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"Die müssten dann möglicherweise etwas warten"

Es sei einfach zu wenig Geld für ordentliche Behandlungen im Gesundheitssystem, sagt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Daher fordert er eine Reform des Gesundheitssystems und eine Behandlung der Patienten nach Priorität - und bestreitet, dass die Politik den Dialog mit den Ärzten aus dem Weg geht.

Jörg-Dietrich Hoppe im Gespräch mit Stefan Heinlein | 19.05.2009
    Stefan Heinlein: Höhere Praxisgebühren, Prioritätenlisten, mehr Zusatzversicherungen - die Ärzte und ihre Verbände überschlagen sich in den vergangenen Tagen geradezu mit immer neuen Rezepten zur Reform unseres Gesundheitswesens. Doch es bleibt nicht bei lautstarken Appellen an die Politik; mit Praxisschließungen verleihen die Ärzte ihren Forderungen wieder einmal Nachdruck. Leidtragende sind die Kassenpatienten. Viele sind verunsichert, ob auch künftig ihre Gesundheit in besten Händen ist. Heute dürfte die Temperaturkurve in der ohnehin erhitzten Debatte weiter steigen; in Mainz beginnt der Deutsche Ärztetag. Am Telefon begrüße ich jetzt den Präsidenten der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe. Guten Morgen, Herr Hoppe.

    Jörg-Dietrich Hoppe: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Wir haben es gehört: Ulla Schmidt kommt nicht zu Ihnen nach Mainz. Sind Sie enttäuscht?

    Hoppe: Nein. Deswegen nicht: Sie hat vorige Woche angerufen und hat gesagt, dass in Genf sich im Rahmen der WHO alle Gesundheitsminister treffen, um über das Thema Pandemie und Pandemiebekämpfungsplanung zu sprechen, und da möchte sie als deutsche Gesundheitsministerin keine Ausnahme machen. Es wird also kein sogenanntes Arbeitsebenentreffen sein, sondern ein politisches Ministertreffen. Sie bedauert das sehr, denn es ist das erste Mal seit 2001, dass sie nicht teilnehmen kann, und wir bedauern das genauso.

    Heinlein: Nun aber mal ehrlich: Die Konferenz in Genf dauert bis Freitag, ein, zwei Stunden hätte sie für ihre Rede schon nach Mainz kommen können.

    Hoppe: Ja. Wir haben die Eröffnung am heutigen Dienstag und da ist auch der Platz, an dem diese Rede immer vorgesehen ist und auch die nötige Öffentlichkeit vorhanden ist. Wenn sie irgendwann zwischendurch mal bei uns vorbeischaut, dann wird das nur noch wenige interessieren, weil die Presse dann auch meistens abgereist ist, und dann ist natürlich der Effekt, der dabei herauskommen soll, auch nicht mehr so groß. Also wir werden den Herrn Staatssekretär Schröder hören.

    Heinlein: Interessiert Sie denn, was Ulla Schmidt Ihnen zu sagen hat?

    Hoppe: Ja, natürlich interessiert uns das und wir werden auch noch viele Diskussionen weiter führen. Die eben angesprochenen Schweden haben 15 Jahre diskutiert, bevor sie eine Reform durchgeführt haben, und haben sie jetzt seit vier Jahren. Das ist auch nach wie vor ein Diskussionsthema bei denen. Insofern, glaube ich, brauchten wir auch noch einige Zeit, um diese Vorschläge, die wir gemacht haben, alle mit ihr durchzudiskutieren.

    Heinlein: Herr Hoppe, wie werten Sie denn das Signal der Ministerin? Haben Sie keine Sorge, als politischer Gesprächspartner von Seiten der Koalition nicht mehr ernst genommen zu werden?

    Hoppe: Nein. Das hat keinen Zusammenhang mit dem Vorschlag. Die Absage kam auch bevor dieser Vorschlag richtig in der Welt war. Es ist nicht so, dass wir uns über dieses Thema auseinanderdividiert hätten, sondern es ist ganz einfach der Punkt, dass diese Pandemiekonferenz wichtiger ist für sie und sie als deutsche Gesundheitsministerin nicht zurückstehen will. So hat sie es uns gesagt und das glaube ich ihr auch.

    Heinlein: Herr Hoppe, es gibt ja nicht nur einen Vorschlag von Seiten der Ärzte, sondern wir haben es gehört in unserem Bericht: eine ganze Reihe von Vorschlägen. Ist diese Vielstimmigkeit der Ärzte und ihrer Verbände vielleicht ein Grund für die fehlende Dialogbereitschaft der Politik?

    Hoppe: Fehlende Dialogbereitschaft haben wir ja nicht, denn der Herr Staatssekretär kommt, ein sehr kundiger Mann dieses Ministeriums, der Herr Dr. Schröder, und der wird uns heute zur Verfügung stehen und uns auch heute eine Botschaft aus dem Ministerium bringen, die genauso lang sein wird wie die, die die Ministerin selbst gehalten hätte. Insofern ist ein Dialogabbruch nicht vorhanden. Die Vielstimmigkeit kommt dadurch zu Stande, dass wir eben in unserem Gesundheitssystem nur sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die gesetzlich Krankenversicherten ausgeben und andere Länder geben neun Prozent aus. Das wird nie so richtig offengedeckt und nie diskutiert und diese Diskussion wollen wir unbedingt. Da ist natürlich die Vielstimmigkeit zunächst einmal verständlich, aber da wird sich eine Linie durchsetzen - mit Ausnahme der der Erhöhung der Praxisgebühr. Das glaube ich nicht, dass das eine Chance hat, und ich würde das auch nicht für gut finden.

    Heinlein: Herr Hoppe, sprechen wir über ihr Reformkonzept. Sie fordern erneut wie schon in den vergangenen Jahren eine Prioritätenliste für die Behandlung von Kranken. Heißt das im Klartext, der Schwerkranke wird zuerst behandelt, alle anderen müssen warten?

    Hoppe: Das bedeutet, dass wir eine Dreistufigkeit - die Schweden haben sogar eine Vierstufigkeit - von Prioritäten, also von Vorrangigkeiten haben. Schwerkranke und lebensbedrohlich Kranke, solche, die hohen Leidensdruck haben, solche, die Tumore habe, bei denen etwa eine Ausbreitung für sie gefährlich werden kann, die müssen bevorzugt werden, wenn das Geld budgetiert ist, wenn wir nur eine gewisse Masse zur Verfügung haben, und diejenigen, die zwar auch krank sind, bei denen die Erkrankung aber nicht zu einer Lebensbedrohung führt und auch nicht führen wird, sondern die leiden, zum Beispiel die Verschleißkrankheiten, die müssten dann möglicherweise etwas warten, bis das Geld wieder da ist, mit dem sie behandelt werden können. Es wird vielleicht auch einige Erkrankungen geben, oder sagen wir mal Unpässlichkeiten, die keinen echten Krankheitswert haben oder keine Schäden darstellen, die dann vielleicht auch aus dem System herausfallen und ganz in die sogenannte Eigenverantwortung überstellt werden. Das muss aber gründlich diskutiert werden. Wir möchten, dass das die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, denn es ist einfach zu wenig Geld in dem System - nicht für die Honorierung der Ärzte, sondern für eine gute Patientenbetreuung.

    Heinlein: Aber Herr Hoppe, wenn ich Sie richtig verstanden habe, müssen auch diejenigen warten - so fordern Sie zumindest -, die durch einen ungesunden Lebensstil ihre Krankheit selber verursacht haben?

    Hoppe: Da möchten wir diejenigen darauf aufmerksam machen, dass sie ihre Lebensweise, die sie ja individuell praktizieren, was die Folgen davon angeht, nicht auf die Allgemeinheit übertragen sollen, sondern dass sie sich Gedanken machen sollen, ob sie nicht durch ihre Lebensweise das System schädigen, wenn sie sich selber durch Bewegung, durch vernünftige Ernährung beispielsweise den Fettstoffwechsel in Ordnung bringen und gar keine Medikamente brauchen, ob sie sich nicht selber einen höheren Nutzen damit verschaffen und die Allgemeinheit nicht belasten.

    Heinlein: Was ist denn mit dem schwerkranken, dickleibigen Raucher? Wird der, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nicht sofort behandelt, weil er an seiner Krankheit selber schuld ist?

    Hoppe: Das kann man so nicht sagen, denn es kommt darauf an, welche Krankheit er entwickelt. Wenn er nur einen hohen Cholesterinspiegel hat, dann wird man ihm empfehlen, seine Ernährungsgewohnheiten umzustellen, um zu sehen, wie weit der ohne Medikamente runterzubekommen ist, und wenn er einen Tumor bekommt, dann gehört er zu denjenigen wie alle anderen auch, die schwerkrank sind und bei denen die erste Prioritätenstufe eintrifft.

    Heinlein: Aber der Fußballspieler mit einem Beinbruch, der wird sofort behandelt?

    Hoppe: Der Fußballspieler mit dem Beinbruch ist ja durch seinen Verein versichert und der wird natürlich sofort behandelt, oder dann, wenn der Bruch oder die Folgen dieses Bruches so weit sich organisiert haben, dass eine operative Behandlung oder ein Gips oder sonst etwas möglich sind. Das ist ja eine ganz andere Dimension und in der Regel belasten diese Menschen auch das Krankenversicherungssystem nicht, weil die Unfallversicherung solche Ereignisse mitfinanziert.

    Heinlein: Ganz praktisch, Herr Hoppe, wer soll denn im Alltag einer Arztpraxis entscheiden, ob eine Krankheit selbst verschuldet ist oder nicht?

    Hoppe: Das wollen wir eben raus aus der individuellen Patient-Arzt-Beziehung, wo es im Moment stattfindet, dass Ärzte jonglieren müssen zwischen ihren Patienten, wie sie mit ihrem Geld zurechtkommen, das wollen wir aus dieser individuellen Patient-Arzt-Ebene herausholen auf eine höhere Ebene und deswegen diese Überlegung des Gesundheitsrates, der ganz was anderes machen soll übrigens als der gemeinsame Bundesausschuss und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Der soll nämlich bestückt werden mit Leuten, Ärztinnen und Ärzten, Patientenvertretern, die wirklich an der Front erleben, was in unserem System passiert, während die, die im gemeinsamen Bundesausschuss agieren, sagen wir mal so die fünfte Filterstufe an Informationen haben und deswegen andere Entscheidungen fällen als diejenigen sie fällen würden, die wirklich an der Front arbeiten.

    Heinlein: Herr Hoppe, unter dem Strich: mehr zahlen, weniger bekommen, ist das die Zukunft des deutschen Kassenpatienten?

    Hoppe: Ich würde sagen, es wird wohl nicht anders gehen, als in das System mehr Geld hineinzugeben. Ob das durch Beiträge geschieht, oder ob das durch Steuermittel geschieht, das müssen wir sehen, denn neuerdings ist ja unser Gesundheitssystem auch zum Teil steuerfinanziert und ich habe den Verdacht, dass es so langsam aber sicher in ein steuerfinanziertes System herübergleitet. Und dann muss man auch auf der Ausgabenseite eben wie gesagt steuern, damit das System nicht überfordert wird. Aber ich sage noch mal: Sechs Prozent zu neun Prozent des Bruttoinlandsproduktes wie in anderen Ländern ist unser Delta und man sollte überlegen, wie man dieses Delta beseitigt, damit eine gute Patientenversorgung ohne nennenswerte Leistungseinschränkungen auch in der Zukunft möglich ist.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk: Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Herr Hoppe, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hoppe: Gerne.