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Die Nacht der Panzer

In der Nacht vom 20. zum 21. August 1968 walzten 7000 Panzer den Traum von einer sozialistischen Gesellschaft mit "menschlichem Antlitz" nieder, der 1968 die gesamte tschechoslowakische Gesellschaft euphorisiert hatte. Gebannt schaute die Welt im Frühling 1968 nach Prag.

Von Doris Liebermann | 20.08.2008
    Am 20. August 1968, gegen 23.00 Uhr, überschritten die Einheiten der Sowjetunion, der Polnischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Volksrepublik Ungarn und der Volksrepublik Bulgarien die Grenze der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Es geschah ohne das Wissen des Präsidenten der Republik, des Präsidenten der Nationalversammlung, des Regierungschefs sowie des 1. Sekretärs des Zentralkomitees sowie der zuständigen Organe.

    "Dienstag, der 20. August, war ein typischer Spätsommertag. Warm, die Sonne dunstverschleiert. Prag wimmelte von Touristen ... das ganze Land war ein Bild des Friedens."

    So erinnerte sich der damalige Reformkommunist Alexander Dubcek, die Symbolfigur des Prager Frühlings, an diesen 20. August 1968. Dubcek ahnte nicht, dass er noch in der kommenden Nacht vom KGB verhaftet werden würde. Seit dem frühen Nachmittag tagte das Politbüro, um den nächsten - den 14. - Parteitag - vorzubereiten. Kurz vor Mitternacht wurde Ministerpräsident Cernik zum Telefon gerufen. Der bereits vom KGB gefangenen genommene Verteidigungsminister Dzur teilte ihm mit, dass die Sowjets und ihre Verbündeten einmarschiert seien. Zeitgleich waren auf dem Prager Flughafen Ruzyne sowjetische Flugzeuge mit Panzern, Panzerwagen und Truppen gelandet.

    "Der Einmarsch hatte auch eine politische Seite. Und zwar sollten die im Sprachjargon der SED sog. "gesunden Kräfte", das sind die Moskauer Kollaborateure, die im Präsidium der Partei noch die Mehrheit hatten, am 20. August abends Dubcek und seine Reformer stürzen, selber die Führung der Partei übernehmen und auch die Staatsspitze neu besetzen, damit sie die einmarschierenden Truppen begrüßen konnten als eine brüderliche Hilfe, um den Sozialismus in der Tschechoslowakei aufrecht zu erhalten."

    Der Politologe Manfred Wilke, Mitherausgeber einer umfangreichen Dokumentensammlung zum Prager Frühling.

    "Das kam anders. Dieser bürokratische Putsch scheiterte und statt dieser Begrüßung der Truppen erfolgte die von Dubcek und Zdenek Mlynar formulierte Verurteilung des Einmarsches als völkerrechtswidriger Akt, der auch gegen die Normen der sozialistischen Staatenbeziehung gerichtet war."

    Der Entschluss zum Einmarsch war am 17. August im sowjetischen Politbüro gefällt worden, um die "Konterrevolution", wie es aus Moskauer Sicht hieß, in der Tschechoslowakei niederzuschlagen. Anders, als lange angenommen, waren DDR-Truppen nicht unmittelbar am Einmarsch beteiligt. Zwei Divisionen, die in dieser Zeit dem sowjetischen Oberkommando unterstanden, wurden auf DDR-Gebiet für den Fall zurückgehalten, dass es zu Kampfhandlungen kommen sollte.

    "Es ist morgens kurz vor 4 Uhr. Unbekannte Truppen marschieren durch Reichenberg. Aufgebrachte Bevölkerung. Alles nervös. Kein Mensch kann fassen, was hier los ist. Bretter fliegen durch die Straßen, Steine werden geworfen ...

    Die Menschenmenge drängte sich um die Panzer und beschimpfte die Soldaten als Faschisten und ließ gleichzeitig Dubcek und die Republik hochleben. Als es bedrohlich schien für die Sowjets, begannen sie mit Maschinenpistolen in die Häuser zu schießen, das heißt
    an den Hauswänden hochzuschießen, worauf die Menge sich etwas verlief aber sofort wieder zurückkam.
    Eine große Menschenmenge versammelte sich und Jugendliche schritten auf die Soldaten zu, die erst Warnschüsse abgaben, und dann in die Menge schossen. 2 junge Männer wurden getötet."


    Die tschechoslowakische Bevölkerung leistete in den folgenden Tagen passiven Widerstand: Ortschilder wurden verdreht oder ausgetauscht, und die Truppen so in die Irre geführt.

    "... und dieser Widerstand hat Breshnew gezwungen, die inhaftierten Staatsführer der Tschechoslowakei: Dubcek, Cernik, Smrkovsky, die interniert waren, nach Moskau zu holen, um sie wieder an den Verhandlungstisch zu bringen als Führung der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und des Staates, um mit ihnen ein Abkommen auszuhandeln, das man nur technisch als Abkommen bezeichnen kann."


    In Wirklichkeit war das sogenannte "Moskauer Protokoll" ein Diktat, in dem die tschechoslowakische Führung die Besetzung des Landes und die Stationierung sowjetischer Truppen akzeptieren musste.