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"Die Rente mit 67 ist Unfug"

Der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, kritisiert die geplante Rente mit 67. Aus seiner Sicht ist das Konzept der Bundesregierung eine Rentenkürzung. Laut Ernst werde das vor allem die heute 64-Jährigen treffen. Trotz des demografischen Wandels müsse man in Deutschland nicht länger als bisher arbeiten, meint Ernst.

Klaus Ernst im Gespräch mit Silvia Engels | 17.11.2010
    Silvia Engels: Vor der Sendung habe ich mit Linkspartei-Chef Klaus Ernst gesprochen. Das Magazin "Der Spiegel" hatte Anfang der Woche über einen lautstarken Streit im Parteivorstand berichtet, und ich habe ihn gefragt, ob es diesen Streit gab.

    Klaus Ernst: Nein, den hat es in dieser Form überhaupt nicht gegeben. Es gibt momentan eine Debatte um die Frage, wie sieht unser neues Programm aus. Wir haben ja eines, es wird oft fälschlicherweise das Gegenteil gesagt. Wir haben schon ein Programm, das nennt sich "Programmatische Eckpunkte", das wir jetzt neu gestalten. Darüber gibt es die eine oder andere Frage, eine Sachfrage. Aber einen Streit in dieser Form, wie ihn "Der Spiegel" beschreibt, den gibt es nicht.

    Engels: Gibt es denn immer noch Beschäftigung mit der Kritik, die ja Fraktionschef Gregor Gysi geäußert hatte, der der Linken Selbstbeschäftigung und Passivität vorwarf?

    Ernst: Nein, diesen Streit gibt es auch nicht. Im Übrigen hat Gysi auch gesagt, dass die neue Führung dafür nicht verantwortlich ist, weil zu diesem Zeitpunkt, wo dieser Streit begonnen hat, die neue Führung noch gar nicht im Amt war. Insofern: Wir haben ein gemeinsames Strategiepapier vorgelegt, Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und ich. In diesem Papier konzentrieren wir uns auf die Aufgaben der Linken und nennen im Prinzip vier Schwerpunkte. Das eine ist die Frage, die wir angehen wollen, wer kriegt in diesem Land was von seiner Arbeit, also die Frage der Verteilung dessen, was erwirtschaftet wird. Die zweite Frage, die wir angehen wollen, ist die Frage: Wie wollen wir den Sozialstaat gestalten, das heißt wer finanziert ihn. Da ist die Steuergerechtigkeit eine Frage, auch die Gestaltung der Sozialsysteme. Die dritte Frage ist: Wie wollen wir mehr Demokratie hinkriegen in unserem Land. Wir erleben zurzeit, dass Frau Merkel insbesondere auf die Lobbys der Atomindustrie und der privaten Krankenversicherungen hört. Also die Frage: mehr Demokratie. Und die vierte Frage ist die Frage der Friedensfrage: Wie wollen wir erreichen, dass sich Deutschland wieder tatsächlich auf das besinnt, was es sein sollte, was die Bundeswehr angeht, nämlich auf eine Verteidigungsarmee und nicht auf eine Offensivarmee. Das sind die Punkte, die bei uns im Zentrum der Politik stehen, und darüber diskutieren wir zurzeit, wie das praktisch aussehen soll.

    Erstens nimmt die Bundesregierung ihr eigenes Gesetz nicht ernst, denn wenn bevor dieser Bericht vorliegt aus führenden Kreisen der CDU – auch Frau von der Leyen sagt ja dasselbe – gesagt wird, es muss bei der Rente mit 67 bleiben, dann nimmt sie ja das, was im Gesetz steht, gar nicht ernst, dass es überprüft werden muss, ob die Zahlen das überhaupt hergeben. Zweitens: Wenn in der Altersgruppe der 64jährigen eine Beschäftigungsquote von zehn Prozent besteht, dann ist für 90 Prozent derer die Rente mit 67 vollkommen Makulatur, weil sie doch mit 65 oder 66 keiner mehr einstellt. Den müssen Sie mir mal zeigen, der das tut. Das bedeutet, für diese Altersgruppe ist zum jetzigen Zeitpunkt trotz der Veränderungen der Beschäftigungsquoten älterer die Einführung der Rente ab 67 eine reine Rentenkürzung, nämlich 7,2 Prozent weniger Rente durch die Abschläge, und das geht überhaupt nicht.
    Veränderungen der Beschäftigungsquoten älterer die Einführung der Rente ab 67 eine reine Rentenkürzung, nämlich 7,2 Prozent weniger Rente durch die Abschläge, und das geht überhaupt nicht.

    Engels: Das sind die vier Punkte, sagen Sie. Aber Tatsache ist, Herr Ernst, dass derzeit Die Linke gerade nicht von den Umfragen profitiert. Trotz des schwachen schwarz-gelben Erscheinungsbildes, auch einer relativ schwächelnden SPD, gewinnen eigentlich nur die Grünen. Woran liegt’s?

    Ernst: Das liegt daran, dass die Bundesregierung natürlich insbesondere an den Themen zurzeit ihren Unfug organisiert, die Themen der Grünen sind. Also die Atomfrage, die Frage der Nutzung von Atomenergie, ist ein klassisches grünes Thema. Dort weicht die Bundesregierung aus unserer Sicht vollkommen unsinnigerweise von einem Kompromiss ab, der die Gesellschaft befriedet hat in diesem Punkt. Das kommt den Grünen zugute, weil die Grünen das als zentrales Thema haben.

    Ein Zweites muss man daran natürlich feststellen. Die Grünen haben momentan die Position, dass sie für alle Fragen offen sind. Sie legen sich nicht fest. Deswegen werden wir die Grünen auch fragen, wie haltet ihr es mit einer schwarz-grünen Regierung. Wollt ihr einen Politikwechsel, oder wollt ihr mitmachen mit der CDU/CSU. Ich denke, es wird uns gelingen, die Grünen dort zu Aussagen zu bewegen, und dann wird sich diese Beliebigkeit auch wieder auflösen und dann werden tatsächlich die Wähler wissen, woran sie bei den Grünen wirklich sind. Zurzeit können sie es nicht erkennen, deshalb haben sie auch den Zulauf. Wer für alles offen ist, hat natürlich auch Zulauf aus verschiedenen Lagern.

    Engels: Parallel ist aber auch zu beobachten, dass unter den Grünen bislang wenig innerparteilicher Streit zu beobachten ist, während er bei den Linken immer wieder ausbricht, Beispiel jetzt wieder Ulrich Voß, der bayerische Schatzmeister der Linken, der ja sogar Bundestagspräsident Lammert aufgefordert hat, den Rechenschaftsbericht der Linkspartei genauer zu überprüfen, die Zahlen seien mit Sicherheit nicht zutreffend. Herr Voß ist aus Ihrem bayerischen Landesverband. Was ist denn da immer wieder los bei Ihnen?

    Ernst: Nun, Herr Voß – ich will es mal so sagen – ist ein schwieriger Mensch, der anderen vorwirft, sie würden keinen Beitrag gezahlt haben in der Partei und es hätten sich dadurch die Machtverhältnisse in der Partei verschoben. Dann hat sich herausgestellt, dass er selber keinen Beitrag gezahlt hat. Man konnte sich leider bei einer jungen, neuen Partei nicht alle Mitglieder aussuchen, das trifft auch auf Herrn Voß zu. Unser Rechenschaftsbericht ist testiert von Wirtschaftsprüfern, er ist ordentlich formuliert worden, er ist aus meiner Sicht sachlich richtig, ich bin selbst mit Finanzen nicht direkt beschäftigt. Deshalb denke ich, dass diese Vorwürfe unhaltbar sind und dass sich das auch aufklären wird.

    Engels: Können Sie denn die Hand ins Feuer legen, dass diese Zahlen stimmen?

    Ernst: Also ich kann Ihnen sagen, wenn ein Wirtschaftsprüfer testiert einen Bericht vorlegt, dass der Rechenschaftsbericht ordentlich ist, dann gibt es keinen Grund für den Parteivorsitzenden zu sagen, das stimmt nicht. Ich kann natürlich nicht jeden Zettel selber umdrehen, das ist nicht möglich, das macht auch kein Parteivorsitzender. Deshalb gibt es Wirtschaftsprüfer, die Wirtschaftsprüfer haben das geprüft, und deshalb denke ich, es ist in Ordnung.

    Engels: Herr Ernst, dann schauen wir auf das Thema Arbeitsmarkt. Sie haben jüngst die Kritik des Bundesrechnungshofes unterstützt, wonach viele Ein-Euro-Jobs reguläre Beschäftigung verdrängten und häufig weder gemeinnützig seien, noch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbesserten. Trotzdem sagen ja viele Langzeitarbeitslose, dass sie froh sind, überhaupt einen Ein-Euro-Job zu haben. Wie passt das zusammen?

    Ernst: Ja, das passt zusammen, dass man Menschen in diese Situation bringt, die natürlich dann nach jedem Strohhalm greifen. Und dann sagen die oft, lieber ein Euro besser als gar kein Euro. Aber das kann nicht die Alternative sein. Das ist auch was, was mit Würde zusammenhängt. Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben können und alleine an dem Begriff Arbeitsgelegenheit und Entschädigung dafür, dass man arbeitet, der ja mit dem Ein-Euro-Job verbunden ist, sehen Sie, dass das mit Würde nichts mehr zu tun hat und mit dem eigentlichen Sinn von Arbeit nichts mehr zu tun hat. Wenn aber jetzt auch noch der Fakt auftritt, den ja nicht wir festgestellt haben, sondern andere, der Rechnungshof, dass diese Ein-Euro-Jobs reguläre Beschäftigung verdrängen, dass also Menschen in einer vernünftigen Beschäftigung sind, ihren Job verlieren, beziehungsweise einen vernünftigen Job nicht erhalten, weil wir Menschen zumuten, für einen Euro zu arbeiten, dann geht das überhaupt nicht mehr. Deshalb sagen wir – und das war auch unsere Position von Anfang an -, es kann nicht sein, dass man Menschen in Ein-Euro-Jobs jagt und ihnen dann auch noch möglicherweise Unterstützung kürzt, weil sie solch einen Ein-Euro-Job nicht annehmen. Wir wollen vernünftige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und wir sagen, wir wollen einen öffentlichen geförderten Beschäftigungssektor mit tariflichen Arbeitsbedingungen, vernünftigen Löhnen, statt Ein-Euro-Jobs.

    Engels: Herr Ernst, heute wird im Bundeskabinett der Bericht von Arbeitsministerin von der Leyen behandelt, der die Beschäftigungschancen von älteren beschreibt. Wir erinnern uns: Bei der Einführung der Rente mit 67 war damals von der SPD die Bedingung gestellt worden, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten älterer regelmäßig überprüft würden, das heißt die Verknüpfung mit der Rente mit 67 geschaffen wird. Nun sagt die Ministerin, die älteren kämen zunehmend besser in Beschäftigung. Medienberichte sagen bei denselben Zahlen zum Teil das Gegenteil. Was sagen Sie?

    Ernst: Erstens nimmt die Bundesregierung ihr eigenes Gesetz nicht ernst, denn wenn bevor dieser Bericht vorliegt aus führenden Kreisen der CDU – auch Frau von der Leyen sagt ja dasselbe – gesagt wird, es muss bei der Rente mit 67 bleiben, dann nimmt sie ja das, was im Gesetz steht, gar nicht ernst, dass es überprüft werden muss, ob die Zahlen das überhaupt hergeben. Zweitens: Wenn in der Altersgruppe der 64-Jährigen eine Beschäftigungsquote von zehn Prozent besteht, dann ist für 90 Prozent derer die Rente mit 67 vollkommen Makulatur, weil sie doch mit 65 oder 66 keiner mehr einstellt. Den müssen Sie mir mal zeigen, der das tut. Das bedeutet, für diese Altersgruppe ist zum jetzigen Zeitpunkt trotz der Veränderungen der Beschäftigungsquoten älterer die Einführung der Rente ab 67 eine reine Rentenkürzung, nämlich 7,2 Prozent weniger Rente durch die Abschläge, und das geht überhaupt nicht.

    Engels: Das heißt aber, in dem Moment, wo 80 Prozent der älteren Jobs hätten, würden Sie sagen, die 20 Prozent, die dann keine Jobs haben, haben trotzdem unter Rentenkürzung zu leiden, deshalb keine Rente mit 67?

    Ernst: Richtig! Ich sage noch mal: Die Rente mit 67 ist Unfug. Sie ist auch nicht notwendig. Ich will Ihnen das an einem ganz einfachen Beispiel noch mal vor Augen führen. Das wesentliche Argument dafür ist demographische Veränderung. Ja, es stimmt, die Menschen werden älter und die Zeit, in der sie Rente beziehen, wird länger, wenn man weiter mit 65 in Rente geht. Die Frage ist, muss man deshalb länger arbeiten. Da sage ich ganz einfach: das Bruttoinlandsprodukt, der Kuchen, der zur Verteilung ansteht, wächst mit einer Rate von durchschnittlich 1,3, 1,4 Prozent, ist also im Jahr 2030, auf das sich alle beziehen, deutlich höher als jetzt, ungefähr ein Drittel größer. Alle sagen uns, die Zahl der Menschen in unserem Land nimmt ab, bis 2030 zwei, drei, vier Millionen nach unterschiedlichen Statistiken weniger. Das bedeutet, der Kuchen wird größer, weniger Menschen müssen sich den Kuchen teilen, trotz der demographischen Veränderung. Das heißt, die Kuchenstücke können für den Einzelnen größer werden und müssen nicht kleiner werden. Trotz der demographischen Veränderung brauchen wir nicht länger arbeiten. Warum? Weil die Menschen immer produktiver werden, in derselben Zeit mehr herstellen als vorher. Das steht letztendlich allen zur Verfügung.

    Engels: Aber wenn in dem Anteil mehr Rentner dann den Kuchen beanspruchen als diejenigen, die einzahlen, dann kann Ihre Rechnung nicht stimmen?

    Ernst: Doch, sie stimmt. Sie hat ein anderes Problem. Jemand klaut uns den halben Kuchen, bevor er an die Bevölkerung verteilt wird. Das ist das Problem. Und wie funktioniert der Kuchenklauer? Er funktioniert darüber, dass man den Menschen keine vernünftigen Löhne mehr zahlen will. Wir haben Niedrigjobs, wir haben Leute, die gar nicht sozialversichert sind, wir haben die Tatsache, dass selbst im Aufschwung, im letzten Aufschwung, die Reallöhne für die abhängig Beschäftigten gesunken sind. Wenn die Löhne nicht mehr steigen, aus den Löhnen aber die Renten finanziert werden, dann haben wir ein Problem mit der Finanzierung der Renten.

    Engels: Klaus Ernst, Vorsitzender der Linkspartei, im Interview mit dem Deutschlandfunk.