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"Die Organspende muss ein freiwilliges Spenden bleiben"

Die Spitzen der Bundestagsfraktionen und der Bundesregierung haben sich über die Reform des Organspendewesens geeinigt: Sie bleibt weiterhin freiwillig, aber jeder Bürger soll Auskunft über seine Bereitschaft geben. Günter Kirste, Vorstand Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), sieht in den geplanten Änderungen einen Fortschritt.

Günter Kirste im Gespräch mit Jürgen Liminski | 25.11.2011
    Dirk Müller: Der monatelange politische Streit über die Reform des Organspendewesens hat offenbar ein Ende. Die Spitzen der Bundestagsfraktionen und der Bundesregierung haben sich darauf verständigt, dass jeder Bürger Auskunft geben soll, ob er zur Organspende bereit ist oder nicht. Mein Kollege Jürgen Liminski hat darüber gesprochen mit Günter Kirste, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Seine erste Frage: Wird die neue Regelung zu mehr Organspenden führen?

    Günter Kirste: Ich glaube schon. Der ganz, ganz entscheidende Punkt in diesen Regelungen ist, dass erstmalig in Deutschland sich alle Fraktionen gemeinsam bekannt haben, dass ihr Ziel ist eine Steigerung der Organspende. Das hat es noch nie gegeben, das ist ganz wichtig und das sollte natürlich jetzt auch im Gesetz so formuliert werden.

    Jürgen Liminski: Aber auch der Bedarf wird steigen. Schon jetzt ist er nicht gedeckt und in einer alternden Gesellschaft mit steigenden Krankheitsfällen, Diabetes, Herz und so weiter, müssen die zahlenmäßig weniger jungen Leute prozentual sehr viel mehr spenden als bisher. Geht das mit reiner Freiwilligkeit?

    Kirste: Ich glaube, im Wesentlichen schon. Man muss aber dabei natürlich bedenken, das ist wie immer diese sogenannte Fortschrittsfalle. Man kann natürlich nicht erwarten, dass man einen 90jährigen mit einem Herzinfarkt und einem Krebsleiden, der außerdem zufällig auch noch an der Niere krank ist, dann noch transplantiert. Das wird nicht gehen, das wird nie funktionieren. Aber für alle Fälle, bei denen eine wirkliche Indikation da ist – und das wird von der Bundesärztekammer ja sehr eindeutig definiert -, für die sollten wir eine Lösung finden. Und der jetzige Schritt ist sicherlich ein guter und gewichtiger Schritt in die richtige Richtung.

    Liminski: Wenn schon kein Zwang, dann vielleicht mit mehr monetären Anreizen. So macht man es ja auch beim Blutspenden.

    Kirste: Das geht aus meiner Sicht bei der Organtransplantation keinesfalls. Die Organspende muss ein freiwilliges Spenden bleiben, wie der Name schon sagt. Jede Form des finanziellen Anreizes in dem Bereich ist eine Katastrophe. Wir sehen das in einigen Ländern der Dritten Welt, wo es nach wie vor eine Form des Organhandels gibt. Das ist eine Ausbeutung der armen Menschen zugunsten von Reichen. Und das können wir in Deutschland keinesfalls zulassen.

    Liminski: Auch wenn die Freiwilligkeit erhalten bleibt?

    Kirste: Ich glaube, ja. Schauen Sie, wenn Sie mit den Menschen vernünftig und in Ruhe reden über dieses Thema, dann stellen Sie fest, dass mehr als 75 Prozent der Menschen in Deutschland schon heute einer Organspende zustimmen. Ich würde mir natürlich 100 Prozent wünschen, aber der Großteil der Menschen ist überzeugt davon, dass dieses ein guter Weg der Behandlung ist und dass man sich daran beteiligen sollte. Und das sollten wir stärken. Und ich bleibe dabei: Ich denke schon, dass der Gesetzentwurf in diese Richtung ein guter Schritt ist.

    Liminski: Ist es nicht auch notwendig, dass man viel mehr sozusagen die Trommel rührt? Die meisten Menschen würden vielleicht gerne spenden, wissen aber überhaupt nichts und denken überhaupt nicht daran, weil sie einfach nicht betroffen sind, oder nicht in der Lage sind, und erst wenn in ihrem Umkreis, wenn sie selber vielleicht mal in einer Notlage sind, kommen sie auf den Gedanken, na ja, ich könnte ja vielleicht auch mal ein Organ spenden.

    Kirste: Aber das ist ja genau in diesem Entwurf vorgesehen. Es ist ja vorgesehen, dass man die Menschen mit diesem Thema wiederholt deutlich und auch mit dem Nachdruck über dieses Thema informiert. Und das genau ist ja vorgesehen. Man kann natürlich nicht einfach sagen, dass man irgendwie jemandem eine Postwurfsendung schickt und sagt, entscheide dich mal, oder entscheide dich nicht, sondern man muss es schon, wie es in dem fraktionsübergreifenden Entwurf heißt, mit dem nötigen Nachdruck machen. Und das, glaube ich, ist schon der richtige Weg, wenn die Menschen bei jedem Kontakt mit ihrer Krankenversicherung, ob das die Versichertenkarte ist, ob das eine Rechnung ist, ob das ein Vorsprechen in der Kasse ist, immer wieder mit diesem Thema konfrontiert werden. Ich glaube schon so ein bisschen, steter Tropfen höhlt da den Stein. Und die Menschen im Prinzip sind dafür.

    Liminski: Eine Perspektive öffnet der medizinische Fortschritt. Können Sie sich vorstellen, dass man mit adulten Stammzellen Organe züchten und eine Art Organbank einrichten kann?

    Kirste: Oh je! Das ist, glaube ich, eine Methode für die ganz weite Zukunft. Und wie einmal ein bedeutender Wissenschaftler in diesem Bereich gesagt hat: Es wird wahrscheinlich auch eine Methode der Zukunft bleiben. Nein, ich glaube nicht, dass das so ohne Weiteres geht. Da sind wir so weit von weg. Es gibt ganz zaghafte Ansätze in diesem Bereich, dass man bestimmtes Gewebe mit menschlichen Zellen überwuchert oder überwachsen lässt, besser gesagt, und dann dieses Gewebe nicht mehr abgestoßen wird und verwendet werden kann, aber das sind so zaghafte Versuche. Dass man sich vorstellt, mit Stammzellen würde ein künstliches Herz gezüchtet oder eine künstliche Niere, das ist, glaube ich, eine Methode, die so nie gehen wird.

    Müller: Mein Kollege Jürgen Liminski im Gespräch mit Günter Kirste, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.