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"Die Rente mit 67 ist letztlich ohne Alternative"

Franz Ruland, Vorsitzender des ratgebenden Sozialbeirats der Bundesregierung, hält die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 für notwendig. Wichtig sei, dass die Versicherten auch tatsächlich die Möglichkeit hätten, bis in dieses Alter zu arbeiten. Momentan gingen nur 20 Prozent der Versicherten unmittelbar aus einer Erwerbstätigkeit in die Rente.

Franz Ruland im Gespräch mit Jochen Spengler | 12.11.2009
    Jochen Spengler: Unmittelbar vor dem morgen in Dresden beginnenden SPD-Bundesparteitag hat der neue Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier einen vorsichtigen Kurswechsel seiner Partei in der Rentenpolitik angedeutet. Als Oppositionsführer im Bundestag wolle er darauf dringen, so sagte er in einem Zeitungsinterview, dass die Rente mit 67 im nächsten Jahr überprüft werde. Die Rente mit 67 gilt als einer der Gründe für das Disaster der SPD bei der Bundestagswahl. In zahlreichen Anträgen zum Bundesparteitag wird ihre Abschaffung verlangt.

    Die SPD überlegt also die Abkehr der von ihr geschaffenen Rente mit 67, bevor sie überhaupt eingeführt ist. Sie soll ja erst 2012 schrittweise eingeführt werden und erst jene Bürger, die 2029 in Rente gehen, können das dann unter vollem Bezug ihrer Altersrente mit Vollendung des 67. Lebensjahres. – Franz Ruland ist ein wirklicher Rentenexperte. Er war lange Jahre Direktor des Verbandes der Rentenversicherungsträger, jetzt ist er Vorsitzender des ratgebenden Sozialbeirats der Bundesregierung und er ist bei uns am Telefon. Guten Tag, Herr Ruland.

    Franz Ruland: Guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Ginge das, ein zurück zur Rente mit 65?

    Ruland: Theoretisch ja. Der Gesetzgeber könnte das beschließen. Aber man kann nur dringend raten, das nicht zu tun. Die Rente mit 67 ist letztlich ohne Alternative. Wir wissen, dass auf die Bevölkerung, auf die Rentenversicherten erhebliche demographische Probleme zukommen. Die Lebenserwartung wird weiter steigen. Wir gehen davon aus, dass die Lebenserwartung durchschnittlich um drei weitere Jahre ansteigen wird. Das heißt, die Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 um zwei Jahre wird also nicht einmal die drei Jahre verlängerte Rentenlaufzeit auffangen, die auf die Rente zukommen werden.

    Spengler: Das heißt, wir sind näher an einer Rente mit 70, als an einer Rente mit 65?

    Ruland: Nein, ich will das jetzt nicht übertreiben. Wir müssen zunächst einmal sehen, dass wir die Rente mit 67 schaffen. Das ist ein großes Problem. Sie haben schon die Übergangszeit angesprochen. Der Prozess wird 2012 beginnen und wird bis 2029 dauern. Wir müssen andererseits aber auch Sorge tragen, dass die Versicherten tatsächlich in der Lage sind, bis 67 arbeiten zu können. Wir haben jetzt ein Rentenzugangsalter von 63, etwas mehr als 63, sind also von der Regelaltersgrenze 65 noch sehr weit entfernt, und es ist notwendig, dass bei Arbeitgebern und auch bei den Versicherten ein Umdenkungsprozess eintritt, damit die Leute begreifen, dass es in der Tat notwendig ist, länger zu arbeiten.

    Spengler: Wenn der Umdenkungsprozess aber nicht eintritt, dann gibt es in diesen Zeiten viele ältere Arbeitslose, die gerne arbeiten würden, die aber keine Stelle bekommen. Für die ist dann die Rente mit 67 doch einfach nur eine erzwungene Rentenkürzung.

    Ruland: Das ist in der Tat das Problem, das wir haben, und deshalb ist ja auch die Überprüfung 2010 vorgesehen. Wir haben im Moment die sehr dramatische Situation, dass nur 20 Prozent der Versicherten unmittelbar aus einer Erwerbstätigkeit in die Rente gehen. Das ist insbesondere in den neuen Bundesländern vor allem ein Problem der dort bestehenden großen Arbeitslosigkeit. Hier muss entscheidend angesetzt werden.

    Andererseits müssen wir natürlich auch sehen, dass bis 2029 sich auch der Arbeitsmarkt ja dramatisch verändern wird, weil sehr viele starke Jahrgänge in Rente gehen und schwächer besetzte Jahrgänge nachrücken werden, und ich kann mir gut vorstellen, dass viele Betriebe froh sein werden, wenn sie ihre Arbeitnehmer bis 67 halten können.

    Spengler: Herr Ruland, Sie haben gerade – ich habe es mir notiert – gesagt, hier muss entscheidend angesetzt werden. Was meint das? Wenn im nächsten Jahr überprüft wird, was soll überprüft werden und wie könnte dann eine mögliche Modifikation der Pläne, die Rente mit 67 einzuführen, aussehen?

    Ruland: Ich glaube nicht, dass eine Modifikation ansteht. Das wäre nicht gut. Die Versicherten müssen sich ja auch in ihrer Lebensplanung auf die Rechtssituation einstellen können. Das was man tun muss ist, zum Beispiel dafür Sorge zu tragen, dass Aus- und Fortbildungsprogramme insbesondere auch die älteren Arbeitnehmer mit einbinden, dass ältere Arbeitnehmer verstärkt Rehabilitationsleistungen bekommen können und dass insbesondere auch in der Arbeitsvermittlung sehr viel mehr dafür getan wird, dass auch Ältere wieder einen neuen Arbeitsplatz bekommen können. Das heißt, es gibt also eine Reihe von Ansatzpunkten, wo man für die älteren Arbeitnehmer etwas tun kann und auch tun muss.

    Spengler: Also Überprüfung im nächsten Jahr, wie es auch Frank-Walter Steinmeier angekündigt hat, heißt nicht Abschied von der Rente mit 67?

    Ruland: Nein, das ist sicherlich nicht der Fall. Es geht ja im Jahr 2012 um einen Monat, der mehr gearbeitet werden muss. Das heißt, der Prozess ist ja sehr gestuft und trägt damit auch der Lebensplanung der Versicherten Rechnung und ist zumutbar.
    Vielleicht nur noch eines: Wir sehen in anderen Ländern, etwa in den skandinavischen Ländern, dass das vorzeitige Ausscheiden der Versicherten aus dem Erwerbsprozess nicht gottgegeben ist. Wir haben dort viel höhere Erwerbsquoten Älterer, weil dort eben auch von Anfang an klar war, dass die Versicherten vor 65 aufhören können.

    Spengler: Nun hat ja noch die alte Bundesregierung eine Rentengarantie abgegeben: Die Renten werden nicht sinken. War das ein Fehler?

    Ruland: Darüber kann man inhaltlich sehr streiten. An sich gilt der Grundsatz, dass die Renten den Löhnen folgen. Das würde dann auch bedeuten, wenn die Löhne einmal sinken sollten, dass dann auch die Renten sinken. Andererseits muss man sehen, dass die Renten ja nur 60 bis etwa 70 Prozent des Nettoerwerbseinkommens abdecken, das heißt die Rentner viel weniger in der Lage sind, Einkommenseinbußen aufzufangen, als die Aktiven. Andererseits hat mich doch sehr gestört, wie schnell dieser Prozess entschieden wurde und dass die ganze Maßnahme auch als Wahlkampfmanöver etwas verkommen ist. Das hat dieser Entscheidung schon einen Abbruch getan.

    Spengler: Nun hat der Bundesbanker Thilo Sarrazin mit Blick auf seinen eigenen Rentenbescheid gesagt, er sehe kein Verhältnis mehr zwischen den Beiträgen und dem, was man an Gegenleistung herausbekomme. Passt das umlagefinanzierte System vielleicht prinzipiell nicht mehr in unsere Zeit, wo es immer weniger Beitragszahler und immer mehr Rentenempfänger gibt?

    Ruland: Wissen Sie, Herr Sarrazin ist ja für seine Tölpeleien bekannt. Nun hat es die Rentenversicherung getroffen. Wenn Herr Sarrazin sich richtig erkundigt hätte, wüsste er, dass die Rentenversicherung für die Jahrgänge 2006 eine deutliche Rendite über drei Prozent hat und für die Versicherten des Rentenzugangs 2030 werden es noch über zwei Prozent sein. Die Aussage, dass man weniger einzahlt als man herausbekommt, ist schlicht falsch.

    Spengler: Und das System, was wir haben, ist nicht prinzipiell reformbedürftig, sondern es passt in unsere Zeit?

    Ruland: Das System hat sich ja gerade bewährt, wenn man sieht, wie die kapitalgedeckten Systeme in den letzten Jahren der Kapitalkrise geschüttelt worden sind. Die Rentner sind relativ ungeschoren davongekommen. Das Umlageverfahren bewährt sich in der Krise.

    Spengler: Sagt Franz Ruland, Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Herr Ruland, danke für das Gespräch.

    Ruland: Bitte schön!