Die neue Online-Kultur

Mein virtuelles Ich geht tanzen

43:47 Minuten
Hendrik Lober am Schreibtisch mit drei Monitoren. Er arbeitet an Nuland mit Avatar.
Hendrik Lober arbeitet an Nuland mit Avatar © Deutschlandradio / Manuel Waltz
Manuel Waltz · 10.09.2021
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Plötzlich war normal, was bis vor Kurzem noch außergewöhnlich war: Der virtuelle Museumsbesuch, die Theateraufführung in einer 3D-Welt, die Party im Netz. Die Kulturszene in Deutschland ist quasi über Nacht digitalisiert worden – eine Sendung darüber, was alles möglich ist und was davon bleiben wird.
Keine Frage: Die Corona-Pandemie hat der digitalen Welt einen enormen Schub gegeben. Unternehmen und Institutionen, die die Digitalisierung zuvor noch weitestgehend ignorieren konnten, waren gezwungen, sich nun damit auseinander zu setzen. Das ist auch am Kunst- und Kulturbetrieb nicht spurlos vorbeigegangen. Aber wer bietet eigentlich die benötigte Infrastruktur, d.h. die Ideen und Programme, die die digitale Welt erst zugänglich machen und formen?
Ein Ort für digitale Veranstaltungen
Firmen, wie das kleine Jenaer Start-Up zum Beispiel, das unser Autor besucht hat. Dort werden digitalen Welten entworfen und gebaut, virtuelle 3D-Räume für alle möglichen Events, Messen, Ausstellungen und Konzerte. "Das ist gemeint, wenn wir von ‚virtueller Erfahrung‘ sprechen" erklärt Hendrik Lober. Der CTO, also der technische Direktor, öffnet die Anwendung "Nuland" im Internetbrowser. Aufwändig designt von Art Direktorin Aimeé Hennings eröffnet sich eine ganz eigene Welt: Kuppeln, die in einem Meer oder Weltraum schweben und miteinander durch Röhren verbunden sind. Jede Kuppel steht für ein eigenes Angebot. Zum Beispiel gibt es einen Konzertraum mit Bühne, Licht- und Tontechnik für Veranstaltungen, die, wie im echten Leben, nur einmal stattfinden. Es gibt aber auch Räume, in denen man sich Essen bestellen oder Fan-Artikel kaufen kann.
Mein virtuelles Ich will reden
Ein Knackpunkt, an dem die Entwickler noch tüfteln, ist die Interaktion mit anderen Menschen auf dieser Plattform. Denn ein Konzertbesuch macht erst dann richtig Spaß, wenn man sich trifft, sich austauscht, miteinander singt, lacht und tanzt. Das versucht man in Jena mit Hilfe von Avataren zu lösen, die das tun, was die Besucher vor ihren Bildschirmen vormachen. Mit einer VR-Brille kann der User oder die Userin dazu ganz in die digitale Welt eintauchen, menschliche Bewegungen werden in digitale übersetzt. Der Avatar kann dann andere Avatare begrüßen, ein Herz zeigen oder Tanzschritte vollführen. Per Chat können sich die Besucher schriftlich oder auch per Mikrofon austauschen. Noch ist vieles im Entstehen, doch die Geschwindigkeit mit der diese Ideen weiterentwickelt werden, hat sich durch Corona deutlich erhöht.
Ein anderes Standbein der Firma ist Augmented Reality oder erweiterte Realität. Über den Handybildschirm können Figuren im Raum platziert werden, die zwar nur auf dem Display zu sehen sind, aber erstaunlich echt wirken. Mitarbeiter Peter Elstner zeigt das anhand des Saurierpfads, einem Erlebnis-Wanderweg, der am Stadtrand von Jena beginnt. Zusammen mit dem Stadtforst hat die Firma diesen Pfad aufgebaut. Nun können Besucherinnen und Besucher Saurier, deren Überreste um Jena herum gefunden wurden, mit ihrem Handy zum Leben erwecken. So lässt sich das analoge Wandererlebnis in die digitale Welt erweitern. Probleme mit Funklöchern werden vermieden, indem man sich die App schon vor dem Ausflug aufs Handy lädt und dann vor Ort offline benutzen kann.
Helen Reinke am Tisch und mit Saurier als Bild auf einem Smartphon
Helen Reinke mit Saurier © Deutschlandradio / Manuel Waltz
Kein Kulturkampf, sondern Ergänzung
Digitale Möglichkeiten in der Kultur sollten immer mehr als nur Spielerei und Selbstzweck sein, betont Michael Grotenhoff im anschließenden Gespräch. Er ist Geschäftsführer der Interactive Media Foundation. Die gemeinnützige Organisation beschäftigt sich mit der Frage, wie Themen und Geschichten interaktiv und multimedial umgesetzt werden können. Grotenhoff ist gelernter Filmemacher und sieht in den digitalen Techniken vor allem die Möglichkeit, Inhalte auf neue Art und Weise zu erzählen, weg vom Linearen hin zum Interaktiven. Zuschauerinnen und Zuschauer können so Teil eines Theaterstücks werden, rund um die Uhr ihr Lieblingsmuseum besuchen oder an Events teilnehmen, die irgendwo auf der Welt stattfinden: "Für mich wird sicherlich bleiben, dass wir Hybridveranstaltungen haben. Wir müssen auf allen Ebenen digital und analog stattfinden, 24 Stunden. Wir sind Veranstalter und können jederzeit besucht werden."
Digitaltechnik wird also ihren festen Platz in Kunst und Kultur behaupten – das analoge Erlebnis aber nie vollständig ersetzen können.