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"Die Notenpresse wird nicht angeworfen"

Die Europäische Zentralbank hat die Befürchtungen einer Inflation im Zuge der Rettungsmaßnahmen für den Euro zurückgewiesen. Das zusätzlich in den Markt gegebene Geld werde zu entsprechender Zeit wieder abgezogen, versicherte der Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark.

Jürgen Stark im Gespräch mit Sandra Schulz | 12.05.2010
    Sandra Schulz: Heute sollen die ersten Milliarden aus dem ersten Rettungspaket für Griechenland fließen. Die Euphorie an den Märkten war gestern schon verflogen. Nach dem zweiten gigantischen Notplan für verschuldete Euro-Länder mit Garantien in einem Volumen von 750 Milliarden Euro ging unsere Gemeinschaftswährung gestern schon wieder auf Talfahrt.

    Wir wollen in den kommenden Minuten beim Thema bleiben. Aus Frankfurt ist uns jetzt Jürgen Stark zugeschaltet, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Guten Morgen!

    Jürgen Stark: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Stark, in der vergangenen Woche hat EZB-Chef Trichet noch gesagt, der direkte Kauf von Staatsanleihen stehe nicht auf der Agenda. Warum jetzt dieser Stimmungsumschwung?

    Stark: Es hat einen Stimmungsumschwung an den Märkten gegeben am Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche, eine Zuspitzung, eine erneute Zuspitzung in der Krise, die dann den EZB-Rat mehrheitlich dazu bewogen hat, am Sonntag Entscheidungen zu treffen, die Maßnahmen, die wir wieder zurückgenommen hatten, im Zuge der Krise wieder einzuführen und eine neue Maßnahme vorzusehen, nämlich wie sie eben schon gesagt wurde, den Kauf von Regierungsanleihen. Allerdings darf ich sagen, dass dieser Kauf von Regierungsanleihen kein Tabubruch darstellt. Es ist das erste Mal, dass die EZB dies getan hat, das ist richtig. Wir dürfen nur keine Anleihen auf dem Primärmarkt kaufen, also nicht direkt von den Regierungen, sondern auf den Märkten selbst, und das ist ein Instrument, um Marktverspannungen aufzulösen, um zu einem besseren Funktionieren der Märkte beizutragen. Genau das ist unser Auftrag auch.

    Schulz: Aber gibt die EZB die Stabilität nicht gerade preis mit dieser Entscheidung, die Sie gerade skizziert haben?

    Stark: Es ist der Eindruck erweckt worden oder es wird der Eindruck erweckt, als würde die Notenpresse angeworfen, als könnten die ganzen Probleme nur über höhere Inflation gelöst werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in der Vergangenheit – und das wird mit den neuen Maßnahmen auch geschehen – den Liquiditätseffekt, der mittel- bis längerfristig zu höherer Inflation führen könnte, neutralisiert haben. Wir werden auch mit den neuen Maßnahmen, die jetzt am Sonntag beschlossen worden sind und die seit Montag eingesetzt werden, im Laufe der Zeit den Liquiditätseffekt neutralisieren, indem wir diese zusätzliche Liquidität wieder einsammeln. Das haben wir in der Vergangenheit gemacht, auch mit den ganzen Maßnahmen im Zuge der Krise, die ja schon mittlerweile mehr als zwei Jahre, zweidreiviertel Jahre dauert. Wir haben zum Beispiel gestern Liquidität eingesammelt in einem Volumen von 320 Milliarden Euro. Das darf man nicht vergessen. Es ist kein einseitiges Hineingeben von Liquidität in die Märkte; die überschüssige Liquidität wird wieder eingesammelt und daraus entsteht kein Inflationsdruck. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen – ich habe dies auch verschiedentlich gesehen und gelesen -, die Notenpresse wird nicht angeworfen. Wir werden unser Mandat ernsthaft erfüllen.

    Schulz: Das können wir vielleicht gleich noch vertiefen. – Herr Stark, was wir nicht verstehen sind die Widersprüche ja auch in den Reihen der EZB. Bundesbankpräsident Axel Weber, der auch im EZB-Rat ist, sagt, der Ankauf von Staatsanleihen stelle erhebliche stabilitätspolitische Risiken dar. Wie kommt er denn zu dem Urteil?

    Stark: Der Ankauf von Staatsanleihen und, ich möchte sagen, auch die anderen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, stellen dann ein Risiko für die Stabilität dar, wenn wir erstens diese Liquidität nicht wieder einsammeln und wenn wir insbesondere nicht darauf achten, was unsere Aufgabe ist, dass mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, mit der wirtschaftlichen Erholung, wenn die wirtschaftliche Entwicklung dynamischer verläuft, wir dann wieder auch zu einer restriktiveren Geldpolitik kommen.

    Schulz: Aber wie wollen Sie die Liquidität denn einsammeln? Oder vielleicht einfacher gesagt: Wie wollen Sie denn das Geld aus dem Markt zurückholen? Die Staatsanleihen von verschuldeten Ländern, die werden sich doch nicht mit Gewinn verkaufen lassen.

    Stark: Die Staatsanleihen, die wir hereinnehmen, die werden wir erstens bis zum Ende der Laufzeit jeweils halten. Das heißt die Kursausschläge, die in der Zwischenzeit stattfinden können, werden nicht dazu führen, dass wir Verluste machen, sondern wir halten das bis zum Ende der Laufzeit. Zweitens: Wir müssen ja nicht die Regierungsanleihen verkaufen, um den Liquiditätseffekt auszugleichen, sondern das erfolgt über andere Mechanismen. Das heißt, wir halten die Regierungsanleihen, wir halten die Staatspapiere, sammeln aber dafür in anderen Bereichen Liquidität ein. Es geht um den Gesamtliquiditätseffekt und nicht nur um den besonderen Effekt im Bereich der Staatsanleihen.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf die Außenwirkung schauen: Wir haben ja gelernt, dass es gerade wichtig ist, Vertrauen zu schaffen. Jetzt ist es für die Märkte ja nicht gerade vertrauenseinflößend, wenn der eine so sagt, der andere so, zumal – wir haben es ja gerade schon besprochen – Axel Weber auch im EZB-Rat ist. Können Sie es nicht nachvollziehen, dass für viele dort die Interpretation einfach naheliegt, dass es eine politische Entscheidung war, die Anleihen zu kaufen?

    Stark: Ich glaube, es gibt – und das glaube ich nicht nur, sondern es ist sicher, dass es keine unabhängigere Zentralbank gibt als die Europäische Zentralbank. Es hat hier keinen politischen Einfluss gegeben und hätte es ihn gegeben, hätten wir ihm nicht nachgegeben.

    Schulz: Jürgen Stark, Mitglied im Direktorium der EZB, heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. – Wir müssen uns aber kurz oder lang an den Gedanken gewöhnen, dass unser Geld an Wert verliert, oder?

    Stark: Aber nein! – Aber nein! – Wir nehmen unsere Aufgabe sehr ernst. Das hat auch der Präsident der EZB noch einmal gestern sehr deutlich gemacht. Und wir haben bisher entgegen aller Erwartungen von Kritikern des Euro, von Kritikern der Europäischen Zentralbank, das geliefert, was wir unter Preisstabilität verstehen, in den letzten zehn Jahren. Das ist unsere Aufgabe und das werden wir auch in Zukunft tun. Ich kann die Bürgerinnen und Bürger wirklich darin beruhigen: Es wird hier von uns alles getan, um unseren Auftrag zu erfüllen. Wir nehmen auch die Sorgen der Menschen sehr ernst, natürlich! Was an Maßnahmen von Regierungen und Zentralbanken jetzt auf den Weg gebracht worden ist, daraus ergeben sich Sorgen, daraus ergeben sich Befürchtungen, wohin das führen soll. Aber wir sind in der tiefsten Krise, wir sind in einer Weltwirtschaftskrise nach wie vor mit einer neuen Phase, in der jetzt die öffentliche Verschuldung in den Blick geraten ist. Das gilt nicht nur für Europa, das gilt nicht nur für das Eurogebiet, sondern das gilt auch für viele andere fortgeschrittene Volkswirtschaften.

    Schulz: Noch mal konkret gefragt: Sie gehen nicht davon aus, dass in fünf oder zehn Jahren die Inflationsrate höher ist als jetzt?

    Stark: Wir haben im Augenblick, überlegen Sie, wir hatten im vergangenen Jahr eine Inflationsrate, die war unter einem Prozent, bedingt durch die Rezession. Wir werden in diesem Jahr eine etwas höhere Inflation haben, aber immer noch Preisstabilität. Wir beobachten sehr genau, wie die Märkte sich entwickeln. Wir beobachten sehr genau, wie die Wirtschaft sich entwickelt und wo wir dann steuernd eingreifen müssen, um eine höhere Inflation zu vermeiden. Ich sehe auf jeden Fall für die überschaubare Zeit keine Inflationsgefahr. Wir sehen allerdings in Schwellenländern, in Asien, aber auch in Südamerika, in einzelnen Regionen eine etwas zunehmende Inflationsrate, das beobachten wir auch genau. Aber solange bei uns keine wirtschaftliche Dynamik eintritt, werden wir diese Gefahr höherer Inflation nicht haben. Aber vergessen Sie nicht: Sie haben eine unabhängige Zentralbank, unabhängig von der Politik.

    Schulz: Jetzt gibt es manche, die jetzt schon den politischen Druck sozusagen als entscheidenden Faktor gesehen haben. Gehen Sie nicht auch davon aus, dass der politische Druck aus den Eurostaaten jedenfalls auch noch wachsen wird, die ja hoch verschuldet sind, die dann möglicherweise in den kommenden Jahren ihre Haushalte gar nicht anders entschulden können als über eine hohe Inflationsrate? Wie wollen Sie sich dagegen stemmen?

    Stark: Das wäre die Monetisierung der Schulden. Das heißt, dass man die Zentralbank dazu bringt, tatsächlich die Notenpresse anzuwerfen, dass sie eine höhere Inflationsrate erlaubt um den Schuldendruck einzelner Länder zurückzunehmen. Wir werden dem widerstehen, das darf ich Ihnen ganz offen sagen. Wir sind mittlerweile im EZB-Rat – nicht mittlerweile, sondern von Anfang an – eine wirklich überzeugte Truppe und Gruppe, die dem politischen Druck widerstehen wird. Es könnte allerdings von anderer Seite, in anderen Regionen der Welt, erhöhter politischer Druck kommen, sodass insgesamt global die Zentralbanken in Schwierigkeiten kommen könnten. Allerdings lassen Sie mich sagen: Wir haben es heute im Vergleich zu den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts überall mit unabhängigen Zentralbanken zu tun und das ist geboren aus der Erfahrung, dass die Zentralbanken eben nicht politisiert werden sollen, dass die Zentralbanken nicht zur Monetisierung der Schulden beitragen sollen, denn eine Inflation ist, wenn sie einmal im Grunde genommen spürbar wird, wenn wir höhere Inflationsraten haben, sehr schwer wieder unter Kontrolle zu bringen. Deshalb muss man den Anfängen wehren.

    Schulz: Jürgen Stark, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, heute in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.

    Stark: Vielen Dank.