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Die Not der Revolutionäre

Welche Ziele hat die Revolution, wenn ihre Gegner alle beseitigt sind? Sebastian Baumgarten, Opernregisseur des Jahres 2006, widmet sich inzwischen lieber dem Sprechtheater und bringt in Berlin Büchners "Dantons Tod" auf die Bühne.

Von Eberhard Spreng | 18.04.2010
    Eine Horde zotteliger Gestalten betritt ein gammeliges Kellerloch. Mechanisch puppenhafte Bewegungen sollen verdeutlichen, dass es sich um Gespenster aus einer längst vergangenen Geschichte handeln muss, die sich hier vor trashiger Fototapete wie die Punk-Version der Berliner Kommune einrichten. Legendre, Desmoulins, Philippeau und andere, sowie der titelgebende Protagonist selbst, sie sind zu einem vierköpfigen Danton-Kollektiv entpersonalisiert, das beim Deklinieren der Personalpronomen Schwierigkeiten hat: Ich, du er sie es, wir? Keiner weiß, wo das Subjet endet und das Gesellschaftliche beginnt. Einer, Johann Jürgens, gerät über all dem ins Stottern, bis ihm der Verzweiflungsausruf "Ach, Sprache!" entwischt.

    Aus ihren wirren Verrichtungen wird diese Gruppe immer wieder unvermittelt mit kurzen Schulungen in die pädagogische Pflicht genommen: "Sexualität", heißen sie, oder "Macht", oder "Arbeit": Dann etwa wird auf einem ausklappbaren Bierzelttisch Brotteig geknetet, aus dem man eine Baguette formt. Ansonsten gibt es viel Mühen mit Korkenziehern zu sehen, und Leute, die eine rote Flüssigkeit bechern. Danton, Frankreich und seine Revolution sind für Baumgarten auf dem Theater keine historische Wegmarke mehr, sondern nur noch in der spöttischen Farce erreichbar. Und Robespierre? Er taucht unter Plastiktüten plötzlich auf, mit einem teilweise mumienhaft verbundenen Gesicht. Kathi Angerer spielt ihn in wechselnden Kostümen, aber immer mit einer der Theatermottenkiste entnommenen hohl pathetischen Ansprache:

    "Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei. Erbarmen mit den Royalisten? Erbarmen mit den Verbrechern? Nein! Erbarmen für die Unschuld! Erbarmen für die Schwäche. Erbarmen für die Unglücklichen. Erbarmen für den vierten Stand."

    Nur einmal, in der nächtlichen Unterredung von Danton und Robespierre, wird schmerzlich spürbar, dass es vorher eine innige Verbindung zwischen dem Anhänger der Freiheit und dem Verfechter der Gleichheit gegeben haben muss. Trotz Kollektivbesetzung des Danton-Parts ist hier eine Wehmut zu erleben, eine kleine Trauer über eine gescheiterte Liebesgeschichte. Ansonsten vertraut der "bekennende Eklektizist" Sebastian Baumgarten Melancholie und das Dantonsche Sich-Treibenlassen im Mahlstrom der Geschichte, dieses passive Gleiten zum Tod, dem immerfort wimmernden Soundtrack an, der von einigen, diesmal kleinformatigen Videobildern begleitet wird. Bilder von Demos, den schon zur Banalität gewordenen vorbeiziehenden Leuchtziffern der Börsennotierungen und andere. Ein Studiolicht "en direct", also, "on air", oder "Auf Sendung" leuchtet in den Farben der Trikolore auf und dann verliest Anja Schneider vom "Radio Quartier Générale" gelangweilt Revolutionsnachrichten.

    Nur einmal und wiederum dank Kathi Angerers darstellerischer Verve kommt in diesem distanzierten Theatergedöns eine Frage auf: Da sieht sich Robespierre plötzlich einem aus einer projizierten Leuchtkontur gebildeten Gesicht gegenüber, einem ratlosen Kerlchen aus der Gegenwart, der Paris verlassen und in die Provinz gehen will, für irgendwelche Kulturaktionen, die auch Gewalt nicht unbedingt ausschließen würden. Robespierre, der blutbefleckte Tugendwächter, der die Unordnung des Lebendigen für die Reinheit der Konzepte hinschlachtet, wird in einer traumähnlichen Vision von der Wirklichkeit eingeholt: Die Geschichte ist unordentlich, das Tun folgt diffusen Hoffnungen.

    Für die öffentliche Verhandlung vor dem Revolutionstribunal, die die Hinrichtung der Dantonisten vorbereitet, klappt das flächige Trash-Dekor um und bildet eine Freitreppe aus rohem Holz. Hier kommt es auch zur Debatte des Danton-Kollektivs über die Existenz oder Nicht-Existenz von Gott. "Egal ob es ihn gibt oder nicht, wir müssen seine Arbeit tun", ist da zu hören. Man hätte sich gewünscht, dass aus dem diffusen Allerlei mehr Sätze wie diese übrig geblieben wären. Im Video-Schlussbild gleitet ein Kahn mit den einstigen Kämpfern majestätisch langsam über einen von dichtem Laubwerk beschatteten Kanal. Aus den Revolutionären sind biedermeierliche Bürger geworden. In Stuttgart, wo er Bulgakows Revolutionsdrama "Flucht" inszeniert hat, sagte Baumgarten, dass die russische Revolution der letzte große utopische Entwurf war, ein größerer als die bürgerliche Revolution in Frankreich. Die ist ihm denn auch zwischen den Händen zu unbedeutenden Krümeln zerbröselt.