Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Die Online-Rebellen

Während Zeitungen bei unliebsamen Artikeln in Marokko immer noch eingestampft werden, gibt es im Internet bisher kaum Zensur. Der Staat schreckt bisher davor zurück, Seiten wie "Facebook", oder "YouTube" zu sperren. Trotzdem kann Bloggen Gefängnis bedeuten.

Von Marc Dugge | 19.12.2009
    Die Gründer von "Facebook" müssen Fouad Mourtada sehr dankbar sein. Denn er hat gezeigt, dass Facebook inzwischen so mächtig geworden ist, dass man wegen einem Eintrag auf der Seite ins Gefängnis wandern kann. Genau das passiert dem jungen Fouad Anfang 2008. In seiner Heimat wird er zu drei Jahren Haft verurteilt. Sein Vergehen: Er hatte auf "Facebook" ein Profil geschaffen - und sich darauf als Marokkos Prinz Moulay Rachid ausgegeben. Menschenrechtler in aller Welt solidarisieren sich mit Fouad - demonstrieren in Paris, Brüssel, Washington und - Rabat.

    Mit Erfolg: Vom marokkanischen König wird Fouad nach 42 Tagen begnadigt. Die Botschaft ist aber unmissverständlich, sie lautet: Mit dem Königshaus treibt man keine Scherze. Auch nicht im Internet, und schon gar nicht auf Facebook. Das Portal zählt zu den sogenannten "Netzgemeinschaften". Das sind Internetseiten, auf denen sich Nutzer miteinander verlinken, sich unterhalten, Fotos, Artikel oder Meinungen teilen; eine Art virtueller Cafésalon, in dem man Freund- und Bekanntschaften pflegt. In Marokko ist Facebook die Online-Seite schlechthin: Das Land zählt neun Millionen Internetabonnenten - davon sind rund 840.000 Facebook-Nutzer. Darunter auch Menschenrechtsaktivisten wie Montassir Sakhi:

    "Wir organisieren uns vor allem per Facebook und auf Mailinglisten. Informationen können so leicht verteilt werden, verschiedene Organisationen sind in der Lage, schnell miteinander in Kontakt zu treten. Viele Jugendliche, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, nutzen das Internet. Sie veröffentlichen Tagebücher oder Blogs. Sie wollen sich mitteilen und dazulernen."

    Es war auch auf Facebook, wo sich im September eine Gruppe junger Marokkaner organisiert hat, um deutlich und für alle sichtbar in der Innenstadt von Mohammedia zu picknicken - mitten im Fastenmonat Ramadan. Ein großer Tabubruch und ein Protest gegen die ihrer Meinung nach absurde Rechtslage in Marokko, nach der während des Ramadan nicht öffentlich das Fasten gebrochen darf. Die Picknicker wurden tagelang von der Polizei in Gewahrsam gehalten und verhört. Denn für die Regierung war die Aktion nichts anderes als ein Angriff auf die Grundfeste Marokkos.

    Überhaupt sieht man im Königspalast dem Treiben im Internet mit gemischten Gefühlen zu. Der erklärte Wille von Marokkos König Mohammed VI ist einerseits, das Land zu einem IT-Paradies machen. Denn das Internet ist für das wirtschaftlich eher isolierte Marokko ein Anschluss an die Welt; schnelle, stabile Internetverbindungen locken dringend benötigte ausländische Investoren und Unternehmen an.

    Andererseits formiert sich im Internet eine kritische Öffentlichkeit, die schwer in Schach zu halten ist. Während Zeitungen bei unliebsamen Artikeln in Marokko immer noch eingestampft werden, gibt es im Internet bisher kaum Zensur. Der Staat schreckt davor zurück, Seiten wie "Facebook", oder "YouTube" zu sperren - anders als beim Nachbarn Tunesien. Der Blogger Rachid Jankari:

    "Das ist wie bei einem Eisberg - die können die wirkliche Dimension des Ganzen noch gar nicht recht einschätzen. In den traditionellen Medien konnten sie die Aktionen der Oppositionellen, deren Versammlungen, ganz gut verfolgen. Aber heute findet mehr und mehr im Internet statt, in den Netzgemeinschaften. Das ist schwer zu kontrollieren. Man sollte nicht den Fehler Tunesiens oder Saudi-Arabiens machen und anfangen, das zensieren zu wollen. Das ist vergebliche Liebesmüh, denn die Technik entwickelt sich weiter."

    Rachid Jankari sieht sich an vorderster Front im Kampf um ein freies Internet in Marokko. In Kursen zeigt er marokkanischen Journalisten, wie Bloggen funktioniert, welche Möglichkeiten das Internet bietet. Die Teilnahme ist kostenlos. Finanziert wird das Projekt vom amerikanischen Außenministerium, im Rahmen der "Partnerschaftsinitiative für den Nahen Osten". So soll marokkanischen Bloggern unter die Arme gegriffen werden. Aaron Schwoebel von der US-Botschaft in Rabat:

    "In vielen Ländern, in denen seit Langem gebloggt wird, sind einige Blogs so wichtig wie, sagen wir, die 'Washington Post' oder die 'New York Times' in den USA. Marokko ist noch nicht so weit: Hier posten Blogger manchmal eine Nachricht über eine aktuelle Kontroverse, tauchen dann aber für einen Monat ab. In Marokko wäre die Bloggerszene viel reifer, wenn Onlinekonversationen täglich geführt würden."

    Damit die Bloggerszene reift, kommt Schützenhilfe von der US-Botschaft. Dort wurde gerade eine neue Stelle für Onlinemedien geschaffen. Ein Mitarbeiter kümmert sich ausschließlich um neue Medien in Marokko - und hält auch die eigene Facebook-Seite der Botschaft auf dem neuesten Stand. In einer Region, in der Zeitungen zensiert werden - oder sich selbst zensieren- kommt dem Internet besondere Bedeutung zu. Freie Rede findet in der arabischen Welt vor allem online statt - und genau die will US-Präsident Barack Obama unterstützen. Obama in der Rede an die arabische Welt in Kairo:

    "Ich habe einen festen Glauben daran, dass alle Menschen nach bestimmten Dingen streben: Nach dem Recht, frei seine Meinung zu sagen und sich dazu zu äußern, wie man regiert wird. Die Freiheit, so zu leben, wie man es will. Das sind nicht nur amerikanische Ideen, das sind Menschenrechte. Deswegen werden wir sie überall unterstützen."

    Für 2010 will US-Präsident Obama die Mittel für Demokratieförderung und gute Regierungsführung in der Region verdoppeln. Besonders Marokko soll mehr Geld bekommen. Während die USA also junge Marokkaner ermutigen wollen, das Internet zu nutzen, herrscht bei vielen Verunsicherung. Denn niemanden ist wirklich klar, wie offen man seine Meinung im Internet sagen kann. Und ob der Staat am Ende nicht doch am längeren Hebel sitzt. Marokkos Nachbar Algerien will zum Beispiel demnächst ein Gesetz verabschieden, dass eine Internetpolizei zulässt. Sie soll Terroristen und Unruhestifter im Internet bremsen. Kritiker sagen: Was da unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung eingeführt wird, soll in Wirklichkeit dazu dienen, unliebsame Blogger zu verfolgen. Und auch für Marokko entscheidet sich jetzt, wie ernst es das Land mit einem freien Internet wirklich ist. Rachid Jankari:

    "Man darf nicht zum Feind des Internets werden. Marokko hat ja das Internet auch aus rein wirtschaftlicher Logik entwickelt. Wenn Marokko sich in der IT-Technologie positionieren will, müssen sich Internetnutzer sicher fühlen. Man kann nicht kreativ sein, wenn man sich überwacht und verfolgt fühlt. Marokko darf diese Gelegenheit nicht verpassen. Sonst sind wir wie alle Länder in der arabischen Welt."