Mittwoch, 24. April 2024

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"Die Probleme dürfen wir nicht abschieben"

Die CDU-Politikerin Emine Demirbüken-Wegner hält Forderungen nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts für verfehlt. "Man kann nicht auf der einen Seite Stellen streichen und auf der anderen Seite sagen, die Justiz reagiert nicht, sie ist zu lasch. Das geht nicht", sagte Demirbüken-Wegner, in der Türkei geborene Parlamentarierin im Berliner Abgeordnetenhaus.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 11.01.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Es sah aus wie ein genialer Wahlkampf-Coup von Roland Koch, dem Ministerpräsidenten von Hessen. Er nahm den brutalen Überfall zweier ausländischer Jugendlicher zum Anlass, eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ganz oben auf die politische Agenda zu setzen. Seither debattiert kaum jemand mehr über den Mindestlohn, das Thema, auf das die Sozialdemokraten im hessischen Wahlkampf gesetzt hatten. Doch jetzt sieht es so aus, als könnte Koch das Thema auf die Füße fallen. Denn immer klarer wird: In Hessen dauert die Verurteilung von jugendlichen Straftätern am allerlängsten in Deutschland, nicht zuletzt wegen der jüngsten Stellenkürzungen. Und eine Mehrheit der Bundesbürger ist der Überzeugung, dass es Koch nicht um die Sache, sondern um seine Wiederwahl geht. Auch von Seiten der SPD reißen die Vorwürfe nicht ab. ( MP3-Audio , Beitrag von Michael Groth)

    Am Telefon begrüße ich jetzt Emine Demirbüken-Wegner vom CDU-Bundesvorstand. Schönen guten Tag!

    Emine Demirbüken-Wegner: Ich grüße Sie, Herr Heckmann!

    Heckmann: Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, hat gesagt, Roland Koch sei für Deutsch-Türken nicht wählbar. Ist das eine überzogene Reaktion?

    Demirbüken-Wegner: Ich denke schon. Dann müsste er eigentlich auch in Richtung der SPD gucken. Im Jahre 1997 hat der damalige Ministerpräsident Schröder das Gleiche gesagt, Ausweisung, und der SPD-Innenminister Otto Schily hatte genau die gleichen Thesen vertreten. Mich verwundert es sehr, dass Herr Kolat damals nicht die gleichen Äußerungen geäußert hat. Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand in einem demokratischen Prozess. Man mag mit Inhalten nicht konform sein, nicht einverstanden sein, aber der Weg, der hier gewählt wird, ist ein falscher.

    Heckmann: Haben Sie auch das Gefühl wie viele, die sich in den letzten Tagen dazu geäußert haben, dass in Deutschland Wahlkampf gemacht wird auf dem Rücken von Ausländern?

    Demirbüken-Wegner: Man merkt natürlich, dass wir in einer heißen Wahlkampfphase sind. Der 27. ist nicht mehr lange hin. Fakt ist aber, dass wir über dieses Thema seit Jahren parteiübergreifend in allen Fraktionen sprechen, über die zunehmende Jugendgewalt und wie man diesem begegnen sollte. Dass es natürlich jetzt ein Thema geworden ist auf der Top-Agenda mit der Zielrichtung der Abschiebung, hat natürlich die Gemüter noch mal zusätzlich erhitzt. Und es ist eine sehr übersensible Atmosphäre entstanden.

    Heckmann: Es ist ja nicht automatisch geworden zu einem Topthema, sondern es ist ja auch gemacht worden. Roland Koch hat das Thema bewusst auf die Agenda gesetzt. War das gut, dass er das jetzt getan hat, obwohl Wahlkampf ist?

    Demirbüken-Wegner: Der Herr Ministerpräsident, der Herr Koch, hat es nicht bewusst zu einem Topthema gemacht, das war immer auf der Agenda, die zunehmende Jugendgewalt. Nur dass man das auf eine Nationalität oder auf eine Ethnie zuschreibt, ist natürlich eine Zielrichtung, mit der ich nicht konform laufe, die natürlich auch zu vielen Unruhen in der Gesellschaft geführt hat, denn wohin will man all die Jugendlichen, die kriminell geworden sind, abschieben, wenn sie hier geboren sind, hier beheimatet sind und Deutschland eigentlich ihre Zukunft sein wird?

    Heckmann: Das heißt, Sie kritisieren schon die Stoßrichtung in der Art und Weise, wie Roland Koch dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat?

    Demirbüken-Wegner: Der Inhalt als solches muss ein Topagenda-Inhalt bleiben, weil: Das ist ein Thema, das uns beschäftigen muss. Gewalt ist ein allgemeines und jugendphänomenales Thema, übergreifend. Aber ich denke in den Zielrichtungen und Zielsetzungen bin ich ein Stück anderer Meinung, denn das sind soziale Probleme dieser Jugendlichen, die wir in unserem eigenen Land auch lösen müssen. Die Probleme dürfen wir nicht abschieben.

    Heckmann: Das heißt, eine schnellere Abschiebung und Ausweisung von ausländischen Kriminellen, auch eine Staatsangehörigkeit auf Probe, wie jetzt vom Weißen Ring gefordert, das sind für Sie keine Lösungen?

    Demirbüken-Wegner: Wohin will ich bitteschön Jugendliche abschieben, die in der dritten, vierten Generation hier leben und außer Deutschland kein anderes Heimatland kennen? Nur weil sie vielleicht zufälligerweise noch nicht den deutschen Pass in der Tasche haben, kann ich diesem Thema nicht so begegnen, als ob ich die Zukunft dieser Gesellschaft oder dieser Jugendlichen in einen Papierkorb werfe. Das ist nicht die Lösung der Dinge.

    Heckmann: Aber was kann die Lösung sein?

    Demirbüken-Wegner: Die Lösung ist, dass wir hingucken müssen: Wo sind eigentlich die Schwachstellen in der Bildungspolitik, in der Integrationspolitik und in der Sozialpolitik. Warum sind uns diese Jugendlichen durch die Roste gefallen? Warum haben diese Jugendlichen keine Perspektiven mehr? Warum gibt es Probleme bei der Sprachkompetenz? Und das sind Themen, die wichtige Hausaufgaben parteiübergreifend für alle sind und auch selbstverständlich für die Union. Also wir müssen erst selber mal gucken, warum wir Produkte erzeugt haben, die auf dem Markt eigentlich nicht mehr verkäuflich sind.

    Heckmann: Haben Sie die Befürchtung, dass die Bemühungen, die ja jetzt in den letzten Monaten verstärkt betrieben worden sind, eben zur Integration von Ausländern, zunichte gemacht wurden durch diese Diskussion?

    Demirbüken-Wegner: Die Bemühungen sind nicht zunichte gemacht worden. Die Bemühungen werden fortwährend fortgesetzt. Wir werden daran weiter arbeiten. Ich finde es nur misslich, dass dieses Thema dazu geführt hat, dass man nur noch in Kategorien diskutiert, in Schubladen diskutiert. Das bedeutet, dass man nur noch solche Äußerungen wie von Herrn Ministerpräsident Koch als eine ausländerfeindliche Äußerung hinstellt und sich gar nicht mehr damit auseinandersetzt. Viel interessanter ist eigentlich, die Debatte inhaltlich zu führen im Sinne von "wer schiebt wen wohin ab?", "Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?", zumal unsere Bundeskanzlerin in der gestrigen Ausgabe der türkischen Zeitung " Milliyet" gesagt hat, die Gewalttätigkeit darf man nicht ethnisieren.

    Heckmann: Wie reagiert denn die deutsch-türkische Bevölkerung? Gerade in Berlin gibt es ja einen großen Bevölkerungsanteil. Was bekommen Sie dort für Rückmeldungen?

    Demirbüken-Wegner: Sie ist irritiert aufgrund der Berichterstattung, die natürlich sehr kurz gefasst ist im Sinne, wie ich es vorhin auch erwähnt habe: Ausländerfeind, Ausländerfreund. Man sieht nicht mehr die Schattierung. Man hört nicht mehr, was die Bundeskanzlerin gestern in der türkischen Zeitung " Milliyet " gesagt hat. Man hört jetzt nur noch die Äußerung "Ausländer sollen raus", und das führt zur Irritierung, denn nur polarisierende Überschriften beherrschen zurzeit die Öffentlichkeit, was ich sehr, sehr eigentlich traurig finde, denn das geht an der eigentlichen Thematik vorbei.

    Heckmann: Sie haben jetzt einige Aspekte angesprochen, die sicherlich sehr wichtig sind. Aber würden Sie auch sagen, dass wir möglicherweise doch auch an dem einen oder anderen Punkt Verschärfungen brauchen?

    Demirbüken-Wegner: Wissen Sie, wir haben schon überall in den Bundesländern das Thema Jugendstrafgesetzverschärfung lange Jahre diskutiert und wir haben im letzten Jahr das Jugendstrafgesetz erneuert überarbeitend in Berlin verabschiedet. Ich denke mir, das, was wir brauchen, ist die harte und schnelle Umsetzung der Gesetze. Aber wenn man hört, wie lange ein Verfahren auf sich warten lässt, wie viele Richter dort fehlen, wie viele Jugendrichter hier fehlen, dann muss man sich wirklich auch ein Stück die Frage stellen, haben wir überhaupt die Rahmenbedingungen für die Umsetzung des eigentlich in meinen Augen zufriedenstellenden Jugendstrafgesetzes. Wenn nicht, dann müssen wir an den Rahmenbedingungen arbeiten.

    Heckmann: Sie haben die fehlenden Stellen angesprochen. Kann man sich hinstellen und eine schnellere Bearbeitung, eine schnellere Verurteilung fordern oder auch Ausweisung von jugendlichen Straftätern und auf der anderen Seite Stellen eben im Justizbereich streichen? Ist das glaubwürdig?

    Demirbüken-Wegner: Nein, kann man nicht. Kann man nicht, nein. Man kann nicht auf der einen Seite Stellen streichen und auf der anderen Seite sagen, die Justiz reagiert nicht, sie ist zu lasch. Das geht nicht. Deshalb habe ich auch gesagt, die Rahmenbedingungen zur Umsetzung des vorhandenen Jugendstrafgesetzes müssen stimmen.

    Heckmann: Emine Demirbüken-Wegner war das vom CDU-Bundesvorstand. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.

    Demirbüken-Wegner: Ich danke Ihnen auch.