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Die neue Gemeinsamkeit im All

Heute Nacht um 0:32 Uhr deutscher Zeit soll Europas Raumschiff ATV an die Internationale Raumstation andocken. An Bord befinden sich fast sieben Tonnen Fracht. Es ist der dritte Flug eines ATV, zwei weitere werden bis zum Jahr 2015 folgen. Bisher ist offen, was danach mit dem modernsten und derzeit größten verfügbaren Raumschiff geschieht. Doch es zeichnet sich ab, wie sich die für das ATV entwickelte Technik weiter nutzen lässt.

Von Dirk Lorenzen | 28.03.2012
    Am vergangenen Freitag hob von Europas Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana ein ATV-Raumtransporter ab, Kurs Internationale Raumstation. Zweimal noch wird ein Countdown auf Französisch beim ATV-Start zu hören sein. Womöglich erfolgt in einigen Jahren der Countdown in amerikanischem Englisch, wenn Raumfahrttechnologie made in Europe ins All fliegt, erklärt Thomas Reiter, ESA-Direktor für bemannte Raumfahrt und Weltraumbetrieb:

    "Nach dem fünften ATV hoffen wir natürlich, dass es eine Weiterentwicklung geben wird, entweder in Richtung des MPCV-Servicemoduls, also für die amerikanische Orion-Kapsel, oder eben in Richtung einer eigenständigen europäischen Entwicklung. Beides baut auf der Erfahrung und auf der Expertise, die wir mit ATV gewonnen haben, auf."

    Die NASA entwickelt nach dem Ende der Shuttle-Flüge mit Hochdruck das MPCV, das Multi-Purpose Crew Vehicle, also ein bemanntes Raumschiff, das für vielerlei Zwecke einzusetzen ist. Diese auch Orion genannte Kapsel bietet bis zu vier Personen Platz.

    "So eine Kapsel, die Menschen dann auch über den niedrigen Erdorbit hinaus bringen soll, braucht auch ein Teil, das diese Kapsel steuert und das könnte eben so ein Service-Modul sein. Wenn wir uns das ATV anschauen: Da ist vorne ein Nutzlastcontainer drauf. Und der hintere Teil sozusagen, wo die ganze Antriebstechnik drin ist, die Avionik, Guidance, Navigation Control, das ist das sogenannte Service-Modul und das müsste dann eben für dies Orion-Kapsel modifiziert werden."

    Europas ATV ist das derzeit modernste Raumschiff auf dem Markt: Es manövriert so präzise wie kein anderes, dockt vollautomatisch an die Raumstation an, transportiert sowohl große Mengen an Treibstoff als auch anderer Fracht und gilt als sehr sicher. Damit hat es alle Eigenschaften, die das Servicemodul der Orion-Kapsel haben muss. Die NASA selbst kann so ein Modul derzeit nicht bauen.

    "Dafür fehlt denen im Moment das Budget. Die entwickeln ein neues Trägersystem, das SLS, und sind dabei diese Kapseln zu entwickeln. Insofern wäre das eine wunderbare Zusammenarbeit. Es wäre das erste Mal, dass Europa in den kritischen Pfad in die Entwicklung eines solchen Transportsystems hinein genommen würde. Und es würden sich eben auch Möglichkeiten für eine ausgedehnte industrielle Zusammenarbeit ergeben."

    Bisher hatte die NASA die internationale Beteiligung bei ihren bemannten Projekten stark eingeschränkt: Die wirklich wichtigen Teile mussten aus den USA kommen - Partner in Übersee durften, salopp gesagt, nur Dinge wie Türklinken und Scheibenwischer liefern. Diese Haltung scheint sich nun zu ändern - erzwungen durch die knappen Finanzmittel, aber sicher auch aufgrund der Einsicht, dass Europas ATV-Raumschiff ein idealer Partner wäre. Von der Zusammenarbeit würde auch Europas Weltraumorganisation ESA profitieren: Der Bau des Service-Moduls für Orion wäre deutlich preiswerter als die Entwicklung eines eigenen Raumschiffs. Und die ESA hätte auch nach den ATV-Flügen etwas, was sie zum Betrieb der Internationalen Raumstation beitragen kann, wo sie das Raumlabor Columbus nutzt, erklärt Thomas Reiter:

    "Wir decken bis einschließlich ATV-5 die Zeit bis ungefähr 2017 ab. Wir müssen ja für die Kosten, die durch den Betrieb von Columbus entstehen, eine Gegenleistung bringen. Statt das Geld zu bezahlen, erbringen wir das lieber durch Nutzlast, die wir im ATV hoch bringen. Und für die Zeit danach müsste dann eben ein anderes Modul eben das MPCV oder eine europäische Anwendung gebaut werden, die man dann entsprechend mit der NASA verhandeln kann."

    Derzeit laufen intensive Gespräche zwischen NASA und ESA. Dabei hilft sicher, dass Thomas Reiter als zuständiger ESA-Direktor ein erfahrener Astronaut ist, der zweimal an Bord eines Space Shuttles gewesen ist und die US-Raumfahrtszene exzellent kennt. Doch die politische Entscheidung müssen Europas Raumfahrtminister bei ihrem großen Strategietreffen im November fällen - dann zeigt sich, ob NASA und ESA künftig gemeinsam ins All fliegen.