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Die Partei der Kanzlerin

Viele an der Basis der CDU erkennen ihre Partei nicht wieder: Mindestlohn, der Abschied von der Hauptschule, Elterngeld - die Wahlkampfthemen der CDU für 2013 scheinen nach dem Parteitag in Leipzig abgesteckt. Mit ihrer sachlichen und analytischen Art hat Angela Merkel die Partei einmal mehr auf ihre Linie gebracht.

Von Barbara Roth | 15.11.2011
    "Guten Morgen, für das hohe C in der CDU. Bitteschön ... Herzlich Willkommen in Leipzig. Vitamin C für eine gesunde Volkspartei. Wir wollen CDU pur. Herzlich willkommen."

    Sagt ein junger Mann und drückt seinem Gegenüber eine Orange in die Hand. Eine nette Geste, denn in Leipzig ist es kalt und Vitamin C kann nicht schaden. Die Delegierten, die zum Bundesparteitag der CDU eilen, greifen erfreut zu. Die Aktion scheint unverdächtig, denn die Herren, die vor der Messehalle das Obst verteilen, tragen Pullover mit Parteilogo.

    "Aktion Linkstrend stoppen. Links – CDU ist doch krank."

    Ein provokanter Spruch. Er steht auf der Banderole, mit der die Orangen umwickelt sind. Es ist kein Gag des politischen Gegners, sondern der eigenen Basis. Ob man links dazu gewinnen kann, was man rechts an Wählern verloren hat? Fragt Willy Jeske fast ärgerlich. Wachrütteln will er seine Parteifreunde damit. Der Christdemokrat aus Dresden gehört einer Basisbewegung an, die im Internet Unterschriften sammelt gegen die – wie er sagt - Sozialdemokratisierung der eigenen Partei.

    "Ich denke, die CDU sollte ein deutlich christliches Profil haben, dass die CDU sich von den anderen wieder unterscheidet. So viel Gemeinsames, das finde ich nicht gut. Ich möchte die CDU wieder wählen können."

    "Guten Morgen, für das hohe C in der CDU. Bitteschön ..."

    Mindestlohn, der Abschied von der Hauptschule, Elterngeld – viele an der Basis erkennen ihre CDU nicht wieder. Die einen sehen das C im Parteinamen vernachlässigt. Die anderen vermissen konservative Werte. Zuletzt haben der Ausstieg aus der Atomkraft und das Aus für die Wehrpflicht viele Stammwähler verprellt. Beliebig und profillos sei seine Partei geworden, klagt Mark Schneider aus dem Erzgebirge.

    "Wir merken einfach an der Basis gibt es sehr viel Unmut und sehr viele, die sagen: Werde ich noch mal CDU wählen? Wir denken natürlich, dass es unter den Delegierten viele gibt, die unsere Ansichten teilen und glauben, dass die CDU dringend eine Kehrtwende braucht."

    Es rumort an der Basis. Angela Merkel hat ihrer CDU eine thematische Kehrtwende nach der anderen zugemutet. Und nicht alle wollen ihr widerstandslos folgen. Unter ihrer Führung hat sich die CDU Stück für Stück vom konservativen Markenkern entfernt. Mark Schneider nennt als Beispiel das traditionelle Familienbild, wonach der Mann arbeitet und die Frau zuhause die Kinder hütet. Die CDU hat sich davon längst losgesagt; das Elterngeld eingeführt, die Kinder zur Betreuung in Krippen gebracht. Dem jungen CDU-Mitglied geht Merkels Modernisierungskurs einfach zu weit.

    "Wir denken, dass es natürlich vor allem ein Führungsproblem ist. Und unsere Vorsitzende ist Angela Merkel. Sie hat ein Profilproblem, weil sie für unterschiedliche Strömungen steht – aber vor allem eine – nämlich die konservative - kommt nicht mehr vor, kommt auch nicht mehr im Parteivorstand vor. Und das kann einfach nicht sein."

    In die Halle tragen dürfen die Herren von der Basis ihre Kritik nicht. Sie müssen draußen bleiben. Ihre Orangen übrigens auch. Die werden den Delegierten bei der Einlasskontrolle gleich wieder abgenommen. Anweisung der Parteitagsregie. Begründung: Die Früchte könnten als Wurfgeschosse verwendet werden. Ein bisschen nervös ist die CDU-Führung dann doch.

    "Der Kompass ist unveränderlich. Es sind unsere Grundwerte: Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit."

    Angela Merkel am Rednerpult. Ganz in Schwarz gekleidet. Ganz traditionell. Als wolle sie die Besinnung auf das C im Namen der Partei unterstreichen. Ihre Miene ist ernst. Das Wort Kompass zieht sich wie ein roter Faden durch ihre gut einstündige Rede. Die Vorsitzende kennt die Kritik der Basis. Sie weiß, dass sie auf dem Parteitag punkten muss. Abrücken von ihrem Kurs aber wird sie nicht. Im Gegenteil. Wenn die Welt sich verändert, muss die Politik reagieren. Basta. Merkel sagt das nicht wörtlich. Aber es klingt danach.

    "Wenn wir nicht bereit sind, unsere Art zu leben zu ändern und zu sagen, so wie wir unsere Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben haben, müssen wir das jetzt nicht nur mühselig bei jeder Haushaltsberatung erfüllen, sondern wir müssen innerlich davon überzeugt sein, dass ein Leben, das an Morgen denkt, das zukunftsfähige Leben ist und dass die christdemokratische Union den Auftrag hat, diesen Weg den Menschen vorzuzeigen, damit sie weiterhin im Wohlstand leben können. Das ist unsere Aufgabe."

    Es ist keine klassische Parteitagsansprache. Auf verbale Attacken gegen die Opposition verzichtet sie. Stattdessen ist es eine nach innen gerichtete Rede. Immer wieder betont sie den Kompass der Christdemokraten. Der verunsicherten Basis will sie damit Orientierung geben.

    Mal redet die Parteivorsitzende, mal die Bundeskanzlerin. Mal klingt sie fast fürsorglich, mal staatstragend. Ein Lächeln huscht Angela Merkel ganz selten übers Gesicht. Sie sieht Deutschland und die CDU vor einer historischen Bewährungsprobe. Die aktuelle Eurokrise will sie nutzen, um grundlegende Änderungen herbeizuführen.

    Im Leitantrag wird es später heißen, dass man Schuldenstaaten den freiwilligen Austritt aus der Euro-Zone ermöglichen will. Ein kleines Zugeständnis an die Euro-Skeptiker in den eignen Reihen, die – wie die Schwesterpartei CSU - Länder wie Griechenland sogar aus der Europäischen Union ausschließen wollten. Merkel macht ferner deutlich, dass sie die Eurokrise nutzen wird, um grundlegende Veränderungen herbeizuführen.

    "Dass es die Möglichkeit gibt, wenn jemand die europäischen Verträge in Form des Stabilitäts- und Wachstumspakts verletzt, dass es dann auch wirklich Durchgriffsrechte gibt. Dass es ein Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof gibt gegen solche Staaten, dass das nicht einfach belanglos bleibt. Sondern dass wir diese Schwächen des Lissaboner Vertrages wirklich verändern hin zu wirklich gemeinsamer Verantwortung."

    Identitätskrise? Inhaltsleere? Richtungsstreit? Die CDU-Chefin hält sich erst gar nicht damit auf. Mit keiner Silbe geht sie etwa auf die Kritik des langjährigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten ein. Erwin Teufel hatte im Sommer die Profillosigkeit seiner CDU öffentlich beklagt. Ob die CDU-Granden es hören wollen oder nicht: Merkels Botschaft ist so einfach wie klar: Die CDU sei modern und gehe mit der Zeit.

    "Wir verzagen nicht, wir jammern nicht. Wir nörgeln nicht, sondern wir wissen, dass wir eine Aufgabe haben. Und wenn wir diese Aufgabe erfüllen, wenn wir zukunftsfähig sind, wenn wir an das Morgen denken können, wenn wir es ernst meinen, damit den Menschen zu dienen, dann wird diese christliche demokratische Union die große Volkspartei der Mitte bleiben. Das möchte ich, gemeinsam mit Ihnen."

    Minutenlanger Beifall. Rund 1.000 Delegierte stehen auf, rhythmisches Klatschen. Die CDU-Chefin genießt die Ovationen sichtlich. Spätestens jetzt weiß jeder hier im Saal: Angela Merkel hat nicht nur die Halle, sie hat ihre Partei im Griff.

    "Meines Erachtens hat Merkel eine Abräumrede gehalten. Sie hat all die Themen abgeräumt, die in den letzten Wochen kontrovers diskutiert wurden. Und sie hat in der Tat die Dinge erklärt."

    Sagt der Merkel-Biograf Gerd Langguth. Mit lautstarker Kritik an der Vorsitzenden hat der CDU-Kenner sowieso nicht gerechnet. Vom wem auch? Ehemalige Kontrahenten wie Christian Wulff und Roland Koch sind längst von der Partei-Bildfläche verschwunden.

    "Es fehlen die Batallione, die gegen Merkel antreten könnten. Die CDU ist Merkel, Merkel, Merkel. Herr Oettinger ist nicht mehr da, Herr Wulff ist im goldenen Käfig des Schloss Bellevue und Herr Koch ist in die Wirtschaft gegangen. Merkel hat es geschafft, die ganze Partei sich Untertan zu machen."

    Ein Delegierter wagt den Aufstand dann doch. Wohin führen Sie uns, Frau Bundeskanzlerin? Fragt Eugen Adler aus Baden-Württemberg. Es ist ein älterer Herr, der am Rednerpult steht. Er ist unzufrieden mit seiner CDU und tief enttäuscht vom Machtverlust in Baden-Württemberg, wo die CDU im Frühjahr abgewählt wurde.

    "Als Mann der Basis bin ich zunehmend um den Zustand unserer Partei besorgt. Was sich von seinem Ursprung wegbewegt, ist dem Untergang geweiht, heißt eine alte Weisheit. Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben die CDU auf einen Modernisierungskurs geführt. Wir sind aber stark beliebig geworden."

    Schweigen im Saal. Ein paar Meter vom Rednerpult entfernt plaudert Angela Merkel mit einem ihrer Ministerpräsidenten. Sie hört längst nicht mehr zu. Sie kann es sich leisten. Die Frage bleibt unbeantwortet, die Kritik verhallt. Man hört kaum jemanden klatschen. Wer sich einen Eklat gewünscht hatte, ein Aufbegehren der Delegierten – wird enttäuscht. Gemeckert über die Leistung der Parteivorsitzenden wird allenfalls draußen, auf den Gängen.

    "In unserem Land gibt es eine arge CDU-Politikverdrossenheit. Frau Merkel ist derzeit auf einem Trip, der stark mit dem Mainstream geht und das ist nicht so doll, das können die CDU-Wähler nicht ganz verstehen, wenigstens die alten nicht." - "Das muss eine Volkspartei auch leisten. Sie muss sich mit Realitäten auseinander setzen und Antworten suchen."

    Auch der Mindestlohn gehört zur Rubrik neue Antworten. Lange Zeit ein Tabuthema in der CDU. Auf dem Leipziger Parteitag nach nur 70 Minuten erledigt. Die CDU bekennt sich zu Lohnuntergrenzen. Lehnt aber politische Vorgaben zur Höhe ab. Das Niveau müssen Gewerkschaften und Arbeitgeber aushandeln; es kann regional auch unterschiedlich sein. Mit diesem Kompromiss hat die Parteispitze offenen Streit zwischen Sozialflügel und Wirtschaftspolitikern verhindert.

    "Wir wollen dort eine Lohnuntergrenze, wo es keine Tarifverträge gibt. Wir wollen nicht, dass Menschen ohne jeden rechtlichen Schutz leben."

    Sagt Merkel zum Mindestlohn, doch die Seele der Partei wärmt ein anderer. Karl-Josef Laumann stiehlt der Kanzlerin die Show. Der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, kurz CDA, war monatelang durch die Lande getingelt, um in seiner Partei für Lohnuntergrenzen zu werben. Ohne ihn, da sind sich alle sicher, hätte es den Beschluss in Leipzig nicht gegeben. Vor den Delegierten verlangt Laumann noch einmal:

    "Dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen in unserem Land nicht stattfindet über die Frage, wer findet den billigsten Arbeitnehmer, sondern dass der Wettbewerb stattfindet über die Frage von Qualität, Innovation, Vertrauen und Zuverlässigkeit. Das sind doch die Dinge, die unser Land voreinanderbringen. Aber doch nicht die Frage, wer findet den billigsten Arbeitnehmer."

    Die Delegierten feiern den CDA-Chef mit stehendem Applaus. Auf dem Weg zu seinem Platz muss Karl-Josef Laumann viele Hände schütteln. Er sieht zufrieden aus, aber auch ein bisschen verlegen, hat einen hochroten Kopf. Es ist sein Sieg.

    Stuttgart, im Oktober. Sonderparteitag der CDU Baden-Württemberg – in der Sporthalle eines Gymnasiums. Den Tagungsort hat Thomas Strobl, der neue Landesvorsitzende, ganz bewusst gewählt. Passend zum einzigen Thema, um das es an diesem Samstag geht: das 42-seitige Papier der Bundesbildungsministerin. Annette Schavan plant eine Neujustierung der CDU-Bildungspolitik. Dumm nur, dass die eigenen Leute nicht mitziehen wollen. Fassungslos sei er gewesen, verrät der Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, als er vom Leitantrag las, der auf dem Leipziger Bundesparteitag verabschiedet werden soll.

    "‘CDU schafft die Hauptschule ab’, war da zu lesen. Und unsere Finger in Baden-Württemberg waren praktisch noch feucht vom Plakate kleben im Landtagswahlkampf. Und auf diesen Plakaten hat gestanden: Wir schützen unsere Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen."

    Genutzt hat den baden-württembergischen Christdemokraten das Bekenntnis zum dreigliedrigen Schulsystem bekanntlich nichts. Nach 58 Jahren an der Macht wurde die CDU im Land abgewählt. Seit dem Frühjahr regiert im Land eine grün-rote Koalition. Ein Schock, von dem sich die bis dato erfolgsverwöhnte Partei bis heute nicht erholte. Der mit rund 72.000 Mitgliedern zweitstärkste CDU-Landesverband gilt als durch und durch konservativ. Mit dem Modernisierungskurs der Bundesspitze fremdeln viele. Und so wird nach dem Aus für Wehrpflicht und Atomenergie das geplante Ende der Hauptschule zum Symbol für alles, was den Konservativen am Merkelschen Kurs nicht passt. Landesparteichef Thomas Strobl:

    "Ich sehe überhaupt nicht ein, warum diese guten Schulen kaputtgemacht werden sollen, dort wo sie gut funktionieren. Dort, wo die Hauptschulen gewollt sind, dort sollen sie auch in Zukunft ihre Existenzberechtigung haben. Applaus – blenden."

    Unten in der ersten Reihe lächelt Annette Schavan gequält. Es ist nicht die erste Veranstaltung, auf der sie den Unmut ihrer Parteifreunde spürt. Ihr eigener Kreisverband Alb-Donau/Ulm, für den sie als Abgeordnete im Deutschen Bundestag sitzt, hat die Merkel-Vertraute nur als Ersatzdelegierte nach Leipzig gesandt. Ein Affront für eine aus der obersten Parteihierarchie. Der "Spiegel" nennt sie bereits "die Watschenfrau". Denn schon auf dem Wahlparteitag im vergangenen Jahr erhielt Schavan mit Abstand das schlechteste Ergebnis unter Merkels Stellvertretern. Damals wurde das als indirekte Attacke auf die CDU-Vorsitzende gewertet.

    "Nicht aufregen, es ist nicht schlimm. Man kann auch mal unterschiedlicher Meinung sein."

    Im Juni 2008 rief die Kanzlerin die Bildungsrepublik Deutschland aus. Und Annette Schavan brachte die Idee zu Papier, wie die deutsche Schullandschaft in zehn Jahren aussehen soll. Tatsache ist, dass im Zuge des demografischen Wandels die Schülerzahlen sinken. In Baden-Württemberg etwa um 28 Prozent. Grund genug für die CDU-Spitze, Abschied vom dreigliedrigen Schulsystem zu nehmen. Stattdessen soll neben dem Gymnasium nur noch eine sogenannte Oberschule existieren, unter deren Dach Hauptschule und Realschule vereint sind. Absolut nichts Neues, sagt Schavan:

    "Jeder Kommunalpolitiker weiß, eine Gemeinde ohne Schule ist Mist, ganz einfach. Versuchen Sie mal, ein Gewerbegebiet zu erweitern, versuchen Sie mal Grundstücke zu verkaufen, wenn Sie auf die Frage ‘Wo ist die nächste Schule?’ sagen müssen ‘Naja, also dauert bisschen’ – das ist keine überzeugende Antwort."

    Nicht nur der Ministerin, auch der Bundesvorsitzenden war natürlich klar, dass sie ihrer Partei einiges zumuten. Das dreigliedrige Schulsystem zählt für viele zum Markenkern der CDU; dass die Hauptschule plötzlich ein Auslaufmodell sein soll - für viele an der Basis schwer vorstellbar.

    "Es wäre für mich Verbrechen, ein pädagogisches Verbrechen, wenn man eine solche Schule, die so hervorragend nach allen Seiten durchlässig, transparent ist, wenn man die abschaffen würde."

    Wie viel Modernisierung verträgt die Partei? Die Bundesbildungsministerin hält in Stuttgart eine kämpferische Rede. Sie trägt ein hellrotes Jackett, in dessen Stoff eingewebt sind große Herzen. Als wolle sie dem Vorwurf, sie mache Politik ohne Leidenschaft mit diesem Kleidungsstück entgegentreten. Auch Merkel wird nachgesagt, sie treffe lieber pragmatische Entscheidungen statt die Parteiseele zu streicheln.

    "Politik muss führen. Und führen heißt, sich auch mal anlegen; heißt auch mal widersprechen, heißt ein Konzept haben. Und nur, wer sagen kann wie es in zehn Jahren aussieht, und einen klaren Plan hat und von diesem Plan die Öffentlichkeit überzeugt, der wird in diesem Land Spuren hinterlassen."

    Doch der Bundesbildungsministerin bleibt genau das versagt. Kurz vor dem Parteitag wurde ihr Bildungskonzept entschärft. Der Protest aus den Bundesländern war zu stark. Alleine zum Thema Bildung lagen den Delegierten mehr als 1.600 Änderungsanträge vor – ein Rekord. War im ursprünglichen Antrag der Parteispitze von einem Mix aus Gymnasium und neuer Oberschule die Rede, wird im nun mehrheitlich verabschiedeten Leitantrag die neue Oberschule nur noch als wünschenswert empfohlen. Der Abschied von der Hauptschule ist nicht vom Tisch, aber er wird nicht von oben diktiert. Eine Niederlage für die Merkel-Vertraute. Vielleicht hätte Annette Schavan in Stuttgart aufmerksamer zuhören sollen:

    "Nehmen Sie diesen Antrag noch ein Jahr zurück, lassen Sie die Diskussion, die jetzt in Gange kommt, wirken. Und kommen Sie uns dann mit einem Antrag, der dann wirklich abstimmungsfähig ist und nicht streitig gestellt wird. Und dann haben wir sicher was, womit wir 2013 hervorragende Möglichkeit haben Wahlkampf betreiben zu können. Danke."

    2013 – das ist die Zahl, auf die auch in Leipzig alle starren. Das Jahr, in dem sich entscheidet, ob Angela Merkel wieder ins Kanzleramt einzieht oder die CDU auf die Oppositionsbank führt. Die Wahlkampfthemen sind abgesteckt: kein Abschied von der Hauptschule – noch nicht. Kein allgemein verbindlicher Mindestlohn, aber große Unterstützung für Lohnuntergrenzen im ganzen Land. Breite Unterstützung auch für die Europapolitik. Angela Merkel kann mit dem Etappenziel, Leipzig 2011, zufrieden sein. Einmal mehr ist die Vorsitzende dem Grummeln und Motzen in ihrer sachlichen und analytischen Art entgegen getreten und hat die CDU auf Linie gebracht. Auf ihre Linie.