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"Die Natur hab ich kopieren wollen. Es gelang mir nicht."

Paul Cézanne entspricht dem klassischen Künstlergenie. Seine Arbeiten wurden von Galeristen und Publikum verhöhnt, doch er ließ sich nicht beirren: zurückgezogen und menschenscheu lebte er nur für die Malerei, wollte er die Größe der Natur dauerhaft ins Bild bannen. Mit eben diesen Landschaftsbildern und Stillleben gehört er heute zu einem der großen Künstler des 19. Jahrhunderts. Paul Cézanne starb heute vor 100 Jahren.

Von Anette Schneider | 22.10.2006
    Vorn ein Sandweg. Dahinter Hügel. Einige Bäume. Kleine Felder. Ein einsames Haus. Diesen unspektakulären Blick auf eine Sommerlandschaft setzt Paul Cézanne aus unzähligen einzelnen Farbflächen zusammen: Rot. Grün. Braun. Weiß.

    " Die Natur hab ich kopieren wollen. Es gelang mir nicht. "
    Schrieb der Maler in seinem Todesjahr 1906. Und weiter:
    " Aber ich war zufrieden mit mir, als ich entdeckte, dass man zum Beispiel die Sonne nicht reproduzieren konnte, sondern dass man sie durch etwas anderes repräsentieren musste - durch die Farbe. "
    Südfranzösische Landschaften, Stillleben von Äpfeln und Apfelsinen, Porträts von Freunden - mithilfe der Farbe entdeckt Paul Cézanne ihr Wesen. Meist helle, manchmal kräftig-leuchtende Töne geben den Bildern etwas Leichtes, das bis heute viele Menschen schätzen. Spontan entstand diese Leichtigkeit allerdings nicht.
    " Alles, vor allem in der Kunst, ist Theorie, die entwickelt und angewandt wird im Kontakt mit der Natur. "
    1839 in Aix en Provence als Sohn eines reich gewordenen Handwerkers geboren, geht Cézanne mit 22 Jahren nach Paris, um Kunst zu studieren. Die repräsentative Akademiemalerei seiner Zeit interessiert ihn allerdings nicht: er spachtelt mit dicken Pinseln Farbmassen auf seine Leinwände, die er kontrastreich nebeneinander setzt. In diesem groben Stil zeigt er düster-unheimliche Szenen mit Titeln wie: "Die Entführung", "Die Leichenwaschung", "Der Mord" oder "Die erdrosselte Frau"
    Als Cézanne sich mit diesen Arbeiten an der Akademie bewirbt, lehnt diese ihn hohnlachend ab. So lernt der junge Mann in dem privaten Atelier "Suisse". Dort trifft er auf weitere gegen die Salonmalerei opponierende Künstler: Renoir, Monet, Sisley, Pissaro - die künftigen Impressionisten. Gemeinsam organisieren sie mehrere Ausstellungen - doch stets werden Cézannes düstere Bilder vom Publikum verlacht.

    Um 1870 erschöpft sich sein malerisches Rebellentum. Er sucht einen anderen Weg. Und da er sich - anders als sein Freund Zola - nicht für die Probleme seiner Zeit interessiert - kehrt er zurück in die Provence. Dort wendet er sich, unter Anleitung Pissaros, der Natur zu.

    " Nach der Natur zu malen heißt nicht, das Vorgegebene zu kopieren, es heißt, die eigenen Sinneseindrücke zu realisieren. "
    Eine kleine Brücke über einen Bach. / Ein Haus mit Schuppen in hellem Sommerlicht. / In der Sonne rot glühende Felsen mit einigen Kiefern.

    Cézanne macht das Unscheinbare bildwürdig. Dabei erhält alles gleich wichtige Bedeutung, denn Raumtiefe gibt es kaum, alles scheint gleich nah oder fern. Und: die Landschaften fügen sich aus einem zarten Gewebe zahlreicher kleiner Farbflecken zusammen.
    " Die Natur zu lesen heißt, sie durch den Schleier der Farbflecke wahrzunehmen, die gemäß einem Gesetz der Harmonie aufeinander folgen. "

    Anders als die Impressionisten, die den flüchtigen Augenblick festhalten wollen, sucht Cézanne nach einer Möglichkeit, der Natur dauerhafte Größe zu verleihen: Ob der Blick auf ein verfallenes Chateau oder ein Stillleben mit Äpfeln und Wasserkrügen - immer haben seine Dinge etwas Wirkliches, Festes. Dieses Dauerhafte beschwört Cézanne durch seinen dichten Farbauftrag: Er verleiht den Dingen Konturen und räumliche Wirkung.
    " Aus der strengen Zusammenordnung der Farben entspringt die Modellierung. Wenn sie harmonisch nebeneinander gesetzt wurden und alle vorhanden sind, dann modelliert sich das Bild von ganz allein. Und wenn die Farbe ihren ganzen Reichtum zeigt, zeigt die Form die ganze Fülle. "
    Einsam und zurückgezogen lebend, ringt Cézanne um seine Vorstellung von Malerei, lebt - meist ohne seine Familie - mal in Paris, mal in der Provence. Seine erste Einzelausstellung hat er mit 56 Jahren. Doch noch 1906, kurz vor seinem Tod am 22. Oktober, sucht er weiter nach Möglichkeiten, seiner Vorstellung von Malerei näher zu kommen:
    " Nun denn, im Alter, so an die siebzig, sind meine Farbeindrücke, die das Licht ergeben, Ursache von Gedankengängen, die es mir nicht erlauben, meine Leinwand voll zu decken, noch die Umgrenzung der Gegenstände fortzusetzen, wenn die Berührungsstellen hauchdünn und zart sind; woraus sich ergibt, dass mein Bild unvollständig ist. "