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Die Prosa des Sterbens heute

Intensivstes Musiktheater von der Intensivstation: Das neue Werk von Librettist Händl Klaus und Komponist Georg Friedrich Haas – zwei Österreicher, versteht sich - zeigt in schonungsloser Langsamkeit Ableben und Abschied unter den Bedingungen einer professionellen Sterbeindustrie.

Von Frieder Reininghaus | 25.05.2013
    Offensichtlich richtet sich die neue Arbeit von Händl Klaus und Georg Friedrich Haas gegen die Kunst des großen Verdrängens: Nein, gerade daran will man eigentlich nicht erinnert werden in der schönen Maien- und Spargelzeit, und im heiteren Rokoko- und wunderhübsch erblühten Park-Ambiente schon gar nicht. Die Regieanweisung ist so lakonisch wie einfach: "Ein Krankenzimmer. Heute". Genau das zeigt auch die von Vinzenz Gertler entworfene Bühne völlig funktional: Einen schmerzhaft realistischen Blick auf das Sterben und seine heutigen Begleitumstände.

    Ein halbes Dutzend Musiker – später kommen noch vier weitere hinzu – nähert sich im kleinen Graben des Schwetzinger Theaters dem Geräusch- und Klang-Repertoire der Palliativ-Medizin.

    Das Instrumental-Ensemble unter Michel Galante sekundiert dem ruhigen Bild auf der Bühne und entwickelt aus dem als Grundtempo sich durchziehenden ruhigen Andante heraus mit Mandoline, Zither, Akustik-Gitarre, Harfe und zwei Cembali einen ganz eigentümlichen mattsilbrigen Klang: Da liegt (als Matthias) der Bariton Wolfgang Newerla im Sterbebett und atmet rasselnd – mit immer größeren Pausen. Otto Katzameier gestaltet die Partie des in Liebe Abschied nehmenden und dann in seine Erinnerungen sich verstrickenden Thomas grandios – die biblischen Namen der Protagonisten sind so wenig zufällig gewählt wie das Sujet. Kai Wessel countert als Krankenpfleger umsichtig und kenntnisreich. Mit hörbar bemüht verständnisvollem und freundlichem Tonfall versucht er, dem überlebenden Lebenspartner Lebenshilfe zu geben.
    Herzversagen also und die Feststellung des Todes durch den ebenfalls (und noch deutlicher grotesk in höchsten Höhen singenden) Dr. Dürer. Daniel Gloger ergänzt das Quartett der exzellenten Männerstimmen mit seiner Bravour-Nummer der technokratischen Medizin und des professionellen Beileids. Dann belebt, fast komödiantisch, der Auftritt der beiden katholischen Krankenschwestern die handlungsarme, streng den Leichenprozeduren folgenden Geschichte. Sie waschen den Toten, sagen und singen dabei – sich stets ins Wort fallend wie all die andern auch – sehr genau, was sie jeweils vorhaben oder tatsächlich tun. Die junge Regisseurin Elisabeth Gabriel erspart in ihrem schlichten Realismus den Zuschauern nichts.
    Die Floskeln und Peinlichkeiten des berufsmäßigen Trosts werden von der Bestatterin Sarah Wegener mit ihrer von wachsender sexueller Erregung getriebenen Hilfsbereitschaft im wörtlichen Sinn auf den Gipfel getrieben: Frau Fink ist mit Leib und Seele für ihre Kunden da.
    Schließlich ist Thomas mit Matthias allein in seiner Trauer – und der Tote erhebt sich für den Überlebenden zu einem letzten Abendmahl (es gibt vegetarische Minestrone), wird aber dahingehend belehrt: dass er tot ist. Sichtlich und Hörbar entwirft die neue Arbeit von Händl und Haas ein Gegenmodell zu Richard Wagners "Tristan und Isolde", dem hypertrophen Werk aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Es nähert sich der Banalität der Liebe und des Grauenhaften allerdings ganz anders und führt keine sagenumwaberte altkeltische Trieb- und Traumlandschaft vor Ohren, sondern die Prosa des Sterbens heute vor Augen. Zugleich aber, was das Festhalten an Liebe in diesem ungleich schwierigeren Umfeld bedeuten könnte. Ohne allen Verweis auf ewiges Leben. Allerdings mit einem musiktheatergeschichtlichen.