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"Die Punkte müssen alle noch umgesetzt werden"

Der Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband, Gerd Billen, hat die Bundesregierung aufgefordert, die amtliche Lebensmittelüberwachung finanziell und personell zu stärken, damit die Bundesländer den nötigen Kontrolldruck entfalten könnten. Für die Verbraucher gehe es vor allem darum, "dafür zu sorgen, dass die Regale sauber sind" und keine Produkte mit zu hohen Dioxin-Werten im Handel sind.

Gerd Billen im Gespräch mit Gerd Breker | 19.01.2011
    Gerd Breker: Bund und Länder haben sich auf ein Aktionspaket als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal verständigt. Das war gestern. Heute wurde im Kabinett dieser Aktionsplan beschlossen und die in der Kritik stehende Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat am Mittag eine Regierungserklärung im Bundestag dazu abgegeben.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gerd Billen, dem Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband. Guten Tag, Herr Billen.

    Gerd Billen: Guten Tag!

    Breker: Auf 14 Punkte hat man sich geeinigt, das Kabinett hat zugestimmt. Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung, oder?

    Billen: Sie muss noch in Ordnung kommen! Es ist gut, dass sich die Minister und die Ministerin geeinigt haben, dass der politische Schönheitswettbewerb ein Ende hat, aber die Punkte müssen alle noch umgesetzt werden. Wenn das so geschieht, dann, glaube ich, ist jedenfalls die Chance größer, dass es in Zukunft weniger Skandale geben kann.

    Breker: Was denken Sie denn, Herr Billen, wie lange es dauern wird, bis dass alle Pläne umgesetzt sind?

    Billen: Die gesetzlichen Änderungen kann und muss Frau Aigner jetzt auf den Weg bringen. Meine Sorge gilt dem Thema amtliche Lebensmittelüberwachung, denn so schön der 14-Punkte-Plan ist, so sehr hat er doch das Manko, dass nicht über Geld gesprochen wird, und mir konnte bisher noch keiner erklären, wie die Bundesländer mehr Kontrollen machen wollen, mehr Kontrolldruck entfalten wollen mit dem an Personal und Geld, was sie heute ausgeben. Da sehe ich noch Lücken.

    Breker: Herr Billen, der neue Landwirtschaftsminister in Hannover hat heute durchblicken lassen, die Dioxin-Beimischung, die laufe schon seit März letzten Jahres. Kennt man überhaupt schon den gesamten Umfang dieses Skandals?

    Billen: Nein. Wir wissen weder den gesamten Umfang, wir wissen nicht, ob es nur ein Einzelfall war, und was aus Verbrauchersicht eben besonders misslich ist: Wir wissen immer noch nicht, ob wir heute sorgenfrei einkaufen können. Deswegen geht es für Verbraucher vor allem darum, jetzt mal dafür zu sorgen, dass die Regale sauber sind, dass es weder Eier, noch Schweinefleisch im Handel gibt, bei dem die Dioxin-Grenzwerte überschritten sind.

    Breker: Inzwischen hat man ja auch viel mehr als nur Dioxin gefunden. Es gibt Antibiotika, Hormone und Ähnliches in unseren Lebensmitteln. Ist man sich denn sicher, dass überhaupt immer auf das Richtige getestet wird?

    Billen: Die amtliche Lebensmittelüberwachung hat in den letzten Jahren risikoorientiert getestet. Das heißt, sie ist da tätig geworden, wo sie zurecht vermutet hat, sie muss besonders hingucken. Insofern ist die Tatsache, dass man diese Dinge in Lebensmitteln findet, nicht ein Hinweis darauf, dass die Sachen bei uns überhaupt nicht funktionieren. Ich glaube, es kommt jetzt bei Dioxin darauf an, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Da helfen die 14 Punkte. Sie müssen aber eben auch in die Praxis umgesetzt werden.

    Breker: Die Kontrollen bei uns, sie sollen verstärkt werden. Aber reicht das denn aus? Wenn man sich anschaut, wie die Futtermittelströme, sage ich mal, verquickt sind, international verquickt sind, muss es da nicht supranationale Lösungen geben?

    Billen: Es muss vor allem europäische Lösungen geben. Ich setze hier sehr stark auch auf den Vorschlag der Agrarminister, der Verbraucherminister, eine Positivliste einzuführen, und zwar europaweit, die genau festlegt, welche Rohstoffe dürfen in Futtermitteln verarbeitet werden. Es sieht ja im Moment so aus, als ob Futtermittel zu einer Art Reste- und Müllverwertung geworden sind, wo man alles Mögliche eingemischt hat. Das muss europaweit geregelt werden und auch an den Grenzen entsprechend dann kontrolliert werden.

    Breker: Herr Billen, man wundert sich ja, dass immer erst dann reagiert wird, wenn das Kind schon im Brunnen liegt. Wenn ich da das Beispiel der Fette nehme: Die Produktionsströme, die nun getrennt werden sollen, industrielle und Futtermittelfette. Das ist doch absurd! Da hatte man doch gedacht, das sei schon längst so!

    Billen: Ja. Wir lernen eben täglich, dass die Dinge nicht so sind, wie wir sie uns wünschen und wie sie auch sein sollen. Deswegen ist natürlich so ein Skandal auf der einen Seite schlecht für die Verbraucher, aber vor allem für die Bauern. Auf der anderen Seite dient er dazu, daraus zu lernen und zu gucken, was muss nun an welchen Stellen konkret verändert werden, verbessert werden, um es für die Zukunft schwieriger zu machen. Ausschließen werden wir diese Skandale auch in Zukunft nicht völlig können.

    Breker: Wegen der kriminellen Energie und der großen Gewinnspanne?

    Billen: Ja. Es ist eben lohnend - und das wird bei steigenden Lebensmittelpreisen zunehmen -, sozusagen Billigstoffe im Futtermittel einzumischen, und deswegen war und ist die Futtermittelindustrie die Achillesferse in diesem ganzen System und von daher müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, dass in Zukunft nur saubere Futtermittel und eben möglichst auch aus europäischer Produktion bei uns eingesetzt werden.