Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Die Rezepte des Front National

Marine Le Pen, die Nachfolgerin ihres Vaters an der Spitze des rechtspopulistischen Front National, hat ihrer Partei ein politisches Facelifting verordnet. Sie zielt nun auf die bürgerliche Wählerklientel am rechten Rand der politischen Mitte ab.

Von Ursula Welter | 20.01.2012
    "32 Jahre habe ich an der Nähmaschine gesessen, das Pedal getreten, die Stoppuhr im Rücken und jetzt das."

    Vor den Toren der Textilfabrik im Südosten Frankreichs spielten sich in diesen Tagen dramatische Szenen ab. Die Führung eines traditionsreichen Wäscheherstellers schließt die letzten Produktionsstätten in Frankreich.

    Es ist nicht mehr möglich, ein Auto in Frankreich zu produzieren, klagt an einem anderen Ort ein Automobilarbeiter im Café an der Ecke. Tränen, Wut, Verzweiflung, die Nachrichten in Frankreich sind voller Geschichten über Fabriken, die schließen und andernorts wieder öffnen. Jenseits der Grenzen. Und das ist der Stoff, aus dem Marine Le Pen ihren Wahlkampfhonig saugt.

    Unsere Autoindustrie schafft Arbeitsplätze in Marokko, in Tunesien, in Osteuropa, auf dem Rücken der Franzosen, sagt Marine Le Pen, deren Wahlkampf auf Hochtouren läuft. Während der Präsident in Paris zum Sozialgipfel lädt, reist die Spitzenkandidatin des rechtsradikalen Front National vor die Werkstore des Landes und lässt sich dort interviewen.

    Die Journalisten gehen nahezu unbedarft auf die Politikerin zu, jedes Thema bieten sie ihr zur Reaktion an, und Marine Le Pen lehnt naturgemäß nicht ab. Wahlen seien das große Fest der Demokratie, heißt es in Frankreich, kein Kandidat dürfe davon ausgeschlossen werden. Das aber, so klagte unlängst Marine Le Pen, drohe, wenn nicht das Wahlrecht in Frankreich rechzeitig geändert werde.

    500 Unterschriften politischer Paten muss jeder vorweisen können, der zur Präsidentschaftswahl antreten will, spätestens bis zum 16. März müssen die Listen beim Verfassungsrat eingereicht sein. Schon ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, hatte die nötigen Stimmen nur mit Ach und Krach einsammeln können, denn: Die Listen werden veröffentlicht. Das macht die Suche nach Paten schwierig.

    Natürlich sei sie beunruhigt, sagt Le Pen und gibt vor, nicht genügend Unterschriften zusammenzubekommen. Ein demokratischer Skandal sei das, und sie fürchte um Frankreich, denn der Präsident, der mit diesem Wahlrecht gewählt würde, das sei ein illegitimer Präsident, droht Marine Le Pen. Das Wahlrecht müsse umgehend geändert werden.

    Die Rolle des Opfers, der Benachteiligten, spielt Marine Le Pen mit Bedacht. Denn es ist diese Rolle, die sie ihren potenziellen Wählern näher bringt.

    Teil eines Anti-Systems zu sein, außen vor zu stehen, das führt zur Identifizierung mit dem Front National, sagt der Politikforscher Olivier Mon. Die Zahl der Verlierer in der Finanzkrise, die Folgen des ökonomischen Stillstands in Frankreich, das allein erklärt den Sympathiezuwachs für den Front National noch nicht. Die Partei, das ist einhellige Meinung, sei mit dem Wechsel vom Vater zur Tochter hoffähiger geworden. Viele Franzosen identifizierten sich mit Forderungen des Front National, erklärt der Meinungsforscher Emannuel Rivière.

    Die Hälfte der Franzosen findet, es gäbe zu viele Einwanderer, vierundvierzig Prozent meinen, sie fühlten sich nicht mehr heimisch in ihrem Land. Ein Drittel unterstützt Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe. Der Front National sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt der Wahlforscher.

    Marine Le Pen vermeidet es, zu den radikalen Hetzparolen ihres Vaters und Vorgängers Stellung zu beziehen, sie setzt ihre Waffen subtiler ein.

    "Unsere Fabriken haben Potenzial, unsere Arbeiter sind die besten der Welt", umschmeichelt Le Pen die Wähler. Und liefert simpelste Rezepte: Wir brauchen einen intelligenten Protektionismus an unseren Grenzen, sagt sie und erklärt den Euro zum größten Handicap der französischen Wirtschaft.

    Versprechen wie diese zünden nicht zuletzt im ländlichen Raum. Wahlen werden auf dem Land entschieden, heißt es in Frankreich, und dieser Jäger an der Somme im nördlichen Frankreich macht keinen Hehl daraus, dass er den Front National wählen werde:

    "Nicht, dass ich ein Rassist wäre, oder so, aber es geht mir um das Überleben der französischen Tradition."

    Vor allem die Stimmen der Protestwähler, sagen die Wahlforscher, derer, die weder auf den Kandidaten der Sozialisten noch auf den Amtsinhaber setzen wollten, diese Stimmen seien Le Pen nahezu sicher.

    Und das größte Wählerpotenzial finde sie unter denen, die vor dem Nichts stünden, wie diese Näherin. Die Schließung ihrer Fabrik sei traurig, und während sie ihr persönliches Hab und Gut and er Nähmaschine zusammensucht fragt sie: Was soll werden, was ist meine Zukunft?