die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Die Demonstranten verlangen einen schnelleren und entschiedeneren Übergang zur Demokratie.
    Mitgehört hat Franziska Brantner, die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen, Frau Brantner.

    Franziska Brantner: Guten Morgen.

    Kapern: Frau Brantner, ägyptische Medien sprechen von einer zweiten Revolution, die dort im Moment ablaufe. Teilen Sie diese Bewertung und wenn ja, ist diese zweite Revolution auch notwendig?

    Brantner: Ich glaube eher, dass es noch die erste ist, die noch nicht vollendet ist. Man kann es natürlich auch als zweite sehen, aber es ist natürlich sicherlich so, dass es jetzt wirklich darum geht, in welche Richtung sich Ägypten entwickelt, ob es Richtung Tunesien geht oder doch eher Richtung wirklich auch kriegerischer Auseinandersetzungen im Land oder einfach einer Militärmacht, die sich durchsetzt.

    Kapern: Was denken Sie, in welche Richtung wird es laufen?

    Brantner: Momentan habe ich ein ungutes Gefühl. Ich sehe leider doch eine sehr starke Militärmacht, die bis jetzt wenig Anzeichen gibt, sich von ihrer Macht zu verabschieden.

    Kapern: Nun hat ja gestern – wir haben das gerade in dem Beitrag von Björn Blaschke gehört – das Kabinett seinen Rücktritt eingereicht. Noch ist offen, ob der Militärrat diesen Rücktritt annimmt. Würde das die Situation grundlegend ändern, wenn das Kabinett abtreten würde?

    Brantner: Nein, ich glaube nicht. Die Demonstranten kämpfen nicht unbedingt gegen die Regierung, sondern wirklich gegen den Militärrat, der ja auch in den letzten Tagen noch mal die Wahlen jetzt zur Verfassungsversammlung beschränkt hat, indem nur ein Teil direkt gewählt werden soll, der Rest von ihnen bestimmt werden soll, und sie machen immer noch keine Vorgaben für Präsidentschaftswahlen, für ihre Übergabe an eine zivile Regierung. Die Wut richtet sich gegen sie, nicht unbedingt gegen die Regierung. Von daher, glaube ich, wird das die Situation nicht beruhigen. Die Frage ist natürlich, ob in dieser Atmosphäre die Wahlen stattfinden und wie die Wahlen stattfinden nächste Woche. Davon wird jetzt viel abhängen und ich glaube, das ist ein Schritt, der versucht, ihnen Luft zu geben. Aber letztendlich wird er die Demonstranten nicht beruhigen können.

    Kapern: Will der Militärrat überhaupt eine Demokratie, oder will er sie langsamer, zögerlicher, als dies die Menschen in Ägypten wollen?

    Brantner: Also ich glaube, man kann denen nicht generell absprechen, dass sie wahrscheinlich ihr Land auch nach vorne bringen wollen, aber sie wollen natürlich auch ihre eigene Machtposition behalten. Sie dürfen nicht vergessen, dass dem ägyptischen Militär mindestens ein Drittel der Wirtschaft gehört, dass es große Fragen gibt natürlich, wie mit ihren Unrechtstaten auch in der Vergangenheit umgegangen werden soll. Ich glaube, dass einfach große Angst auch auf Militärseite ist, was passiert, wenn sie ihre Macht abgeben müssen. Deswegen weigern sie sich auch so sehr dagegen, zum Beispiel das Militärbudget zu veröffentlichen, demokratisch legitimieren zu lassen. Ich glaube, es geht da viel um ihre eigenen Pfründe, und ich sehe leider bei dem ägyptischen Militär nicht diese Ausrichtung, die sie vielleicht noch bei dem türkischen Militär mal war, auf eine Verpflichtung auf einen säkularen Staat, der Wahlen auch abhält. Das haben wir in der Stärke in Ägypten bis jetzt noch nicht zu sehen bekommen.

    Kapern: Wer oder was kann das Militär in Ägypten dazu bewegen, von dieser Position abzurücken?

    Brantner: Momentan fragen sich viele, wer hat denn überhaupt noch Einfluss in dieser Situation. Ich glaube, der europäische Einfluss ist beschränkt, auch wenn er noch nicht genügend ausgenutzt wird. Die Amerikaner haben noch mehr Einfluss über das Militär, denke ich mal, als die Europäer. Und dann hängt natürlich viel davon ab, wie sich jetzt die Situation in Ägypten entwickelt, also inwieweit breite Massen sich wieder den Demonstrationen anschließen oder ob es nur die Jugendlichen sind, die auf die Straße gehen. Es ist ja auch nicht so, dass ein Teil der Ägypter auch wirklich Angst davor hat, ob sein Land im Chaos untergeht und diese Argumentation des Militärs, es sorgt für Sicherheit, auch glauben. Es ist eine sehr komplexe Situation. Also ich glaube, es hängt viel auch davon ab, inwieweit in Ägypten die Unternehmer, die große Masse, die bis jetzt auch noch schweigt, wie die sich entscheidet, und dann natürlich, ob Wahlen abgehalten werden oder nicht. Wenn Wahlen abgehalten werden sollten, glaube ich, wäre das ein richtiger Schritt. Wenn sie jetzt abgesagt werden, dann ist, glaube ich, das Fenster der Einflussnahme noch geringer.

    Kapern: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Wahlen, die ja am kommenden Montag beginnen sollen, abgesagt werden?

    Brantner: Also ich glaube, es ist nicht mehr ganz unwahrscheinlich. Für heute ist ja noch mal eine sehr große Demonstration angekündigt. Wenn das eskalieren sollte, dann kann ich mir vorstellen, dass die Militärs sagen, in dieser Situation jetzt aber keine Wahlen. Das ist, glaube ich, nicht ganz ausgeschlossen. Ich hoffe wirklich, dass es nicht dazu kommt. Viel hängt, glaube ich, davon ab, wie sich die nächsten Tage entwickeln werden. Aber ich glaube, man sollte es nicht komplett ausschließen, und das ist auch eine der Ängste, die natürlich die Demonstranten umtreibt, dass man ihnen das bisschen Wahl, was man bis jetzt vorbereitet hat, schon wieder untersagt.

    Kapern: Was würde es bedeuten, wenn das Militär die Wahlen, die am Montag beginnen sollen, absagen würde?

    Brantner: Ich glaube, dann hätte man wahrscheinlich wirklich noch mal eine große Protestbewegung im Land, und wenn es dann nicht einen Rahmen gäbe, wann die Wahlen dann stattfinden sollten, und einen wirklichen Dialog auch zwischen Militär und den zivilgesellschaftlichen Akteuren, einen wirklichen Zeitplan für die Übergabe der Macht, dann wird es, glaube ich, sehr kritisch. Und dann hängt meiner Meinung nach viel davon ab, wie sich auch die internationale Gemeinschaft stellt, ob sie endlich es schafft, den Mund zu öffnen, den Militärrat auch wirklich klar zu kritisieren und auch in Ägypten wieder klare Worte zu finden für die aktuelle Situation.

    Kapern: Die Wahlen, die am Montag beginnen sollen, die laufen ja nach einem sehr seltsamen, für uns jedenfalls sehr seltsamen Modus ab. Sie ziehen sich über mehrere Monate hin, ein Ergebnis wird es erst im Januar geben. Spricht das dafür, dass es sich dabei gar nicht um echte, also freie, geheime und gleiche Wahlen handelt?

    Brantner: Sagen wir mal so: Ein Prozess, der über mehrere Monate hingeht, hat natürlich mehrere Zeitfenster, um die Wahlen auch zu manipulieren. Das sehen wir schon mit großer Besorgnis. Wir wollen deswegen jetzt nicht generell die Wahlen an sich schon absprechen und sagen, sie können eh nichts Demokratisches hervorbringen, aber natürlich sind die Möglichkeiten zur Manipulation über so einen längeren Prozess hin größer, und das ist auch sehr intransparent für viele Ägypter, wie jetzt wirklich die Wahlen sich vollziehen werden. Es gibt ja auch keine Wahlbeobachtung, die von außen zugelassen ist. Das hat man auch verboten von der Militärratseite her. Dadurch schafft man natürlich noch mal einen gewissen stärkeren Grad an Intransparenz. Von daher: Ich würde ihnen auch nicht jegliches Maß an Demokratie absprechen; ich glaube, es wäre ein sehr wichtiger Schritt trotz allem. Aber die Möglichkeiten zur Manipulation sind groß.

    Kapern: Franziska Brantner war das, die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament in Brüssel. Frau Brantner, ich bedanke mich für das Gespräch. Auf Wiederhören!

    Brantner: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.