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Die Rationalität der Schimpansen

Dass jede Wirkung eine Ursache hat, ist für uns ganz selbstverständlich. Das sieht man schon daran, mit welcher Inbrunst kleine Kinder bei der "Warum"-Frage nerven können. Ob das in allen menschlichen Kulturen so ist, wollte ein interdisziplinäres Forschungsprojekt in Bielefeld beantworten.

Von Martin Hubert | 18.04.2013
    Schimpansen unterscheiden sich genetisch gerade mal um 1, 3 Prozent vom Menschen. Diese Nähe hat Folgen. Zumindest ansatzweise können Schimpansen einiges von dem, worauf sich der Mensch ziemlich viel einbildet. Sie stellen Werkzeuge her, tricksen und täuschen. Aber können sie auch das, was den Menschen wirklich auszeichnet? Logisch denken, indem sie Ursache und Wirkung aufeinander beziehen?

    Das Forschungsprojekt "Die kulturelle Konstitution der Kausalität" am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung ist dieser Frage nachgegangen. Zwei Jahre lang diskutierten Wissenschaftler unterschiedlichster Fächer darüber, wie universal die Muster kausalen Denkens sind und wie stark sie kulturell geprägt werden - ein bisher wenig erforschtes Gebiet. Die Ethnologin Andrea Bender vom Psychologischen Institut der Universität Freiburg.

    "Wenn man sich für die Frage interessiert, wie groß der kulturelle Einfluss auf eine Art von Kognition ist, ist natürlich auch die Frage: Wie viel davon ist denn nicht kulturell beeinflusst oder angeboren oder möglicherweise sogar geerbt von unseren Vorfahren? Das ist natürlich auch die Frage, wie unsere nächsten Verwandten - und die Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten - wie es bei denen aussieht? Und gerade diese Abgrenzung von, 'Was ist möglicherweise universell, was ist kulturell überformt', verlangt das eigentlich, dass man diese Vergleiche anstellt."

    Der Psychologe Daniel Hanus vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie hat sich Verhaltensexperimente ausgedacht, um dem kausalen Denken von Schimpansen auf die Spur zu kommen. Er setzte die Tiere zum Beispiel vor eine Balkenwaage, die sich in Gleichgewicht befand. An den Enden der Waage war jeweils ein undurchsichtiges Gefäß angebracht. Hanus verdeutlichte den Tieren, dass es gleich eine Banane für sie geben würde. Sie konnten aber nicht sehen, in welches der beiden Gefäße er sie steckte.

    "Was Sie dann sahen, das war die resultierende Bewegung der Balkenwaage und die schlug zur einen Seite aus. Wenn ich jetzt Menschen fragen würde, welche Seite würden sie wählen, um an die Banane zu kommen, die würden natürlich die Seite wählen, die sich unten befindet. Das ist das, was wir bei Affen auch gefunden haben."

    Ziehen Schimpansen in solchen Situationen aber wirklich streng kausale Schlüsse nach dem Motto: "Balkenwaagen reagieren auf Gewichte. Eine Banane hat Gewicht - also muss sie in dem nach unten geneigten Gefäß liegen"? Es könnte ja zum Beispiel sein, dass Schimpansen einfach deshalb niedrige Positionen bevorzugen, weil Früchte oft an Ästen hängen, die sich nach unten neigen. Daniel Hanus schloss in einem weiteren Versuchsdurchgang aus, dass solche wiederholten Erfahrungen entscheidend waren.

    "Wir haben ihnen dieselbe Balkenwaage gegeben wie am Anfang, also eine Balkenwaage, die sich sozusagen theoretisch bewegen könnte, allerdings hat die sich nicht bewegt, nachdem das Futter versteckt wurde. Dann war ich es als der Experimentleiter, der seine Hände auf die Balkenwaage gelegt hat und die Balkenwaage in die eine oder andere Richtung bewegt hat."

    Daniel Hanus hatte den Affen vorher keinen Anlass gegeben, von ihm einen Hinweis zu erwarten, wo die Banane liegt. Die Schimpansen reagierten dementsprechend hilflos. Sie deuteten nun nicht mehr hauptsächlich auf das untere, sondern fast genau so oft auch auf das obere Gefäß. Das belegte, dass sie im vorherigen Versuch tatsächlich eine Art kausalen Schluss gezogen hatten: "Das Gewicht der Banane ist die Ursache dafür, dass sich die Waage nach einer Seite neigt." Ähnliche Experimente zeigten, dass Schimpansen solche Schlüsse auch aufgrund von Geräuschen und Berührungen ziehen können.

    Für Daniel Hanus steht daher fest: Schimpansen besitzen eine Veranlagung, nach abstrakten kausalen Zusammenhängen zu suchen: Was bewirkt etwas mit welchen Folgen? Diese Veranlagung findet sich von früh an auch bei Menschenkindern, weshalb sie einen mit der "Warum-Frage" quälen können. Anders als die Menschenaffen bekommen Menschenkinder auf ihre Frage von den Erwachsenen jedoch Erklärungen und Theorien über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge serviert. Zusätzlich fallen diese sprachlich vermittelten Erklärungen dann noch von Kultur zu Kultur unterschiedlich aus. Um herauszufinden, wie stark Kulturen die Anlage zum kausalen Denken beeinflussen können, stellt die Ethnologin Andrea Bender ihren Testpersonen oft merkwürdige Fragen:

    "Wir haben Personen in Deutschland und in Tonga - Tonga ist eine kleine Insel im Pazifik, die zu Polynesien gehört - haben wir gefragt, woran es liegt, dass Holz auf Wasser schwimmt. Eher am Holz oder eher am Wasser? Und unsere deutschen Versuchsteilnehmer haben mit großer Mehrheit gesagt, es liegt am Holz, während die Tonganer mit großer Mehrheit gesagt haben, es liegt am Wasser. Und das ist ein Beispiel natürlich nicht dafür, dass Leute die Umwelt anders wahrnehmen, denn beide merken ja, dass Holz auf Wasser schwimmt, sondern es geht darum, wie sie sich das erklären. Und Ursachen ist etwas, was man nicht direkt beobachten kann, wofür man Erklärungen suchen und zum Teil konstruieren muss oder eben kulturell tradiert."

    Die Deutschen bezogen sich in ihren Erklärungen auf Eigenschaften des Holzes selbst, die Tongaer dagegen auf das Zusammenspiel zwischen Holz und Wasser. Darin zeigt sich ein Unterschied zwischen westlichem und asiatischem Denken, der immer wieder gefunden wird. Hier die individualistische Suche nach Ursachen und Gründen, die in einzelnen Objekten oder Personen liegen - dort die kollektivistische Suche nach Wechselwirkungen zwischen Objekten, Personen und ihrer Umgebung. Der Kognitionspsychologie Sieghard Beller von der Universität Paderborn warnt jedoch davor, diesen Gegensatz zu stark zu betonen. Denn auch Tongaer haben kulturspezifische Mittel, um zum Beispiel einzelne Personen als Verursacher für Handlungen verantwortlich zu machen. Sie besitzen in ihrer Sprache einen ganz eigenen Fall, der durch eine an das Wort angehängte Endung gekennzeichnet wird.
    "Die grammatische Struktur, die nennt sich "Ergativ" und mit dieser Ergativ- Struktur kann man eben Verantwortlichkeit fokussieren durch einen sprachlichen Marker, den man sozusagen dran hängt durch die grammatische Struktur, wie der Satz gebaut wird. Und das drückt dann eben stärker Verantwortlichkeit aus und wir finden in unseren Untersuchungen, dass wenn Personen solche Ergativsätze lesen, dass sie dann dem Akteur dann auch stärker Verantwortung zuschreiben als wenn eine andere grammatische Form verwendet wird."

    Im Deutschen drückt man direkt aus, ob man jemanden ursächlich für etwas verantwortlich macht, in Tonga indirekt durch die Grammatik. Um diese feinen Unterschiede und Wechselbeziehungen in Zukunft besser untersuchen zu können, hat das Bielefelder Forschungsprojekt neue Testaufgaben für den interkulturellen Vergleich kausalen Denken entwickelt.