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Die Not der darstellenden Künstler
Jenseits von Glanz und Gloria

Glamouröse Auftritte, spektakuläre Shows, mitreißende Konzerte: Das Publikum erwartet von seinen Künstlern stets Höchstleistungen. Eine Erwartung, die auf dem Rücken der Künstler ausgetragen wird, denn laut einer aktuellen Studie klagen rund 70 Prozent aller deutschen Kulturschaffenden über prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Von Julia Schröder | 17.05.2016
    Kaum Geld zum Leben - ein leeres Portemonnaie
    Viele Künstler hetzen von Gig zu Gig, um ihr Leben finanzieren zu können. Doch oft werden Engagements noch nicht einmal bezahlt. (dpa / picture-alliance / Hans Wiedl)
    Frühsommerzeit ist Festspielzeit. Von Baden-Baden bis Bregenz, von Salzburg bis Bad Segeberg: Wer etwas auf sich hält, lädt zum geballten Theater- und Musikgenuss. Schicke Roben zeigen sich im Parkett, während es auf der Bühne und im Orchestergraben der holden Kunst gilt. Das Publikum erwartet Spitzenleistungen von Schauspielern, Sängern und Musikern – mit Recht, schließlich ist der Rahmen glanzvoll, und die Eintrittspreise sind auch nicht von Pappe.
    Kultur ist heute Standortfaktor, von dem alle profitieren. Nun ja, fast alle.
    Glanz und Elend
    Für diejenigen, die den Besuchern all die schönen Stunden bescheren, gilt das mit dem Kultur-Profit nur bedingt. Die heute vorgestellte Studie über die Arbeitsbedingungen von darstellenden Künstlern zeigt sehr deutlich, wie nah neben dem Glanz das Elend liegen kann. Von den gut 2.500 Musikern, Tänzern und Schauspielern, die bei einer Online-Umfrage mitgemacht haben, gaben mehr als zwei Drittel – genauer: 70 Prozent – an, teilweise unbezahlt zu arbeiten, 80 Prozent sagen, ihre Beschäftigung sei prekär, vier von zehn Befragten verdienen mit ihrer Arbeit weniger als 10.000 Euro im Jahr.
    Wie kann das sein? Schauspieler oder Sänger gelten in der allgemeinen Wahrnehmung bis heute als Berufe, in denen man via Film, Fernsehen, Tourneen und Plattenaufnahmen berühmt und reich werden kann. Für Einzelne trifft das auch zu. Aber nicht jeder Geiger ist ein David Garrett, und Schauspielkarrieren wie die von Iris Berben oder Franka Potente sind die absolute Ausnahme.
    Normalerweise ist das Karriereziel die Festanstellung bei einer Landesbühne oder einem städtischen Orchester mit Sozialleistungen und Rentenanspruch.
    In den Genuss dieser bescheidenen Wohltaten kommt allerdings ein stetig schrumpfender Anteil der Künstler, auch das hat die Befragung ergeben. Zwar hat die Gruppe der abhängig Beschäftigten leicht zugenommen. Zuwächse zwischen 25 und 40 Prozent innerhalb von fünf Jahren jedoch sind bei denen zu verzeichnen, die als Selbstständige arbeiten – was oft genug bedeutet, von Gig zu Gig, von Mucke zu Mucke, von einem kurzfristigen Engagement zum anderen zu hetzen und in gar nicht so wenigen Fällen – vor allem, wenn man jung ist – gratis zu proben oder gleich ganz unbezahlt aufzutreten.
    Immer mehr Werkverträge
    Kein gutes Zeichen ist zudem, dass der Werkvertrag auch im künstlerischen Bereich immer beliebter zu werden scheint. Er ist das probate Mittel privater wie öffentlicher Arbeitgeber, Sozialabgaben wie etwa Zahlungen in die Rentenversicherung zu vermeiden. Kein Wunder, dass vier von fünf Befragten damit rechnen, im Alter arm zu sein.
    Ein Teufelskreis
    Ist Besserung in Sicht? Nach Auffassung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung könnten Gewerkschaften sich durchaus für bessere Arbeitsbedingungen auch von Künstlern einsetzen. Allerdings ist der Organisationsgrad in diesem Sektor mit seinen vielen Freiberuflern gering. Ein Teufelskreis. Und vielleicht ein Menetekel für das, was auf den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft insgesamt zukommt. Die "Gig-Economy", das ach so freie Hüpfen von Job zu Job, hat Folgen. Bei den Schauspielern, Tänzern und Musikern sind sie zu besichtigen.
    Angesichts dessen könnten einem Szenen aus "La Boheme" einfallen, hie diejenigen mit den glanzvollen Roben und schicken Kutschen, die sich die holde Kunst leisten, und dort die hungernden und frierenden Künstler in ungeheizten Altbauten. So war es im 19. Jahrhundert. Im 21. Jahrhundert gelten Kunst und Kultur als Standortfaktor. Aber wer den haben will, muss die Kulturarbeiter so bezahlen, dass die davon leben können.