Freitag, 19. April 2024

Archiv

Die religiöse Landschaft Dagestans
Salafisten contra Sufis

Nach dem Ende der Sowjetunion erlebt die Religion in Russland eine Renaissance - nicht nur die russisch-orthodoxe Kirche, sondern auch der Islam. Rund zehn Prozent der Russen sind Muslime. Viele leben in Dagestan im Nordkaukasus. Dort gibt es einen Richtungsstreit und dabei geht auch um Terror.

Von Gesine Dornblüth | 28.06.2017
    Die Zentralmoschee von Machatschkala in Dagestan - ein prachtvoller Bau. (Bild: Gesine Dornblüth)
    Die sufistische Zentralmoschee von Machatschkala in Dagestan (Gesine Dornblüth)
    Etwa 5.000 Gläubige haben sich zum Abendgebet in der Zentralmoschee von Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Kaukasusrepublik Dagestan, versammelt. Mächtige Kronleuchter erhellen das rot ausgemalte Deckengewölbe. Auch etwa 500 Frauen sind da. Sie beten im Halbdunkel auf der Empore.
    Frauen beten in der Zentralmoschee der Sufisten in Machatschkala (Bild: Gesine Dornblüth)
    Frauen in der sufistischen Zentralmoschee (Gesine Dornblüth)
    Die Zentralmoschee von Machatschkala ist eine der größten Moscheen Russlands. 2007 wurde sie nach einer Renovierung neu eröffnet. 15.000 Menschen haben hier Platz. Derzeit wird eine noch größere Moschee gebaut, erzählt Magomed Kurbandibirow, stellvertretender Imam der Zentralmoschee. Ihm geht es um gute Beziehungen zur Staatsmacht.
    "Der Staat, die Behörden helfen uns immer und überall. Sie sehen ja, dass der traditionelle Islam zum Frieden aufruft. Russland ist eines der seltenen Länder, in denen niemand am Gebet oder an religiöser Bildung gehindert wird."
    "Wir brauchen hier keinen importierten Islam"
    Der Islam ist im öffentlichen Leben Dagestans nicht zu übersehen. Viele Frauen tragen den Hidschab. Im Fastenmonat Ramadan waren die meisten Cafés und Restaurants tagsüber geschlossen. Es gibt viele Halal-Geschäfte und eine gut sortierte muslimische Buchhandlung.
    Ein Buchhändler stapelt in einer islamischen Buchhandlung in Machatschkala kunstvoll Bücher aufeinander, so dass sich eine Bücherspirale ergibt (Bild: Gesine Dornblüth)
    In der islamischen Buchhandlung in Machatschkala (Gesine Dornblüth)
    Die meisten Muslime Dagestans gehören dem Sufismus an, einer gemäßigt-mystischen Richtung im Islam. Sie hören auf Scheichs, religiöse Führer, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. Die Scheichs treten auch als Fürsprecher der Gläubigen vor Politikern auf. Der Sufismus ist seit vielen Jahrhunderten in Dagestan zuhause, erläutert Kurbandibirow, und er ist stolz darauf.
    "Unser traditioneller Islam wurde uns von Anhängern Mohammeds überbracht und wir praktizieren ihn bis heute. Wir brauchen hier keinen importierten Islam."
    "Was die Sufis machen, ist kein Islam"
    Eine Anspielung auf die zweitgrößte Gruppe der Muslime in Dagestan: die Salafisten. Diese ultrakonservative Strömung breitet sich seit den 1990er-Jahren in der Region aus. Zunächst wurden sie als Wahabiten bezeichnet. In Dagestan gibt es, Schätzungen zufolge, zehntausende Salafisten und sie haben ihre eigenen Moscheen.
    Eine ist die Tangim-Moschee in Machatschkala. Es ist ein grauer Bau, die Fassade unverputzt, vom Minarett blättert die Farbe.
    Die Parklücken werden immer knapper vor dem Freitagsgebet; schon bald ist der Platz vor der Moschee komplett zugeparkt. Viele Männer tragen Bärte. Frauen sieht man nicht.
    Der Parkplatz vor der salafistischen Moschee in Machatschkala . bis auf den letzten Platz besetzt (Bild: Gesine Dornblüth)
    Der Parkplatz vor der salafistischen Moschee ist voll (Gesine Dornblüth)
    Gamsat betet in der Tangim-Moschee. Seinen Nachnamen möchte er für sich behalten. Über die Sufis sagt er:
    "Sie betreiben Vielgötterei. Sie hören auf Mittler, auf Menschen, die Gottes Wort vermitteln. Sie beten an den Gräbern ihrer Scheichs und bitten die Toten um Hilfe. Was sie machen, ist kein Islam."
    "Jeder Moslem möchte einen Gottesstaat"
    Die Salafisten wollen ein Kalifat errichten, einen Gottesstaat. Die Sufis hingegen haben sich mit dem russischen Staat arrangiert. Magomed Kurbandibirow, der stellvertretende Imam der sufistischen Zentralmoschee:
    "Es besteht zurzeit kein Bedarf an einem Kalifat. Du kannst in Dagestan nach islamischen Regeln leben, eine Ausbildung machen, arbeiten, Geld verdienen. Was hindert einen Moslem heute, hier nach den Regeln des Islams zu leben? Nichts."
    Für den Bauunternehmer Ikramudin Alijew ist das inakzeptabel. Er zählt zu den Salafisten.
    "Jeder Moslem möchte einen Gottesstaat. Sonst ist er kein Moslem."
    Seit Jahren gibt es Anschläge
    Die Radikalen unter den Salafisten wollen das Kalifat mit Gewalt durchsetzen und kämpfen dafür. In Dagestan gibt es einen bewaffneten islamistischen Untergrund. Seit Jahren verüben die Terroristen Anschläge gegen russische Sicherheitskräfte, es gab Hunderte Todesopfer. Sie ermordeten auch mehrere geistliche Führer der Sufis, die sich offen gegen die Ideologie der Salafisten aussprachen.
    Das prominenteste Opfer war Scheich Said Afandi. Ein Selbstmordattentäter schlich sich in sein Haus. Seit diesem Mord vor fünf Jahren sind die Fronten zwischen den religiösen Strömungen in Dagestan noch mehr verhärtet. Zwar beteuern viele Salafisten, sie seien gegen Gewalt. Doch Magomed Kurbandibirow, der stellvertretende Imam der Zentralmoschee, glaubt ihnen nicht. Er setzt Salafisten gleich mit den Terror-Kämpfern des sogenannten "Islamischen Staates".
    "Die Salafisten in Dagestan nennen sich nur 'gemäßigt'. Ihr Ziel ist, den traditionellen Islam von innen zu zerstören. Das ist das Ziel der Salafisten, der Wahabiten und des IS."
    Der Vergleich mit dem IS kommt nicht von Ungefähr. Behördenangaben zufolge kämpfen 1.200 Islamisten aus Dagestan in den Reihen der Terrormiliz in Syrien und im Irak. Viele Salafisten in Dagestan aber fühlen sich zu Unrecht von den Behörden verdächtigt. Sie werden immer wieder von der Polizei festgehalten, müssen stundenlang Fragen beantworten, Speichel- und Blutproben abgeben. Das seien verfassungswidrige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, sagen Kritiker.
    "Solche Aktionen schaden den Kindern"
    Ein privater salafistischer Kindergarten in Machatschkala. Es ist Nachmittag. Mütter holen ihre Kleinen ab. Die Frauen sind verschleiert, die meisten Mädchen ebenso. Die Direktorin Zarema Alijewa hat Orientalistik an der Universität unterrichtet, ehe sie den Kindergarten gründete.
    "Wir haben ständig Schwierigkeiten mit der Polizei. Erst neulich wieder waren sie zu dritt hier, Polizisten mit Maschinengewehren. Klar, wir leben in einer schwierigen Region. Aber solche Aktionen schaden den Kindern. Und mal grundsätzlich: Die Regierung muss zu allen religiösen Strömungen die gleiche Distanz haben. Hier aber stehen die Beamten einer Strömung näher, den Sufis, und das ist das Problem."
    Kinder und Mütter bei der Abschlussfeier in einem salafistischen Kindergarten in Dagestan (Bild: Gesine Dornblüth)
    Kinder und Mütter bei einer Abschlussfeier im salafistischen Kindergarten (Gesine Dornblüth)
    Die Behörden weisen diese Vorwürfe zurück. Fatina Ubaidatowa arbeitet in einer Anti-Terror-Kommission der Regierung.
    "Niemand hindert die Salafisten am Beten. Niemand hindert sie, so zu leben, wie sie wollen. Sie müssen lediglich die Gesetze der Russischen Föderation achten. Und das gilt für die Anhänger des traditionellen Islam genauso."
    Doch auch sie kann mit den Vorstellungen der Salafisten wenig anfangen.
    "Wer ein Kalifat will, dem entgegne ich: Du willst ein Kalifat, den reinen Islam? Dann wirf Mobiltelefon und iPad weg! Sieh nicht fern, fahr kein Auto! Fahr Kutsche! Wir haben hier doch genug Pferde. Oder: Geh zu Fuß! Diese Salafisten nutzen alle moderne Technologien, reden aber vom Kalifat. Das ist jenseits der Realität."
    Programmtipp: Hören Sie heute ab 18.40 Uhr auch den Hintergrund "Russische Methoden: Über Islamismus und Anti-Terrorkampf im Nordkaukasus"