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"Die Rechnung, die hier vorgelegt wird, können wir nicht nachvollziehen"

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat die Pläne der EU-Kommission kritisiert, ältere Autos künftig jährlich überprüfen zu lassen. Das Vorhaben passe in das Muster der Kommission, mit unmittelbar geltendem EU-Recht unter Ausschaltung der nationalen Parlamente immer mehr regulieren zu wollen.

Peter Ramsauer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.07.2012
    O-Ton Hartmut Mehdorn: "Jahr für Jahr wird in Deutschland zu wenig in Infrastruktur und Bahn investiert. Dann muss der Bund uns eben freilassen, dass wir am Kapitalmarkt uns das Geld besorgen können wie alle anderen Unternehmen auch, um weiter investieren zu können. Denn wenn wir nicht investieren, fallen wir in der Wettbewerbsfähigkeit zurück und die Deutschen kriegen wieder eine schlechte Bahn, und das wollen sie nicht."

    O-Ton Hans-Gerd Öfinger: "Mehdorn will die Welt erobern, und ob jetzt Pforzheim oder Trier oder Gießen, Marburg oder 1000 andere Städte an den Fernverkehr angebunden sind, ist ihm völlig egal. Er fährt eh nicht Bahn."

    Mario Dobovisek: Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn erntet Widerspruch vom Bahn-Gewerkschafter Hans-Gerd Öfinger. Mehdorns Kurs war klar: An die Börse wollte er die Bahn während seiner gut neunjährigen Amtszeit bringen. Inzwischen ist der Börsengang abgesagt, und ja, die Bahn hat sich in den vergangenen 20 Jahren von der einstigen Beamten-Bahn zu einem weltweit tätigen Logistik-Unternehmen mit 285.000 Beschäftigten entwickelt – Zeit, eine Bilanz der Privatisierung zu ziehen, mit dem Bundesverkehrsminister und CSU-Politiker Peter Ramsauer. Guten Morgen, Herr Ramsauer!

    Peter Ramsauer: Guten Morgen!

    Dobovisek: Offiziell ist die Bahn eine Aktiengesellschaft, die Hauptversammlungen fallen jedoch recht einsam aus, denn Sie als Vertreter des Bundes, Herr Ramsauer, sind der einzige Eigentümer der Deutschen Bahn AG. Ist das die Privatisierung, wie sie sich Ihre Amtsvorgänger vorgestellt haben?

    Ramsauer: Na ja, in der Tat, es mutet etwas eigenartig an, wenn ich, wie ich das manchmal etwas flapsig und zugespitzt formuliere, mit mir selbst die Hauptversammlung der DB AG abhalte. Aber immerhin kümmere ich mich persönlich darum. Früher war das nie der Fall, dass der Bundesverkehrsminister selbst dies getan hat. Ich bin für dieses Unternehmen verantwortlich, deswegen mache ich das auch so, und deswegen hat dies diese Form.

    Dobovisek: Inzwischen macht die Bahn bei 38 Milliarden Euro Umsatz jährlich einen Gewinn von gut einer Milliarde Euro, allein in diesem Jahr überweist die Bahn dem Bund davon eine Dividende von 525 Millionen Euro. Wollen Sie Ihre Anteile überhaupt noch verkaufen, Herr Ramsauer?

    Ramsauer: Es ist vollkommen klar und festgeschrieben im Koalitionsvertrag, dass Privatisierung, die Beteiligung Dritter ein politisches Ziel ist, aber unter der Voraussetzung, dass dies auch entsprechende Voraussetzungen erfüllt, also die Kapitalmärkte dies hergeben. Ein Börsengang ist grundsätzlich nichts Schlechtes, denn man kann dann das Unternehmen frisch kapitalisieren, wenn es um Expansion geht, wenn es um Kapital für Investitionen geht. Aber als ich vor gut zweieinhalb Jahren angetreten bin, habe ich die Pläne zu einem Börsengang zunächst zu den Akten gelegt, weil in meinen Augen auch heute die Zeit dafür noch nicht reif ist. Wir machen gute Gewinne, wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich sogar im Vergleich zum letzten Jahr auch noch mal zulegen.

    Dobovisek: Warum sollte dann der Bund seine Anteile überhaupt abgeben, Herr Ramsauer?

    Ramsauer: Das kann dann sinnvoll sein, wenn sich Anteile sehr, sehr günstig zu hohen Preisen platzieren lassen auf dem Markt, und wenn dadurch frisches Kapital kommt, mit dem investiert werden kann, ... Wir haben eine dauerhafte, starke Anspannung, was Finanzmittel für Investitionen anbelangt, sowohl bei der Infrastruktur als auch im rollenden Material, und deswegen kann so ein Schritt rein kaufmännisch gesehen klug sein. Aber ich habe immer klargemacht: Die Deutsche Bahn AG ist nicht ein x-beliebiges kaufmännisches Unternehmen, sondern sie hat eine ganz, ganz starke politische Komponente, sie dient nicht nur kaufmännischen Zielen, sondern – das kann man drehen und wenden, wie man will – muss auch öffentlich wirtschaftliche Belange bedienen. Und deswegen bin ich ausgesprochen vorsichtig, wenn es zu solchen Schritten Richtung Börse kommen soll.

    Dobovisek: Experten schätzen: Trotz hohen Umsatzes fehlen der Bahn jedes Jahr zwischen 500 und 800 Millionen Euro für den Ausbau der Infrastruktur, Sie haben es gerade eben auch erwähnt. Woher könnte denn das Geld kommen, wenn nicht von einem Börsengang?

    Ramsauer: Ja, es ist ein mühseliger Weg. Ich rechne immer etwa eine Milliarde, die mir im Schienenbereich pro Jahr fehlen.

    Dobovisek: Aber Sie ziehen auch eine halbe Milliarde für den Bundeshaushalt ab.

    Ramsauer: Ja, das kommt darauf an, wie man hin und her verrechnet. Die Dividende, von der Sie gerade gesprochen haben, fließt ja mehr und mehr wieder in meinen Haushalt für Zwecke der Bahn zurück, wir nennen das einen Finanzierungskreislauf Schiene, und deswegen erhöhen wir den Etatansatz, der jetzt jahrelang bei ziemlich exakt 4 Milliarden lag, auf 4,2 Milliarden bis zum Jahr 2015. Wir beziehen die zusätzlichen Mittel beispielsweise durch erhöhte Rückflüsse aus der Bahndividende, und natürlich kämpfe ich jedes Jahr dafür, dass ich aus dem regulären Bundeshaushalt mehr Mittel für die Bahn bekomme. Jetzt komme ich zu etwas ganz, ganz Wichtigem: Ich habe von der Bahn stets verlangt – und ich bin mir hier absolut einig mit meinem Aufsichtsratschef Prof. Felcht und dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Rüdiger Grube –, dass die Bahn starke Gewinne abwerfen muss, dass sie aus diesen Gewinnen heraus Selbstfinanzierung, so nennt es der Kaufmann, betreibt, sprich, aus diesen Gewinnen heraus stärker investiert. Das heißt, wir werden in den kommenden fünf Jahren aus der Selbstfinanzierung, aus gestiegenen Gewinnen der Bahn selbst so viel wie noch nie vorher in die Bahn zurück investieren.

    Dobovisek: Was sind da die großen Prioritäten für die nächsten Jahre, in drei Sätzen?

    Ramsauer: In drei Sätzen? Ich versuche das mal, – erstens die Aufgabe des Bundes, nämlich Infrastruktur bedarfsgerecht auszubauen, zu sichern, ja, wie ich gerade gesagt habe, zu erhöhen mittelfristig; b), dass die Bahn im rollenden Bereich, also im praktischen Eisenbahnbetrieb – aber da nehme ich jetzt auch dazu zum Beispiel die Bahnhöfe – stärker als bisher investiert, in modernstes Material, aber auch in gutes Aussehen, also nicht nur hochmoderne Züge im Nah- und Fernverkehr, sondern auch über DB Schenker Rail vor allen Dingen in den Güterverkehrsbereich, in den kombinierten Verkehr, und was mir ein großes Anliegen ist, auch viel Geld in die Hand nimmt, um unsere Bahnhöfe in Ordnung zu bringen.

    Dobovisek: Damit insgesamt Winterchaos und Sommerchaos der vergangenen Jahre ausbleiben, nehme ich an. Sie haben vorhin den Koalitionsvertrag erwähnt, darin steht auch, dass es eine strikte und eine vollständige Trennung von Netz und Betrieb geben soll. Jetzt lernen wir aber, dass sowohl ein Kartellverfahren gegen die Bahn läuft als auch ein Vertragsverletzungsverfahren, weil, so sagt es die Europäische Kommission, Diskriminierung bezüglich des freien Zugangs zum Netz stattfindet für die Mitbewerber der Bahn. Was ist da schiefgelaufen?

    Ramsauer: Da gibt es eine klare Ansage des deutschen Verkehrsministers, und die lautet: Die EU-Kommission soll mit ihrem Atomisierungs- und Aufsplittungsgehabe endlich runter vom Gas. Wir sind absolut sicher, dass wir die Vorgaben im Hinblick auf die Trennungen von Netz und Betrieb, dass wir hier weit genug gegangen sind, dass wir Wettbewerb hergestellt haben. Also Trennung von Netz und Betrieb – ist Recht, um Wettbewerb herzustellen, aber um es in aller Klarheit zu sagen: Ich lasse mir das Prinzip des integrierten Konzerns nicht infrage stellen. Und ich tue auch von meiner Seite alles dafür, um diesen Wettbewerb zu stärken, Wettbewerb belebt das Geschäft, Wettbewerb sichert Qualität im Hinblick auf Pünktlichkeit, Schnelligkeit, Sauberkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit, und dafür lege ich in wenigen Wochen im Kabinett einen Entwurf vor für ein sogenanntes Eisenbahnregulierungsgesetz.

    Dobovisek: Was wird das beinhalten?

    Ramsauer: Das Eisenbahnregulierungsgesetz stärkt die Möglichkeiten der Bundesnetzagentur, als Wettbewerbsüberwachungsbehörde sozusagen den Wettbewerb auf der Schiene auch bestmöglich zu organisieren.

    Dobovisek: Kommen wir noch kurz zum Ende von den Bahnen zu den Autofahrern, Herr Ramsauer, und Sie haben eben schon klare Worte in Richtung EU-Kommission verloren, vielleicht fallen Ihre Worte in Richtung EU-Kommissar Kallas ganz ähnlich aus. Der schlägt nämlich vor, ältere Autos künftiges jedes Jahr zur Hauptuntersuchung zu schicken und nicht mehr bloß alle zwei Jahre. Damit könnten allein in Deutschland jedes Jahr 10.000 Unfälle verhindert werden, sagt er. Sind diese Zahlen realistisch?

    Ramsauer: Also das ist wieder mal so eine Idee der EU-Kommission, die in das Muster passt, immer mehr regulieren zu wollen, in diesem Fall mit einer Verordnung, also mit unmittelbar geltendem EU-Recht, also unter Ausschaltung der nationalen Parlamente. Ich wehre mich zunächst schon einmal ganz vehement dagegen, dass die Richtlinie, die wir bisher für solche Fahrzeuguntersuchungen hatten, jetzt ersetzt werden soll durch eine solche unmittelbar geltende Verordnung. Die Rechnung, die hier vorgelegt wird, können wir nicht nachvollziehen. Er hat übrigens diese Zahl von 12.000 Toten, die man weniger haben könnte, nicht auf Deutschland, sondern auf ganz Europa bezogen. Dazu kann ich mit einem gewissen Stolz sagen, dass kein Land in Europa eine so starke Abnahme der Getöteten-Zahlen zu verzeichnen hat in den letzten 40 Jahren, wie das in Deutschland der Fall war. Und deswegen glaube ich, dass unsere Organisation von Hauptuntersuchungen, dass das die richtige Art und Weise ist, es zu tun, und dass wir dafür keine derartige Verschärfung brauchen, wie dies jetzt vorgesehen ist.

    Dobovisek: Wie lautet Ihr Kompromissangebot?

    Ramsauer: Ich fange doch gar nicht mit einem Kompromiss an, jetzt mal zu verhandeln, aber am Ende wird man sich irgendwie zusammenraufen müssen. Ich würde mir sehr wünschen, dass es bei einer Richtlinie bleibt, die Inhalte hat, unter die dann sozusagen die heutigen deutschen Regelungen schlüpfen können. Am kommenden Montag und Dienstag werde ich beim Verkehrsministerrat in Zypern mit meinen Kollegen schon einmal drüber reden, auch mit Siim Kallas, und ihm klarmachen, dass er sich da auf dem europäischen Holzweg befindet.

    Dobovisek: Der CSU-Politiker und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, den wir gestern Abend in seinem Dienstwagen erreicht haben. Vielen Dank dafür!

    Ramsauer: Gerne! Danke schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.