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"Die Online-Durchsuchung wird kein Patentrezept sein"

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, rät, die Karlsruher Entscheidung abzuwarten, bevor die Online-Durchsuchung gesetzlich geregelt wird. Er selbst halte das Instrument der Online-Durchsuchung für notwendig, jedoch dürfe es nur unter strengsten rechtstaatlichen Hürden und Sicherungen angewendet werden. Allerdings werde die Online-Durchsuchung von Gegnern wie von Befürwortern überschätzt.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 10.10.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich geht es nur um ein Gesetz der Landesebene: das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen nämlich. Doch vor allem in Berlin schaut man heute gespannt auf die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe über die Klagen gegen das Gesetz aus Düsseldorf. Der Grund: Union und SPD in Berlin erhoffen sich schon heute einen Fingerzeig, wie die Richter die Online-Durchsuchung von privaten Computern beurteilen, die das Gesetz aus Nordrhein-Westfalen ermöglicht. Je nachdem ob die Richter den Daumen heben oder senken könnte das die Diskussion in der Großen Koalition maßgeblich beeinflussen, denn hier haben sich Union und SPD immer noch nicht auf eine Regelung auf Bundesebene einigen können.

    Am Telefon begrüße ich nun Dieter Wiefelspütz, den innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der sich ebenfalls in Karlsruhe aufhält. Schönen guten Tag nach Karlsruhe!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag!

    Heckmann: Herr Wiefelspütz, wie groß ist aus Ihrer Sicht die Wahrscheinlichkeit, dass das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen durchgeht?

    Wiefelspütz: Ich bin seit Monaten der Auffassung, dass dieses Gesetz evident verfassungswidrig ist, weil Mindestschutzstandards für die Online-Durchsuchung nicht gegeben sind in diesem Gesetz. Das ist mit Händen zu greifen. Es ist auch ausgesprochen blamabel, dass der Landtag mit Abgeordneten nicht vertreten ist. Der Bundestag, der gar nicht verfahrensbeteiligt ist, hat glaube ich sechs, sieben Abgeordnete hier hergeschickt aus Interesse. Die Landtagsabgeordneten kneifen. Das ist einfach ein ganz, ganz schlechtes Bild, was der Landtag Düsseldorf dort abgibt.

    Heckmann: Und Sie sehen sich bisher in Ihrer Skepsis bestätigt?

    Wiefelspütz: Ja. Also ich will es jetzt nicht überkritisch sagen, aber der Prozessbevollmächtigte der nordrhein-westfälischen Landesregierung hat natürlich auch einen ganz schwierigen Stand. Das Gesetz ist mit Händen zu greifen evident verfassungswidrig. Dem steht die Verfassungswidrigkeit sozusagen auf der Stirn geschrieben. Das sehen wohl auch die Verfassungsrichter so. Die lassen sich auch hier nicht auf falsche Fährten bringen. Die Verhandlung hatte ja manche heiteren Momente, weil der Prozessbevollmächtigte der Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen mit einiger Rabulistik versuchte, ein Gesetz, das nicht zu halten ist, noch zu halten. Wir werden aber das Urteil erst in einigen Monaten hören. Heute ist ja nur die mündliche Verhandlung.

    Heckmann: Die große Frage ist ja, Herr Wiefelspütz, was bedeutet das Ganze für den Streit auf bundespolitischer Ebene? Ist die SPD bereit, sich nach dem heutigen Tag auf die Union zuzubewegen, oder wollen sie auf jeden Fall das Urteil abwarten, das wie gesagt erst im kommenden Jahr zu erwarten ist?

    Wiefelspütz: Sehen Sie ich persönlich - Dieter Wiefelspütz - bin seit geraumer Zeit der Überzeugung, dass wir die Online-Durchsuchung benötigen, unter strengsten rechtstaatlichen Hürden und Sicherungen. Ich habe meiner Partei gleichwohl empfohlen, weil es dieses wichtige verfassungsgerichtliche Verfahren gibt - das ist ja eigentlich ein Glücksfall aus meiner Sicht -, dass wir diese Entscheidung von Karlsruhe abwarten, bis wir uns entscheiden als Partei, ob wir die Online-Durchsuchung gesetzlich regeln wollen, gemeinsam mit der CDU/CSU, und wenn ja wie gegebenenfalls. Diese Entscheidung treffen wir nicht heute, auch nicht am heutigen Abend, sondern erst wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vorliegt.

    Heckmann: Das heißt die SPD will bis dahin blockieren?

    Wiefelspütz: Wir blockieren nicht, sondern es ist offen. Das ist heute übrigens auch in der Verhandlung sehr gut herausgearbeitet worden. Was ist denn eigentlich die Online-Durchsuchung? Ist das ein Eingriff in Artikel 13 (Schutzbereich der Wohnung), oder ist das etwas anderes? Das wird endgültig erst geklärt durch das Bundesverfassungsgericht. Dann werden wir auch wissen, welche Hürden rechtstaatlicher Art denn zumindest eingebaut werden müssen, wenn wir die Online-Durchsuchung wollen sollten. Das ist kein Blockieren, sondern es ist ein Gebot praktischer Vernunft und praktischer Klugheit, dass wir hier nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen, sondern erst dann entscheiden, wenn die Sache technisch und rechtlich ausgereift ist. Das ist sie heute am 10. Oktober 2007 auch nach Abschluss der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes noch nicht.

    Heckmann: Herr Wiefelspütz, klar ist: Es geht in Karlsruhe derzeit um das Gesetz in Nordrhein-Westfalen. Aber das unterscheidet sich weitgehend von Plänen von Innenminister Schäuble, zumindest wenn man dessen Worten Glauben schenken darf.

    Wiefelspütz: Ja, das ist richtig. Allerdings muss man wissen: Wenn es die Online-Durchsuchung auf Bundesebene im Bundeskriminalamtgesetz im kommenden Jahr geben sollte, wird dieses Gesetz und diese Regelung abgebildet werden auch beim Bundesverfassungsschutzgesetz und sicherlich auch bei den Landespolizeigesetzen und bei den Landesverfassungsschutzgesetzen. Also in mehr als 30 Sicherheitsgesetzen in Deutschland wird sich dann die Online-Durchsuchung wieder finden. Deswegen ist das Verfahren heute hier in Karlsruhe, das in wenigen Monaten dann durch ein Urteil abgeschlossen sein wird, von überragender Bedeutung für sozusagen die Rechtspolitik in Bund und Ländern und es ist einfach vernünftig, dass wir das abwarten.

    Heckmann: Kann sich die SPD es erlauben, kann sich die Politik es erlauben, so lange abzuwarten, bis möglicherweise doch ein Anschlag passiert? Wir sind ja gerade an einem schwerwiegenden Anschlag vorbeigeschrammt.

    Wiefelspütz: Ich bitte sehr um Verständnis. Die erfolgreiche Terrorismusabwehr in Deutschland, auch der Sauerland-Fall, sind zu Stande gekommen im Rahmen der bestehenden Sicherheitsarchitektur, ohne Online-Durchsuchung. Die Online-Durchsuchung wird von Gegnern wie von Befürwortern überschätzt. Die Online-Durchsuchung ist ein eher subtiles, technisch und rechtlich heute noch nicht ausgereiftes Instrument, das sozusagen in den Instrumentenkasten der Polizei und des Verfassungsschutzes hinzukommt. Da sind schon jede Menge Instrumente, jede Menge, und ein einziges Instrument bringt erstens diesen Rechtsstaat nicht ins Wanken, wenn man es richtig macht. Das betrifft die überzogene Kritik an der Online-Durchsuchung.

    Die Online-Durchsuchung wird aber auch kein Patentrezept sein für die Verbrechensbekämpfung. Wie soll denn das geschehen, wenn sie so etwas vielleicht sechs-, acht- oder zehnmal im Jahr unter Umständen benötigen, wie der Präsident des Bundeskriminalamtes sagt? Da muss man auf dem Teppich bleiben. Ich meine das jetzt nicht persönlich an Ihre Adresse. Ich finde das unerträglich, wenn der Eindruck erweckt wird, wir würden da irgendetwas blockieren. Verbrechensbekämpfung, auch Terrorismusbekämpfung macht man mit kühlem Verstand, nicht mit dem Bauch und schon gar nicht in Panik. Das muss reifen, wenn ein neues Instrument in Erwägung gezogen wird, und da lassen wir uns von niemandem unter Druck setzen. Da gilt es, mit Augenmaß, mit Verstand sich diesem Thema zuzuwenden und zum gegebenen Zeitpunkt auch zu entscheiden.

    Heckmann: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt über die so genannte Online-Durchsuchung von Computern. Die Position war das von Dieter Wiefelspütz, dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Danke nach Karlsruhe!

    Wiefelspütz: Danke!