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Die Pikosekundenkamera
Forscher filmen mit 100 Milliarden Bildern pro Sekunde

Forscher entwickeln immer schnellere Kameras. Einem Team aus den USA ist nun ein neuer Rekord gelungen: fotografieren mit 100 Milliarden Bildern pro Sekunde. Was sie genau mit dieser Kamera machen können, ist den Forschern noch nicht ganz klar.

Von Piotr Heller | 04.12.2014
    Denkt man an einen Laser, stellt man sich zumeist einen Strahl vor: einen langen Zylinder aus Licht. Doch macht man einen Laser nur für einige Billionstel Sekunden an, entsteht ein kurzer Laser-Puls. Unsichtbar für das menschliche Auge, jedoch nicht für die Kamera von Lihong Wang:
    "Wir feuern einen sehr kurzen Laserpuls ab – einige Pikosekunden lang. Und weil dieser Puls so kurz ist, nimmt er nur einige Millimeter Raum ein. Mit unserer Kamera können wir das einfangen und sehen, wie sich dieser Puls aus Lichtteilchen durch den Raum bewegt."
    Die Kamera nimmt 100 Milliarden Bilder pro Sekunde auf. Spielt man die dann mit zehn Bildern pro Sekunde ab, hat man interessante Videos. Eines davon dokumentiert ein Rennen. Es treten an: Zwei Lichtpulse. Einer fliegt durch die Luft, der andere durch einen Kunstharzblock. Man kann sehen, wie das Licht in der Luft seinen Kontrahenten abhängt. Fragt man den Forscher, um welchen Faktor die Zeit in seinen Videos verlangsamt ist, muss er selbst kurz nachrechnen:
    "Schätzen wir das mal ab: Das Video dauert drei Sekunden. Dividiert durch 300 Pikosekunden... Macht zehn hoch zehn! Es ist also gut zehn Milliarden mal verlangsamt."
    Das Video läuft also zehn Milliarden mal langsamer als die Realität. Zur Einordnung: Es gibt ein bekanntes Video, das in Zeitlupe zeigt, wie eine Gewehrkugel einen Apfel durchschlägt. Würde man diese Kugel mit der neuen Kamera filmen und das Video mit zehn Bildern pro Sekunde abspielen; die Kugel würde zwölf Tage brauchen, um durch den Apfel zu dringen. Die Aufnahme-Technik basiert auf etwas, das es schon einige Jahre gibt: auf einer sogenannte Schmierbild-Kamera.
    "Die macht Folgendes: Sie wandelt Lichtteilchen dank Einsteins photoelektrischem Effekt in Elektronen um. Die Elektronen fliegen durch ein elektrisches Feld und werden nach unten abgelenkt. Weil sich das Feld verändert, werden sie unterschiedlich stark nach unten abgelenkt, je nachdem, wann sie ankommen."
    Anwendungen, die noch nicht vorstellbar sind
    Auf dem fertigen Bild wird also die Zeit durch die vertikale Position repräsentiert. Man kann es dadurch in ein Video umwandeln. Doch es gibt ein Problem: "Man verliert die vertikale Dimension, weil man sie für die Zeit nutzt."
    Das heißt: Eine Schmierbild-Kamera kann nur eindimensionale Videos machen. Lihong Wang vergleicht das mit einem Pferderennen, das man durch einen dünnen Schlitz beobachtet: Man sieht nur Streifen und keine Pferde. Darum hat er die Kamera weiterentwickelt.
    "Wir wollten eine Schmierbild-Kamera bauen, die in zwei Dimensionen filmen kann. Das war unsere Hauptaufgabe."
    Dazu schicken Lihong Wang und sein Team das Abbild der Lichtstrahlen zunächst über mehr als eine Million mikroskopischer Spiegel. Dann gelangt es in die Schmierbild-Kamera. Die Spiegel verändern das Bild so, dass ein spezielles Computerprogramm aus dem Schmierbild ein Video in zwei Dimensionen berechnen kann. Und mit diesen Zeitlupen-Videos kann man einiges anfangen:
    "Auf der mikroskopischen Ebene kann man Dinge erkennen, die man heute nicht sieht, weil sie zu schnell sind. Prozesse in Zellen zum Beispiel. Außerdem könnte man die Kamera an etwas wie das Hubble Weltraumteleskop anschließen. Dann könnte man zum Beispiel den Gravitationskollaps einer Supernova beobachten, wo sich Partikel mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Und natürlich gibt es noch Anwendungen, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können."
    Was man mit dieser Technik bei einer Supernova sehen könnte, das weiß keiner. Denn solche Aufnahmen gab es noch nie. Überhaupt übersteigen die Möglichkeiten der Kamera selbst die Fantasie ihrer Erfinder. Darum freut sich Lihong Wang, dass ein Artikel über die Kamera in der aktuellen Ausgabe des Magazins "Nature" erschienen ist. Er hofft, dass andere Forscher dadurch inspiriert werden und sich Anwendungen für die ultraschnelle Kamera einfallen lassen.