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Die Nacht der Könige

Es ist heiß und stickig, atemberaubend stickig, an dem Tag, an dem Beuses Roman beginnt. Und es wird die ganzen Seiten über keinerlei Wetterumschwung geben. "Die Stadt zog an ihm vorbei wie ein überbelichteter Film, eine Fieberphantasie aus Hitze und Staub.", schreibt Stefan Beuse und zeigt uns Weingummis, die auf der Ablage des Autos schmelzen. Oder den Geruch verwesender Tauben, der über den Asphalt flirrt. Es ist eine Atmosphäre, in der man vom bloßen Leben Fieber bekommt, ein Tag, an dem auch die ziemlich Gesunden anfangen zu delirieren. So wie der junge Werbetexter Jacob Winter. Familienvater, Ehemann, gutes Einkommen.

Brigitte Neumann | 14.05.2002
    Jacob Winter ist auf der Fahrt zu einem Kunden damit beschäftigt, im Rückspiegel ein paar seriöse Mimiken einzuüben. Neben ihm Tatjana, die Kontakterin im kleinen Netzkleidchen, macht sich Sorgen, ob Winter diesem Termin wohl mit dem nötigen Ernst entgegensieht. Aber er witzelt nur: "Ach komm, wir machen es wie immer. Du hälst ein bißchen die Pappen hoch und lächelst an den richtigen Stellen."

    Als dann aber jener Kunde, Dr. Korff, Chef des Hamburger Klimatechnikunternehmens C&S, Winter wie einem alten Schulfreund die Hand drückt - und ihm auch die Assistentin Lilly Danato seltsam vertraut vorkommt, vergeht Winter der Humor. Und eine Ahnung graut : Mit diesen Leuten teilte er schreckliche Momente seiner Vergangenheit. Winter weiß etwas, woran er sich unter keinen Umständen erinnern will. Und der Autor Stefan Beuse führt seinen nun von Atemnot und Alpträumen gebeutelten Helden durch ein Labyrinth von Fährten zu einem Ereignis vor zehn Jahren: einem Motivations-Seminar für Manager. Hier wurden die Karriereanwärter im perfekt choreographierten Wechsel von Momenten der Euphorie und Augenblicken absoluter Demütigung mit der dunkel-darwinistischer Ideologie eines gewissen Aleister Crowley infiltriert: "Wölfe seit ihr, geboren, um zu siegen, zu siegen und zu herrschen."

    Stefan Beuse, der über 10 Jahre als Werbetexter gearbeitet hat, weiß, dass solche Lehrgänge zur Förderung der Beißlust, in seiner Branche durchaus keine Seltenheit sind.

    In der Werbeagentur in der ich war, da waren so fünf, sechs Leute, in einem drei Tagesseminar, denen die Augen verbunden wurden am flughafen und die wurden in die Berge gekarrt in so eine Hütte und durften nachher über nichts sprechen, was dort passiert ist. Also die haben wirklich nur Wasser und Brot gekriegt, durften keinen Alkohol und keine Zigaretten und nichts. Und ich vermute, die werden dann so weichgeklopft und was ich durchsickern gehört habe, so runtergeputzt persönlich und auch körperlich, dass die hinterher auch jedes nur halbwegs nette Wort als erfüllend und als Erleuchtung empfinden, dass sie denken, sie sind der glücklichste Mensch und das haben die nachher auch gesagt, das wäre der glücklichste Tag in ihrem Leben gewesen,... Komischerweise haben sich auch drei von den sechs Leuten nachher von ihren Familien getrennt und das muß da schon an die Substanz gegangen sein. Ich weiß ja nicht genau, was dort passiert, aber man hat mir vereinzelt schon gesagt, dass das was da beschrieben wird, dem relativ nahe kommt.

    Der 37-jährige Bachmann-Preisträger Stefan Beuse hat einen Roman geschrieben, in dem es um die Zurichtung von Männern zu Krieg und Sieg geht, um trügerische Sicherheiten und gefährlich verwischte Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit. Und um die Tatsache, dass das menschliche Gehirn alles andere ist als ein exakter Erinnerungsspeicher.

    Drei der herausragenden amerikanischen Kinofilme der letzten Zeit beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema "Traum und Wirklichkeit": "Eyes Wide Shut" von Stanley Kubrick nach Arthur Schnitzlers "Traumnovelle", "Vanilla Sky", mit Tom Cruise als dem Mann mit zwei Gesichtern, dessen Leben sich zum Schluß im virtuell-rätselhaften auflöst. Und David Lynchs "Mulholland Drive", eine Suspense-Story um zwei schöne Frauen in Hollywood, aufgeladen mit Paranoia, Leidenschaft, Hass und Todessehnsucht. Stefan Beuse:

    Als ich diesen Mulholland Drive gesehen habe, da hab ich mir gedacht, dass ich mich gerne mal mit David Lynch treffen würde. Weil mir das sehr sympathisch war. Und vor allem gibt es auch Elemente, die gemeinsam sind, find ich. Dieses Lynch-Filme folgen keiner konkreten, sondern einer Traum-Logik, also man kann diese Filme nur intuitiv verstehen, oder man kann überhaupt nichts mit ihnen anfangen. Und wenn man anfängt, die Handlung nachvollziehen zu wollen, scheitert man oder fällt auf ihn herein. Und das finde ich das sehr reizvolle daran. Das mag ich an Literatur auch.

    In den Filmen von David Lynch beginnt die große Verwirrung immer dann, wenn Sexualität ins Spiel kommt. Genau an diesem Punkt verlässt auch Stefan Beuses Handlung die Ebene der Realität, des logisch Nachvollziehbaren. Und Jacob Winter stolpert, sein Asthmaspray immer fest in der Hand, in eine Welt rätselhafter Phänomene - von denen auch sein Erfinder Stefan Beuse nicht sagen kann, ob sie pure Einbildung oder wahr sind:

    Ich kann sowieso nur über etw. schreiben, was sich mir noch nicht ganz erschlossen habe. Oder was auch für mich etw. Rätselhaftes ist. Und das ist eine Art, das zu bannen oder in irgendetwas zu hüllen, was mir was erklärt. Und wenn sich das lückenlos und ohne einen Rest Rätsel erklärt hat, dann ist auch für den Leser kein Reiz mehr da.

    Obwohl Beuse ab einem gewissen Moment die Handlung zum Schweben bringt, jegliche Grenze zwischen Sein und Schein verwischt, ist sein Roman ein packendes und gleichzeitig raffiniertes Stück psychologischer Literatur. Besser als ein David Lynch-Film. Zwar geht es in beiden um Gier, Verdrängung und Sexualität und um vieldeutige Phantasien, Aber die kann schwerlich ein Film mit seinen eindeutigen Bilder liefern; das ist die Ur-Domäne des Worts: Das Wort mit seinen Assoziationshöfen, Traditionen, der Freiheit, die es dem Leser lässt, sich seine eigene Welt in der der Romanhandlung vorzustellen. Aber Stefan Beuse weiß nach seinen beiden anderen Büchern - dem Roman "Kometen" und der Geschichtensammlung "Wir schießen Gummibänder zu den Sternen" - dass zuviel Freiheit den Leser zur Verzweiflung bringen kann. Das Ungefähre, die Andeutung, das Rätsel ist nur in kleinen Dosen wirklich spannungsfördernd, sonst eher verwirrend. Deshalb hat Beuse in "Die Nacht der Könige" einige Stilelemente des Kriminalromans untergemischt. Es gibt Morde, Verschwörungen, verbotene Liebe und einen Dedektiven - der sucht zwar nach seiner eigenen Vergangenheit, aber es gibt einen:

    Ich hasse eigentlich Krimis. Und ich weiß nicht, wie mir das unterlaufen ist, mit diesen Krimielementen.. das war auch eine Herausforderung, dass ich einen konkreten Plot haben wollte und handlungstreibende Elemente, daran wollte ich mich einfach mal versuchen. Weil das war bei Kometen vielleicht auch ein wenig feige, dass ich dieses Episodenhafte und diese Short Cuts da genommen habe. Ich wollte diesmal aber eine chronologisch durcherzählte große Geschichte haben.

    Eigentlich seien in seiner Geschichte auch Zauberlehrlingsmotive drin - der Meister mutiert zum Teufel, der Schüler besiegt ihn. Ja, auch eine Prise Darth Waider und Luke Skywalker. Aber dann sei eben wirklich die Frage: ist nicht der junge Held selbst einer von wirklich Bösen? Einer, der halt ganz am Ende Beute macht, wo alle anderen sich schon sattgegessen haben? Die Entscheidung ist Sache des Lesers:

    Ich wundere mich, auf wieviele verschiedene Arten man es lesen kann. Mir kommt es mittlerweile vor, wie so ein Stein, auf den das Licht in tausenderlei Weise fallen kann. Und der Stein wirft immer wieder ein ganz anderes Farbmuster auf die Wände. Und das freut mich allerdings eher. Weil da auch teilweise so abwegige Lesarten dabei sind, das ich die fast nicht mehr nachvollziehen kann, aber ich finde das sehr interessant.

    Höhepunkt seiner Schriftstellerlaufbahn, Lieblingsbuch, sein Bestes will Stefan Beuse "Die Nacht der Könige" allerdings nicht nennen. Sondern er sagt, es ist eine Weiterentwicklung von Kometen und Gummibändern...

    Ich habe sowieso den Verdacht, dass jeder Schriftsteller im Grunde immer nur an einem Buch schreibt und dass er sich diesem Buch immer mehr annähert. Und das ist ein weiterer Schritt auf dem Wege dieser Annäherung. Ansonsten habe ich schon das Gefühl, dass ich mich von Buch zu Buch weiterentwickle, das schon. Oder mich auch meinem Thema auch immer mehr annähere. Obwohl ich auch das Gefühl habe, weit davon entfernt zu sein, das richtig benennen zu können. Ich glaube, wenn ich irgendwann das was ich eigentlich schreiben will zu benennen, dann brauche ich keine Bücher mehr zu schreiben oder ich habe dann vielleicht keine Lust mehr welche zu schreiben.

    Die Gefahr besteht zur Zeit noch nicht. Es gibt noch genug Rätsel auf der Welt, mit denen Stefan Beuse Bücher füllen möchte. Die Stimmungsidee - und das behauptet der Hamburger Autor sei die Hauptsache - die Stimmungsidee zu seinem nächsten Buch ist schon da. Ein Mann in einem großen Haus, einsam im Wald gelegen, bekommt Besuch von einem anderen. Es ist ein ungebetener Gast, der nichts besonderes tut. Nur bleibt. Wieder Stoff für eine Gruselgeschichte mit unauffälliger Oberfläche. Vielleicht wieder so ein surrealer Krimi wie "Die Nacht der Könige". Der - das muß noch mal gesagt werden - nicht nur Beuses Bester ist, sondern überhaupt einer der wirkungsvollsten Romane dieses Bücherfrühlings. Beuses Figuren sind Archetypen und entwickeln einen unwiderstehlichen Charme; sie umgarnen den Leser und eh er sich versieht, haben sie tiefe Spuren in ihm hinterlassen. Sie spielen mit dem Leser, der am Schluss gar nicht sicher ist, ob das, was Beuse da geschrieben hat, wirklich passiert, oder ob er - der Leser - nur Teil von Winters Wahnsystem ist.

    Es ist ein Buch, das auf jeden Fall länger bei einem bleibt, als die zwei Abende, die man braucht, es zu lesen.