Freitag, 29. März 2024

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Die Nerven
"Ich glaube, wir geben uns nicht viel Mühe, irgendwas Künstliches zu erzeugen"

Medien bezeichneten ihr Album "Fun" als "eine der wichtigsten und besten Platten des Jahrzehnts", dennoch ist die Band Die Nerven bisher nur Wenigen bekannt. Das könnte sich jetzt ändern: Kürzlich wurden die Stuttgarter mit dem unabhängigen VIA Award als "Beste Band" ausgezeichnet. Mit "Out" ist nun ihr drittes Studioalbum erschienen.

Max Rieger und Julian Knoth im Corsogespräch mit Sascha Ziehn | 10.10.2015
    Die Band "Die Nerven" wird am 24.09.2015 in Hamburg beim VIA! VUT Indie-Award 2015 als bester Act ausgezeichnet (v.l. Kevin Kuhn, Julian Knoth, Max Rieger)
    Die Band "Die Nerven" wird 2015 mit dem VIA! VUT Indie-Award 2015 als bester Act ausgezeichnet. (picture alliance / dpa / Henrik Josef Boerger)
    Sascha Ziehn: Es gibt eine deutsche Band namens Die Türen – und ich habe so ungefähr ein halbes Jahr gebraucht, um den Witz dahinter zu verstehen. Gibt es bei Ihrem Namen, Die Nerven, auch so einen Hintergrund, für den ich auch ein halbes Jahr brauche, um den zu verstehen – oder können Sie mir die Wartezeit verkürzen?
    Max Rieger: Ist das mit den Türen - hat das damit zu tun, mit den Doors, oder was?
    Ziehn: Dafür habe ich ein halbes Jahr gebraucht.
    Rieger: Also, derart gibt's bei uns nicht. Aber ich glaube, es gibt schon sehr viele Bands, die The Nervs heißen.
    Julian Knoth: Die sind auch sehr gut, zum Teil, die mit "Hanging On The Telephone", was von Blondie dann gecovert wurde.
    Rieger: Es gibt sogar in Stuttgart eine Band, die The Nervs heißen.
    Knoth: Die sind aber zu vergessen.
    Rieger: Die sind zu vergessen. Ich glaube, wir kennen die ganzen Bands auch erst, seitdem wir unseren Bandnamen haben. Man googelt ja auch schon mal, ob es etwas Vergleichbares gibt. Das ist ja auch ganz schön um die Ecke gedacht mit den Türen – und dann The Doors. Und alle da haben sich ja auch immer gefragt: Warum heißt diese Band eigentlich The Doors? Und da gibt es dann ja auch wieder eine Weiterleitung und so ein Zeug. Und warum heißen The Doors The Doors?
    Ziehn: Auch das weiß ich nicht. Vielleicht wegen der "Doors Of Perception"?
    Knoth: Genau, wegen LSD, irgend so ein Schriftstück über LSD.
    Ziehn: Aldous Huxley.
    Knoth: Pforten der Wahrnehmung werden geöffnet und alles erscheint dem Menschen, wie es ist.
    "Wir sind da ziemlich faul"
    Ziehn: Jetzt sind wir schon mitten in der Literatur. Ich wollte aber erst mal fragen: "Out" ist Ihr drittes Album und laut Ihrer Facebook-Seite haben sich Die Nerven schon 1969 gegründet. Warum nur drei Alben in 46 Jahren?
    Rieger: Wir sind da glaube ich ziemlich faul. Von 1969 bis 2009 waren wir eigentlich nur im Proberaum.
    Knoth: Schlechtes Management.
    Rieger: Schlechte Lebensbedingungen. Schlechte Umstände. Und irgendwann haben wir uns aufgerafft und tatsächlich ein paar Platten gemacht.
    Ziehn: Aber jetzt wird ja wirklich alles besser. Sie werden ganz schön umschwärmt. Zum Album "Fun" meinte" Spiegel online": "Eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten des Jahrzehnts". Finden Sie das auch?
    Rieger: Ja natürlich.
    Ziehn: Warum? Was macht die Platte so großartig?
    Rieger: Wir haben sie selbst gemacht.
    Ziehn: Und das reicht schon?
    Rieger: Mir reicht das.
    Knoth: Es ist für uns selbst eine der wichtigsten Platten des Jahrzehnts. Von den paar Platten, die wir in diesem Jahrzehnt wahrscheinlich rausbringen werden. Das ist aber was ganz Persönliches. Ob das für Jedermann oder Jederfrau so gilt, mit der wichtigsten Platte, das sollte jeder selbst entscheiden.
    "Ich kann nicht sagen, woher das kommt"
    Ziehn: In den Texten von Ihnen spielt für mich so eine Entfremdung eine ganz große Rolle. Woher kommt diese Entfremdung?
    Rieger: Wenn wir das wüssten, müssten wir vielleicht nicht drüber texten. Vielleicht geht's beim Texten auch darum, etwas zu benennen, was man gar nicht so frei heraus sagen kann. Sondern um Ecken, vielleicht herum. Ich kann nicht sagen, woher das kommt. Ich kann auch nicht sagen, wo hin das geht.
    Ziehn: Müssen Sie das quasi schreiben? Ich will jetzt das böse Wort "Therapie" nicht sagen – aber geht es in die Richtung?
    Rieger: Vielleicht schon.
    Ziehn: Fühlen Sie sich denn mit dem, was Sie singen, sagen, eher ein bisschen isoliert – oder haben Sie schon das Gefühl, auch das Befinden einer Generation damit abzubilden?
    Knoth: Also keiner Generation, denke ich. Oder das wäre einfach zu hoch tragend, das so zu bewerten. Aber so vereinzelt bekommt man schon auch Feedback von Personen, die unsere Musik hören und sich in ihrem Befinden da wieder finden, in den Texten und in der Musik.
    Ziehn: Ist das denn, was Sie machen, vor allem in den Texten, sehr sehr authentisch oder im Gegenteil sehr sehr künstlich?
    Knoth: Keine Ahnung.
    Rieger: Was auch immer Authentizität ist, oder? Ich glaube, wir geben uns nicht viel Mühe, irgendwas Künstliches zu erzeugen. Es geht schon um was Direktes, um etwas, was sich richtig anfühlt, in dem Moment.
    Knoth: Das Problem ist eben, dass dieser Begriff Authentizität so nach oben gestellt wird - und alle wollen immer authentisch und echt sein. Ich hab mal vor zwei Jahren im Interview gesagt, dass es uns nicht darum geht, authentisch zu sein. Sondern, dass es uns darum geht, dass wir wir selbst sind. Und ich finde, das beschreibt es immer noch ganz gut.
    "Ich setze mich zum Schreiben nicht an den Schreibtisch"
    Ziehn: Die Texte: Sind das wirklich so Schnellschüsse, schreiben die sich wie im Rausch von alleine oder sitzen Sie da schon sehr lange dran?
    Rieger: Ich glaube, das kann man gar nicht so einfach auf alle Texte runterbrechen. Aber meistens sind erste Ideen von einem Text, wenn sie auf einer Demo benutzt werden, schon klar. Und dann im Nachhinein, wenn man sich diese Demo anhört, nimmt man da vielleicht noch mal Änderungen dran vor und so was. Aber es ist jetzt nicht irgendwie, man kann es einfach nicht runterbrechen. Es ist bei jedem Text und jedem Song immer was anderes.
    Knoth: Also ich setze mich zum Schreiben nicht an den Schreibtisch. Sondern ich schreibe die irgendwie unterwegs, wenn es mir einfällt. Also, weil, der Max und ich die Texte quasi, jeder schreibt seine Texte selbst. Wir haben sowieso in der Band so eine 50/50 Aufteilung an Text und Gesang.
    "Möglicherweise ist es ein Neonlichtgefühl"
    Ziehn: Ich finde, in Ihrer Musik und auch in den Texten schwingt schon so ein bisschen 80er-Jahre-Tristesse mit: Isolation, kaltes Neonlicht, der Film "Drive" geht ja auch so ein bisschen in diese Richtung. Warum scheint dieses Gefühl der kalten 80er-Jahre wieder zu kommen?
    Knoth: Ja, weil es vielleicht auch ein Gefühl ist, was heute gilt.
    Rieger: Wieso denn die 80er-Jahre? Ich versteh es immer nicht.
    Knoth: Es ist vielleicht ein allgegenwärtiges Gefühl, was einfach – vielleicht war es die Ästhetik der 80er, dieses Gefühl so hervorzuheben. Aber dieses Gefühl hat es schon länger gegeben und gibt's auch immer noch. Das ist ja nicht mit einem Jahrzehnt verknüpft.
    Rieger: Bloß, weil da alle schwarz getragen haben.
    Knoth: Oder weil da Neonlichter sind. Möglicherweise ist es ein Neonlichtgefühl, was es erst seit den 80ern gibt. Aber das gibt's immer noch.
    "Wir haben uns da eigentlich nie Gedanken drüber gemacht"
    Ziehn: Wenn man sich so die Energie in Ihrer Musik anguckt, wie kriegt man die eigentlich hin, was für Kniffe muss man anwenden, um so energisch zu klingen, ohne dabei wirklich laut oder schnell zu sein?
    Knoth: Kommt ganz von selbst, irgendwie.
    Rieger: Wir haben uns da nie wirklich Gedanken drüber gemacht. Das ist einfach "Wir als Dreierkonstellation". Wie wir aufeinander reagieren. Das ist einfach so ein Selbstläufer.
    Ziehn: Aber ich finde, dass Sie da schon so ein bisschen so wirken, auch Ihre Musik so wirkt, als würde die in so einer ganz eigenen Zeitrechnung existieren. Irgendwie passt die nicht in diese Zeit. Auf eine extrem positive Art und Weise.
    Rieger: Naja, vielleicht kann man das in 20 Jahren noch mal irgendwie benennen. Ich weiß nicht, wie das jetzt ist.
    "Das ist mehr die Veröffentlichungspolitik unserer Plattenfirma"
    Ziehn: Sie spielen ja auch ganz viel mit dem Medium Vinyl rum. Die LPs von Die Nerven gibt es in vielen verschiedenen Ausführungen, ein paar 100 auf weißem Vinyl, ein paar 100 auf rotem Vinyl. Warum machen Sie das?
    Knoth: Damit haben wir nicht so viel zu tun. Das ist mehr die Veröffentlichungspolitik unserer letzten Plattenfirma. Um den Plattensammlermarkt auch noch zu ködern. Ich sag nichts dagegen, aber so ist es.
    Rieger: Ich sag auch nichts dagegen, möchte aber betonen, dass die mp3-Version unseres neuen Albums besser klingt als die CD-Version und sowieso besser als Vinyl.
    Ziehn: Warum?
    Rieger: Naja, ich könnte jetzt mit ein paar technischen Details kommen, aber: Sie klingt einfach so, wie sie beabsichtigt ist. Beim Vinyl ist es ja so: Man mastert dieses Album, das Album ist fertig, es kommt auf CD, dann kann man daraus die digitalen Files machen. Und dann geht man noch mal ran, an das Vinyl, macht es leiser, dreht die Bässe raus, dreht die Höhen raus, dann dreht man noch ne Frequenz raus, die Vinyl überhaupt nicht verträgt, dann vielleicht noch eine und dann macht man es noch ein bisschen leiser und dann kommt es auf Vinyl, in diese ganzen Presswerke, die so heillos überlastet sind, dass man fünf Monate auf eine Platte warten muss.
    Wo man auch nicht weiß, wie viel Zeit und Liebe die Engineers dort noch in dieses Medium eigentlich rein investieren, wenn man mal ihren Kalender sich anschaut. Am Schluss zahlt man am meisten Geld dafür. Ja, so ist es halt.
    "Eigentlich war es ein Witz"
    Ziehn: Es gibt ein Video, zu einem älteren Song "Angst" – da werden Sie quasi von Tocotronic gespielt. Wie ist es dazu gekommen?
    Knoth: Wir haben die Geschichte natürlich schon oft erzählt. Eigentlich war es ein Witz, der uns mal irgendwie kam. Es wäre lustig, wenn, manche Leute sagen, Die Nerven sind irgendwie die neuen Tocotronic und warum man denn das Ganze nicht umdrehen kann. Und: Dann waren wir frech genug zu fragen.
    Ziehn: Und es kam sofort die Antwort: Ja, machen wir?
    Knoth und Rieger: Tatsächlich: Ja!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.