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Die Regeln des Krieges

Physik. - Kriege gelten als das Chaos schlechthin - unberechenbar, unvorhersehbar, zumeist auch undurchschaubar. Doch nun hat ein Physiker der Universität Miami unzählige Daten über Kriege gesammelt und mit speziellen mathematischen Methoden ausgewertet. Danach scheinen moderne Kriege doch regelhafter zu sein, als man denkt.

Von Frank Grotelüschen | 02.12.2008
    "Krieg – das klingt nach der chaotischsten und ungeordnetsten Sache, die der Mensch anstellen kann. Doch wir haben herausgefunden, dass dieselben mathematischen Gesetze, mit denen man zum Beispiel Aktienmärkte beschreiben kann, auch für Kriege gelten."

    Neil Johnson ist Physikprofessor an der Universität Miami in Florida. An sich versucht er herauszufinden, welche mathematischen Gesetze hinter hochkomplexen Prozessen stecken – Prozesse wie der Aktienhandel oder die Ausbreitung von Epidemien. Doch dann kam ihm eine Idee: Vielleicht lassen sich mit denselben Methoden ja auch Gesetzmäßigkeiten entdecken, die bei Kriegen eine Rolle spielen und die den Konfliktforschern bislang verborgen blieben. Also machte sich Johnson an die Arbeit und analysierte unter anderem Medienberichte über Opferzahlen von Terroranschlägen und Bombenangriffen.

    "Wir werteten die Zahlen aus zwei Kriegen aus: dem Irak-Krieg und dem Bürgerkrieg in Kolumbien, der schon seit Jahrzehnten tobt. Beide Konflikte sind sehr unterschiedlich: In Kolumbien bekämpfen sich Drogenmafia, marxistische Guerillakrieger und paramilitärische Einheiten in einem bergigen Gelände. Im Irak dagegen dominiert die Wüste, und es gibt Terroranschläge und Auseinandersetzungen zwischen religiösen Gruppen. Man sollte also nicht annehmen, dass diese beiden Kriege allzu viel gemein hätten."

    Aber die Analyse enthüllte überraschende Parallelen. So ist das Zahlenverhältnis zwischen den Kampfhandlungen mit wenigen Opfern und den mit vielen Opfern im Irak und in Kolumbien annähernd gleich. Und: Dieses Verhältnis folgt nicht wie vermutet einer reinen Zufallsverteilung, sondern einem strikten mathematischem Gesetz, einem sogenannten Potenzgesetz. Die entsprechende Kurve lässt sich sowohl für den Irak als auch für Kolumbien mit einer simplen Zahl charakterisieren: 2,5.
    "Und dann geschah das Bemerkenswerteste: Nachdem sich das Ergebnis ein wenig in der Fachwelt herumgesprochen hatten, schickten uns einige Soziologen ihre Daten, die sie von anderen Kriegen gesammelt hatten – im Senegal zum Beispiel in Peru oder Afghanistan. Und die Kurven aller dieser Kriege lagen in der Nähe dieses einen Werts: 2,5."

    Offenbar ein universelles Merkmal, das die Konfliktforscher bislang übersehen hatten. Nur: Wie lässt es sich erklären? Nun, bei den meisten Kriegen steht eine reguläre Armee einer Gruppe von Aufständischen gegenüber, sagt Neil Johnson. Meist sind diese Aufständischen in kleine Gruppen zersplittert, die sich dann manchmal zu größeren Verbänden zusammenschließen. Dadurch kommt dann ein typisches Muster zustande: viele kleine Scharmützel mit wenigen Opfern, wenige große Auseinandersetzungen mit vielen Toten. Doch Johnson ging noch einen Schritt weiter und stellte sich eine durchaus heikle Frage: Was eigentlich bewirkt der Einsatz von Friedenstruppen wie den UN-Blauhelmen in seinem mathematischen Modell?

    "Das Ergebnis war ziemlich überraschend. Ich war immer davon ausgegangen, dass es am effektivsten sei, wenn Friedenssoldaten in kleinen Gruppen agieren. In unserem Modell aber passiert dann folgendes: Die Friedenstruppen verkürzen einen Krieg nicht, sie verlängern ihn! Wir erklären uns das so: Kleine Blauhelm-Trupps sind zwar durchaus in der Lage, einzelne Kampfhandlungen zu unterbinden. Aber sie sind nicht stark genug, um die Konfliktparteien zu neutralisieren. Sie können sie also nicht davon abhalten, in Zukunft weiterzukämpfen."

    Deshalb plädiert Johnson dafür, die Blauhelme nicht in viele kleine Gruppen aufzuteilen, sondern in einige wenige, dafür aber schlagkräftige Trupps. Eine These, die bei Militärstrategen und Konfliktforschern für Diskussionen sorgen dürfte.