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"Die Region ist um ein Stück instabiler geworden"

Der Rücktritt von Kroatiens Ministerpräsident Ivo Sanader hat weitreichende Folgen für das Land, meint Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Auch die Perspektiven zum Beitritt der Europäischen Union werden dadurch beeinflusst.

Dusan Reljic im Gespräch mit Mario Dobovisek | 04.07.2009
    Mario Dobovisek: Die Kroaten wollen in die Europäische Union, allen voran ihr Premierminister Ivo Sanader hier in einem Interview vor einigen Jahren:

    Ivo Sanader: Kroatien ist ein typisches europäisches Land, viele Deutsche, die nach Kroatien kommen, können das bestätigen. Und ich glaube, dass Kroatien einfach dazugehört.

    Dobovisek: Doch dem Beitritt, der eigentlich schon im nächsten Jahr hätte besiegelt werden können, steht noch ein Streit im Wege, ein Streit um die Seegrenze mit dem nördlichen Nachbarn Slowenien. Die Slowenen sind bereits Mitglied der Gemeinschaft und blockieren seit einem halben Jahr die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Die Europäische Union hat versucht zu vermitteln, vergeblich, einen erneuten Versuch schließt die schwedische Ratspräsidentschaft inzwischen klar aus, weil beide Staaten - so heißt es - das Problem bilateral, also selber lösen sollen. Kaum wurde das Mitte der Woche bekannt, kündigt Kroatiens Premierminister Ivo Sanader seinen Rücktritt an. Am Telefon begrüße ich Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik, guten Morgen, Herr Reljic!

    Dusan Reljic: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Für seinen Rücktritt führt Ivo Sanader persönliche Gründe an. Glauben Sie ihm, Herr Reljic?

    Reljic: Die Motive für den Rückzug des kroatischen Ministerpräsidenten liegen nach wie vor im Dunkeln, aber in der kroatischen Öffentlichkeit wird ihm vorgeworfen, dass er sich im Grunde vor den drückenden Problemen des Landes gedrückt hat.

    Dobovisek: Welche Probleme sind das?

    Reljic: Ja, die Liste ist ganz groß, und Sie haben das Problem mit der Meeresgrenze mit Slowenien angeführt. Sanader hat ja gesagt, dass sein Rücktritt auch ein Stück damit zu tun hat. Der Wunsch der kroatischen Bevölkerung, der Europäischen Union beizutreten, ist merklich zurückgegangen, die Meinungsumfragen sagen, dass etwa 35 Prozent der kroatischen Bevölkerung derzeit den Beitritt unterstützen, aber daneben gibt es nach wie vor andere Gründe. Die Wirtschaftskrise hat Kroatien hart getroffen, der Abfall der wirtschaftlichen Leistung seit Jahresanfang waren über sieben Prozent, Kroatien hat die höchsten Auslandsschulden in der Region, die Lücken im öffentlichen Haushalt sind gewaltig. Es gibt einen steigenden Druck in der Partei des kroatischen Ministerpräsidenten und der kroatischen demokratischen Union, und dieser Druck kommt von rechtsnationalistischen Kräften. Und die Korruption im Lande, die die Europäische Union immer wieder bemängelt, wird nicht effektiv bekämpft, und zumindest in der Öffentlichkeit ist Sanader vorgeworfen worden, dass er nicht genug dagegen unternimmt und vielleicht sogar selber in einem gewissen Maße davon betroffen sein könnte.

    Dobovisek: Sanader ist bekannt als starker Politiker, als erfolgsbewusster Politiker. Ist er dann tatsächlich jetzt am Ende eingeknickt genau deswegen?

    Reljic: Er hat ja seine Rückkehr in die Politik langfristig nicht ausgeschlossen, aber sein Rücktritt hat Folgen, und zwar für die politische Kultur des Landes. Er ist ja ohne irgendwelche stichhaltige Erklärung zurückgetreten, und damit hat er die ohnehin nicht besonders gefestigte politische Kultur im Lande beschädigt. Zweitens: Die kroatischen Kommentatoren bemerken, dass die neue Führungsriege der Partei Sanaders, der kroatischen demokratischen Gemeinschaft, sehr weit von rechts kommt. Und wenn es einen Rechtsruck in Kroatien gibt, dann gibt es Auswirkungen in der gesamten Region, nämlich da sind die Möglichkeiten, dass man den Konflikt mit Slowenien löst, geringer geworden und da steigt auch die Möglichkeit, dass Kroatien wieder mit seinen Nachbarn, mit Serbien, Bosnien-Herzegowina und den anderen Staaten in der Region schlechte Probleme wieder auf den Tisch bringt. Das heißt, die Region ist um ein Stück instabiler geworden. Und schließlich für den EU-Beitritt, nicht nur Kroatiens, sondern der gesamten Region, ist es nicht zum Besseren bestellt, wenn Sanader der Europäischen Union zum Teil ein Stück der Verantwortung für seinen Rücktritt gibt.

    Dobovisek: Hat denn die Europäische Union eine Verantwortung? Die EU hat sich ja völlig aus dem Streit zwischen Slowenien und Kroatien zurückgezogen. Lässt Europa damit Kroatien jetzt schlichtweg im Stich?

    Reljic: Die Europäische Union kann sich nicht aus der Verantwortung davon begeben, es ist ja nicht so, dass allein Slowenien und Kroatien innerhalb der europäischen Beitrittspolitik Probleme haben. Es gibt zwischen Zypern und der Türkei Probleme - und Türkei ist auch ein Kandidatenland -, es gibt zwischen Makedonien und Griechenland den Namensstreit - und Makedonien ist auch ein Kandidatenland. Vielleicht hat der schwedische Außenminister, der Ratspräsident Carl Bildt, jetzt gesagt, dass die Europäische Union sich aus dem Streit zwischen Slowenien und Kroatien zurückziehen soll, aber in der praktischen Politik wird das nicht möglich sein. Natürlich wird die Europäische Union neue Schritte unternehmen, um der gesamten Region mit ihrer derzeitig sich in einer Krise befindenden Erweiterungspolitik wieder nach vorne zu bringen. Und das heißt, sie wird auch den Streit zwischen Slowenien und Kroatien um die wenigen Quadratkilometer der Seegrenze wieder beleben müssen.

    Dobovisek: Die EU hat allen Balkanstaaten die Perspektive eines Beitritts angeboten. Noch einmal Ivo Sanader dazu:

    Ivo Sanader: Ich vertrete die Meinung, dass die EU-Perspektive der beste Katalysator ist für alle Länder, die Reformen durchgehen wollen, und ich glaube, dass auch für unsere Nachbarländer auf dem Balkan die Perspektive erhalten bleiben soll.

    Dobovisek: Was bedeutet nun der Ausstieg der EU aus dieser Schlichtung zwischen Slowenien und Kroatien? Sie haben es gerade angesprochen, es könnte möglicherweise die ganze Region stabilisieren. Können Sie das noch mal ein bisschen näher beschreiben?

    Reljic: Wie gesagt, die Europäische Union wird sich nicht aus diesem Streit herausziehen können, denn für die Europäische Union ist die Stärkung der Stabilität in der Region ein wesentliches Ziel. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union ist seit 1991 eine der maßgebenden Faktoren in der Region, wenn es darum geht, die postjugoslawischen Konflikte zu bewältigen. Und eben, wie Ministerpräsident Sanader gerade gesagt hat: Die Beitrittsperspektive sollte zu einem der wesentlichsten Instrumente des Wandels in der Region werden, aber gleichzeitig auch die Rolle der Europäischen Union als einen wichtigen Faktor für die internationale Politik bestätigen. Davongehen geht nicht, also die Europäische Union wird in den nächsten Monaten und Jahren nach wie vor als einer der wesentlichen Faktoren vor Ort involviert sein.

    Dobovisek: Aber warum hält sich die EU dann momentan eher zurück?

    Reljic: Es ist, glaube ich, seitens der schwedischen Präsidentschaft auch ein Teil des Aufbaus einer Drohkulisse. Nämlich, wenn Slowenien und Kroatien sich da nicht bewegen, dann wird die Europäische Union auch sich sehr zurückhalten. Ich glaube nicht, dass diese Drohung sich aufrechterhalten lässt. Ich bin sicher, dass in den nächsten Monaten - nicht nur zwischen Slowenien und Kroatien wie gesagt, sondern auch zwischen Makedonien und Griechenland und auch bei den Problemen, die Serbien mit Holland hat wegen der Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers an das Haager Kriegsverbrechertribunal, all das wird die Europäische Union wieder dazu bewegen, sich noch intensiver mit der Region des Westbalkan zu beschäftigen.

    Dobovisek: Was hätte die EU jetzt Ihrer Meinung nach tun sollen, wie hätte sie jetzt handeln sollen?

    Reljic: Man kann aus einem laufenden Verhandlungsprozess nicht aussteigen. Es ist wahrscheinlich so, dass viele Menschen im Ausland nicht verstehen können, wieso Kroatien, das über 2000 Kilometer Seegrenze hat, ein Problem damit hat, wenige Kilometer dieser Seegrenze an Slowenien zu überlassen - Slowenien will damit einen direkten Zugang zum adriatischen Meer erlangen. Aber das sind komplizierte völkerrechtliche und politische Probleme, und dafür braucht man Zeit und dafür braucht man einen guten Willen aller Beteiligten. Und offenbar ist es so, dass der Nationalismus nach wie vor eine wichtige bewegende Kraft auch in Slowenien und Kroatien ist, das haben wir anhand dieses Beispiels gesehen, und da ist tatsächlich die Europäische Union herausgefordert, wenn sie, wie sie plant, wie sie wünscht, den gesamten Raum Südosteuropas in die europäische Friedensverordnung einbeziehen möchte.

    Dobovisek: Aber war es bereits ein Fehler, Slowenien vor fünf Jahren in die EU aufzunehmen, ohne den bilateralen Streit im Vorfeld zu schlichten?

    Reljic: Damals hat niemand diesen bilateralen Streit angesprochen, das wurde überhaupt nicht zur Bedingung gemacht, dass Slowenien und Kroatien dieses Problem lösen. Ich glaube nicht, dass von diesem kleinen Problem tatsächlich die Stabilität in der Region betroffen ist. Da ist Zeit gefordert, da ist Geduld gefordert und da ist keine Konditionierung zulässig. Es wäre eine Katastrophe, wenn zum Beispiel eines Tages Kroatien sich gegenüber den anderen Beitrittskandidaten so benehmen würde wie Slowenien gegenüber Kroatien. Kroatien hat ja kleinere Grenzprobleme mit Montenegro, mit Serbien, auch zum Teil mit Bosnien. Wenn man zulässt, dass die Staaten ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union als ein Erpressungsinstrument verwenden, dann hat die Europäische Union tatsächlich Probleme.

    Dobovisek: Dusan Reljic von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch!