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"Die rot-grüne Kritik ist verlogen"

Gestern wurde vom CDU-/CSU-Präsidium eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze um fünf Euro beschlossen, von allen Seiten hagelt es nun Kritik. Hermann Gröhe, CDU-Generalsekretär, verteidigt die Pläne: "Wir setzen darauf, dass auch rot-grüne Landespolitiker und Kommunalpolitiker wissen, dass nicht unendlich viel Geld in der Kasse ist", hofft er auf eine Zustimmung im Bundesrat.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Silvia Engels | 27.09.2010
    Silvia Engels: Gestern und heute tagt das Präsidium von CDU und CSU gemeinsam in Berlin. Eigentlich steht die Aussetzung der Wehrpflicht als zentrales Thema auf der Agenda, doch seitdem gestern schon die neue Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes bekannt geworden ist, hat sich dieses Thema ganz oben auf die innenpolitische Agenda gesetzt. Lediglich fünf Euro mehr soll es für Erwachsene geben, also 364 Euro pro Monat.

    Am Telefon ist Hermann Gröhe, der CDU-Generalsekretär. Guten Morgen, Herr Gröhe!

    Hermann Gröhe: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Sie haben die breite Kritik gerade gehört. Was entgegnen Sie dem Vorwurf der sozialen Kälte?

    Gröhe: Die rot-grüne Kritik ist verlogen, denn die jetzigen Hartz IV-Regelsätze sind das Resultat einer rot-grünen Entscheidung und solange Sozialdemokraten regierten, haben sie diese Sätze regelmäßig als auskömmlich und ausreichend verteidigt, noch im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Also die jetzige Festlegung ist eine rot-grüne Festlegung. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt: Nicht, ihr müsst das erhöhen. Sondern ihr müsst genauer rechnen, wie ihr auf einen bestimmten Betrag kommt. Und gerechnet haben nicht die Koalitionsspitzen, gerechnet hat das Bundesarbeitsministerium mit dem Statistischen Bundesamt. Und die Koalitionsspitzen haben das am Sonntag zur Kenntnis genommen. Und sehen Sie, wenn sie ein Ehepaar mit zwei Kindern im Hartz IV-Bezug haben, dann erhalten die Regelsätze und Mietzuschuss von ungefähr 1.800 Euro. Da muss jeder Euro umgedreht werden, da ist Sparsamkeit erforderlich, aber das ist eine große Leistung des Sozialstaates, einer solchen Familie 1.800 netto jeden Monat zur Verfügung zu stellen.

    Engels: Die SPD hält dagegen: Jawohl, sie bekenne sich auch zu der damaligen Hartz IV-Festlegung, aber mittlerweile - auch aufgrund der gestiegenen Preise - stellt sie sich hinter die Sozialverbände, die ja auch gerechnet haben, und sie sagen, Regelsatzerhöhung auf 420 Euro. Wie kann man bei den gleichen Zahlen zu so verschiedenen Ergebnissen kommen?

    Gröhe: Die Arbeitsministerin ist in der Lage, ihre Zahlen transparent zu machen. Die Forderung 400 aufwärts gab es von Linkspartei und anderen schon seit Jahren, ohne das je substanziell erklärt worden wäre, was wird wofür ausgegeben. Wir sagen das sehr genau. Wir sagen beispielsweise: Natürlich schuldet die Solidargemeinschaft dem Langzeitarbeitslosen die Praxisgebühr, weil ein Arztbesuch ist Existenzsicherung. Das war bei den rot-grünen Berechnungen nicht vorgesehen. Wir sagen aber, Tabak- und Alkoholkonsum ist nicht Existenzminimum. Also da muss man im Konkreten sagen, was man für unzureichend hält. Und noch einmal: Ehepaar, zwei Kinder, 1.800 Euro im Monat, das kann sich sehen lassen. Und viel wichtiger als fünf Euro mehr oder weniger ist: Tun wir alles, damit die Menschen wieder in Arbeit kommen? Der Erfolg unserer Politik ist, dass der Arbeitsmarkt wieder in Bewegung ist. Bei Rot-Grün ging es auf fünf Millionen zu, bei uns unter die Drei-Millionen-Grenze. Die Menschen brauchen nicht mehr Stütze, sondern mehr Jobs vor allen Dingen, und dafür stehen wir.

    Engels: Bleiben wir gerade bei der von Ihnen auch angesprochenen Kürzung beziehungsweise Herausstreichung der Ausgaben für Tabak und Alkohol aus dem Regelsatz. Was sagen Sie zu der Kritik, die Regierung bediene mit dieser Streichung unterschwellig die Klischees, Hartz IV-Empfänger würden einen Großteil ihres Geldes ohnehin nur für Rauschmittel ausgeben?

    Gröhe: Das haben mal ganz andere Leute gesagt als wir. Und im Übrigen nehmen wir sie gerade vor solchen Verurteilungen in Schutz, wenn wir uns lebensnäher und am Einkaufsverhalten der unteren Einkommensbezieher orientieren. Also gerade nicht das, was Sie befürchten, sondern ein deutliches Ja zur Notwendigkeit der Existenzsicherung. Und noch einmal: Es ist eine rot-grüne Festlegung gewesen, und seit die SPD in der Opposition ist, interessiert sie sich eben nicht mehr für solide Staatsfinanzen. Das ist Linksruck und Rolle rückwärts.

    Engels: Stichwort Existenzsicherung. Es haben sich ja nun FDP und Union gestern nicht auf neue Regeln für Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz IV-Empfänger einigen können. Beschneiden Sie denn damit nicht die Entwicklungsmöglichkeiten, aus Hartz IV herauszukommen?

    Gröhe: Überhaupt nicht! Wir haben sie ja etwa im Bereich des Schonvermögens schon verbessert und wir sind uns ja im Ziel, dass wir sie besser machen wollen – noch mal: die jetzige Hartz IV-Regelung ist eine rot-grüne Regelung -, wir sind uns im Ziel, die Hinzuverdienstmöglichkeiten zu verbessern, einig.

    Engels: Wo hakt es denn da?

    Gröhe: Das ist eine im Detail ganz wichtige Frage, dass wir nicht dazu kommen, dass es sozusagen in einem Umfang staatliche Förderung von Arbeit gibt, die am Ende eher Löhne drückt und im Niedriglohnbereich zu Verschiebungen führt. Aber noch einmal: Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir dies bis zum 20. Oktober, also vor der Kabinettsbefassung, in der Koalition verabreden wollen. Wir werden die Chancen der Menschen, Arbeit aufzunehmen, verbessern.

    Engels: Die Neuregelungen der Hartz IV-Sätze und auch der Zuverdienstmöglichkeiten, das ist im Bundesrat zustimmungspflichtig. Dort fehlt bekanntlich Schwarz-Gelb die Mehrheit. Wo kommen Sie also der SPD entgegen?

    Gröhe: Wir werden zunächst unsere Berechnung vorlegen und im Augenblick gibt es ein rot-grünes Geschrei, ohne dass man sich die Zahlen im Einzelnen angesehen hat. Wir setzen darauf, dass auch rot-grüne Landespolitiker und Kommunalpolitiker wissen, dass nicht unendlich viel Geld in der Kasse ist, sondern dass man mit dem Geld, was da ist, das Beste machen muss. Wir haben uns vernünftig bei der Jobcenter-Reform geeinigt, wir sind zuversichtlich, dass, wenn alle sich um die Sache bemühen und nicht ums Oppositionsgeschrei, wir zusammenfinden.

    Engels: Aber es geht ja auch um die Stimmung in der Bevölkerung. Nun steigen die Hartz-IV-Sätze kaum, auf der anderen Seite hat man am Wochenende Meldungen gelesen, wonach scheidende Bankmanager der maroden und mittlerweile staatseigenen Hypo Real Estate möglicherweise mit hohen Abfindungen rechnen können. Das nährt das Gefühl der sozialen Ungerechtigkeit, das weit verbreitet ist. Muss die Union nicht stärker darauf reagieren?

    Gröhe: Also, man muss sich sicher ansehen, ob das, was dort in Bankverträgen steht, angemessen war. Das ist die eine Seite. Und dass die Bevölkerung hier sehr kritische Anfragen stellt, hat wahrlich mein Verständnis. Ich bin gleichzeitig sehr sicher, dass die Menschen auch ein Gespür dafür haben, dass beispielsweise im Niedriglohnbereich bei einfachen Tätigkeiten Menschen sehr hart arbeiten müssen, um etwas mehr zu haben als ein Hartz-IV-Empfänger. Insofern sage ich Ihnen offen, dass die gesamte Bevölkerung nach einer drastischen Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ruft, ist jedenfalls nicht meine Erfahrung im Gespräch im Wahlkreis.

    Engels: Wir sprechen mit Hermann Gröhe, dem CDU-Generalsekretär. – Wir kommen noch zu dem eigentlichen Thema der Präsidiumssitzung, denn die allgemeine Wehrpflicht soll ausgesetzt werden. Wie verläuft hier die Debatte? Es gibt ja offenbar Streit nicht um die Wehrpflichtaussetzung, sondern um den Zivildienst.

    Gröhe: Also richtig ist – und das hat manche überrascht -, dass wir uns einmütig verständigt haben auf eine Konzeption, die die Bundeswehr stärkt für die Aufgaben der Zukunft und dazu auch auf eine Aussetzung der Einberufung zum Wehrdienst setzt. Hier haben die Argumente von Verteidigungsminister zu Guttenberg überzeugt und wir werden dies unterstützen, auf den Weg bringen, haben das konkretisiert in einer Reihe von Punkten. Und wir sind uns auch beim Zivildienst im Kern einig. Es geht darum, dass wir die Chancen haben, mit freiwilligen Diensten eine aktive Bürgergesellschaft zu gestalten. Dabei ist es ein Anliegen aller Bundesländer, nicht nur der CSU, aller Bundesländer, dass es zu einer guten Verzahnung kommt der freiwilligen Dienste, die es in den Ländern gibt, freiwilliges soziales Jahr, freiwilliges ökologisches Jahr. Und der Ersatztätigkeit für den Zivildienst, die wir brauchen, wenn der Zivildienst wegfällt. Es geht also um die optimale Verzahnung der verschiedenen freiwilligen Dienste. Da gibt es Sorgen, dass man Doppelstrukturen vermeiden muss, anderes mehr. Wir werden das erreichen. Im Ziel, nämlich eine gute Alternative für den Zivildienst zu schaffen, denn die Zivis machen tolle Arbeit an vielen Orten, sind wir uns ebenso einig wie in der Stärkung der Dienste der Länder.

    Engels: Aber nun hat Frau Haderthauer von der CSU angekündigt, das möglicherweise zu blockieren, weil man sich beim Zivildienst auch über die Finanzierung noch nicht einig ist. Wie passt das zu Ihrem Aufruf, dass die Attacken der CSU aufhören sollen?

    Gröhe: Es gab keine Attacken, sondern es gibt die Frage, wie wir das, was der Bund in diesem Bereich tut und was die Länder tun, bestmöglich verzahnen. Und die entsprechenden Vorschläge, die die Generalsekretäre von CDU und CSU gemacht haben, sind mit geringfügigen Veränderungen im Präsidium von beiden Präsidien, CDU und CSU, unterstützt worden. Hier gibt es eine Einigkeit. Aber es gibt im Detail natürlich Dinge, über die sich Bundesrat und Bundesregierung verständigen werden. Und da haben wir als Unions-Parteien deutlich gemacht, wir wollen mehr tun für freiwillige Dienste und wir wollen das in optimaler Verzahnung von Bund und Ländern tun.

    Engels: Hermann Gröhe, der Generalsekretär der CDU. Vielen Dank für dieses Gespräch.

    Gröhe: Ich danke Ihnen.