Donnerstag, 25. April 2024

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"Die Opposition in Kirgistan ist im Grunde genommen total uneinig"

Zahlreiche Menschen haben bei den Unruhen in Kirgistan ihr Leben verloren. Und noch immer dauert der Machtkampf in der zentralasiatischen Republik an, obwohl die Opposition sich schon zum Sieger erklärt hatte. Kirgistan-Expertin Beate Eschment beunruhigt vor allem das hohe Maß der Bewaffnung – auch auf Seiten der Demonstranten.

Beate Eschment im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.04.2010
    Sandra Schulz: Der als korrupt und autoritär kritisierte Präsident Bakijew erhebt weiter Anspruch auf die Führung des Landes. Neue Gewaltexzesse wurden gestern gemeldet. Einzuschätzen helfen soll uns das in den kommenden Minuten Beate Eschment, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen und jetzt bei mir im Studio. Guten Morgen.

    Beate Eschment: Guten Morgen!

    Schulz: Kann man heute Morgen eine Prognose wagen, wer sich im Machtkampf durchsetzt?

    Eschment: Eine Prognose ist immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Ich würde mal sagen, nachdem der gestrige Tag ja relativ friedlich abgelaufen ist, besteht die Chance, dass jetzt die Übergangsregierung, sprich die Opposition, sich etablieren wird.

    Schulz: Bakijew ist nach dem Ausbruch der Unruhen in den Süden des Landes geflüchtet. Welche Fäden kann er von da aus noch ziehen?

    Eschment: Die Tatsache, dass er in den Süden geflüchtet ist und gestern eben nichts Entscheidendes passiert ist, das ist der Grund, weshalb ich die Hoffnung habe, dass die Opposition sich etablieren wird, weil ja im Süden seine Anhänger sitzen und sein Ziel ist, seine Anhänger zu mobilisieren, und das scheint nicht so zu klappen, wie er sich das erhofft hat.

    Schulz: Wogegen wehren sich die Menschen, die sich jetzt offenbar auch durchsetzen, die so zahlreich und ja auch so handgreiflich in die Opposition gegangen sind?

    Eschment: Der äußere Anlass für die Unruhen war die Erhöhung von Heizungspreisen, Wasserpreisen und so weiter im Winter schon, die die sowieso schon bitterarmen Menschen sehr, sehr hart getroffen hat, und sie sind deshalb erst mal schon seit mehreren Wochen auf die Straße gegangen, und das Ganze hat sich dann praktisch auch für jemanden für mich, der das ständig beobachtet, doch sehr unerwartet hochgeschaukelt, weil wir uns nämlich auch alle daran gewöhnt haben, dass in Kirgistan in jedem Frühjahr die Menschen unzufrieden auf die Straßen gehen, und wir alle gedacht haben, das wird auch in diesem Jahr wieder so ablaufen, dass sie irgendwann wieder auf ihre Felder gehen müssen und die Sache sich damit verläuft. Umso erstaunlicher, dass der Präsident jetzt dieses Mal den Bogen tatsächlich überspannt hat und die Menschen wirklich handgreiflich geworden sind.

    Schulz: Bakijew war ja mal angetreten mit dem Ziel, die Korruption zu beenden und den Führungsstil auch zu erneuern. Warum ist er daran gescheitert?

    Eschment: Weil er meiner Meinung nach das nie wollte. Er ist angetreten mit dem Wunsch, seinen Vorgänger Akajew zu beerben, der ja genau wegen Korruption, Familienwirtschaft und so weiter gestürzt ist. Aber Bakijew hat das System ja im Endeffekt nicht nur fortgesetzt, sondern auf die Spitze getrieben, das Akajew eigentlich nur zart begonnen hat im Vergleich zu heute.

    Schulz: Und die jetzt eingesetzte Übergangsregierung, wofür steht die?

    Eschment: Das ist eine ganz schwere Frage. Die Opposition in Kirgistan ist im Grunde genommen total uneinig. Sie haben es ja auch noch nie geschafft, gegen einen amtierenden Präsidenten gemeinsam einen Gegenkandidaten zum Beispiel aufzustellen. Sie schwächen sich unentwegt selber. Das was sie vereint ist die Opposition, die Tatsache, dass sie gegen den Präsidenten sind. Wofür sie steht, kann man in der Form heute gar nicht sagen.

    Schulz: Die Bilder, die uns aus Kirgistan erreichen, ein verwüstetes Parlament, Plünderungen, die sind sehr berührend und auch sehr bedrückend. Was ist Ihr Eindruck, findet das Land jetzt zu neuer Stabilität?

    Eschment: Natürlich habe ich die Hoffnung, dass es zu Stabilität führt. Was mich wirklich ein bisschen erschreckt hat, sind nicht die Plünderungen, sondern die Art der Bewaffnung auf beiden Seiten. Vor fünf Jahren ist ja schon mal der alte Präsident auf diese Art und Weise von der Bevölkerung gestürzt worden, und da war ja das relativ Friedliche das Auffällige. Dieses Mal jetzt waren die Polizeitruppen enorm bewaffnet, aber auch die Demonstranten hatten nicht gerade nur irgendwie einen kleinen Knüppel, sondern die waren richtig mit MPs und so was teilweise bewaffnet. Das, finde ich, ist der große Unterschied und das Erschreckende.

    Schulz: Die Nachrichtenagenturen haben gestern auch von einem Schießbefehl auf die Plünderer berichtet. Ist das auch die neue Handschrift der Übergangsregierung?

    Eschment: Ich hoffe nicht, aber das kann ich wirklich nicht einschätzen von hieraus.

    Schulz: Jetzt haben sowohl Moskau als auch Washington ja Stützpunkte in Kirgistan. Was bedeutet die Instabilität des Landes vor diesem Hintergrund?

    Eschment: Dass beide, dass sowohl Moskau als auch Washington sich sehr für das Land interessieren werden und sehr genau beobachten werden, wie es weitergeht, und alles tun werden, damit sich das möglichst schnell stabilisiert, weil sie unbedingt ihre Stützpunkte behalten wollen.

    Schulz: Welche Rolle spielt Kirgistan für die Region? Rechnen Sie damit, dass dort sozusagen Ansteckungseffekt eintritt?

    Eschment: Ich rechne damit weniger. Das Entscheidende ist, dass die Präsidenten der beiden Nachbarrepubliken Usbekistan und Kasachstan unglaubliche Angst vor dem Revolutionsvirus haben, dass der über die Grenze kommen könnte, und die Grenzen sind ja auch dicht seit gestern, damit keiner rüberkommt. Aber ich glaube nicht. Kirgistan war schon seit Jahren ein bisschen anders, ohne dass das Auswirkungen auf die Nachbarrepubliken hatte. Ich denke nicht, dass das irgendwas bedeutet.

    Schulz: Wenn es Auswirkungen gäbe, wäre das denn dann eine gute, oder eine schlechte Nachricht?

    Eschment: Wenn die Nachbarregime etwas liberaler würden, wäre das durchaus zu begrüßen, aber die Umstände, mit denen es in Kirgistan passiert ist, die sind natürlich nicht gerade ein Exportschlager, würde ich sagen. Da würde ich hoffen, dass Kasachstan und Usbekistan friedlich bleiben.

    Schulz: Beate Eschment, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen und heute zu Besuch im Studio bei den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank dafür.