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Die Rückkehr der Modeillustration

Mit dem Siegeszug der Fotografie ging die Bedeutung der Modeillustration zurück. Ganz verschwunden war sie aber nie. Zwei Neuerscheinungen erwecken die fast vergessene Kunstsparte zu neuem Leben.

Von Beate Berger | 25.04.2011
    "Mats Gustafson ist ein Klassiker. Er ist sehr reduziert und sehr sinnlich. Seine Zeichnungen vielmehr. Die haben für mich eine meditative Qualität, was man auf keinen Fall mit der Mode unbedingt assoziieren würde."

    Die Münchener Galeristin Joelle Chariau, schwärmt zu Recht von den Modeillustrationen des Künstlers Mats Gustafson. Durchscheinend und schemenhaft wirken die dargestellten Kleidungsstücke auf den ersten Blick und dennoch vermitteln die Bilder so etwas wie die Essenz der Entwürfe.

    "Wenn Sie das gesehen haben, das vergessen Sie nicht. Das ist das Abstraktionspotenzial der Zeichnung."

    Publiziert werden die Werke von Mats Gustafson normalerweise in den besten Modemagazinen der Welt. Derzeit sind einige seiner besten Arbeiten in dem Bildband "Drawing Fashion" zu sehen, den Joelle Chariau gerade herausgegeben hat. Das Buch stellt bedeutende Modezeichner der letzten hundert Jahre vor. Und es demonstriert eindrucksvoll, dass gute Modeillustrationen immer schon mehr gezeigt haben als nur Kleider. Sie geben nicht nur die spezifische Handschrift der Modeschöpfer wieder, sie fangen auch den Zeitgeist einer Epoche ein.

    "Alle diese Künstler sind berühmt geworden, weil sie nicht nur die Mode interpretieren, illustrieren konnten, sondern durch ihre Fähigkeit, Bilder des Begehrens zu schaffen."

    Joelle Chariau hat sich in den vergangenen dreißig Jahren ebenso unermüdlich wie erfolgreich darum bemüht, der Modeillustration einen festen Platz in der Kunstgeschichte zu sichern. Die Früchte ihres Lebenswerks hat sie nun in diesem hervorragenden Bildband zusammengetragen. Drei umfangreiche Kapitel sind den Künstlern gewidmet, die die Zeitspanne vom Art Deco bis zu den 60er-Jahren geprägt haben. Dann folgen vier Kapitel über bedeutende Modeillustratoren der Moderne. - Allen voran der legendäre Künstler Antonio Lopez, der unter anderem als der Entdecker von Jerry Hall und Grace Jones gilt.

    Entstanden ist der Bildband "Drawing Fashion" anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Londoner Design Museum. Kleiner Wermutstropfen für deutsche Leser: Die einführenden Texte sind auf Englisch. Doch auch bei bloßer Betrachtung der Bilder erschließt sich ein Genre, das über die Jahrzehnte hinweg eine spannende künstlerische Entwicklung erfahren hat.

    "Das ist zum Beispiel ein Gruau aus den 80er-Jahren. Da ist das, was Gruau kennzeichnet: Es ist sehr reduziert, es ist irrsinnig vital und es ist auch sehr sinnlich. Eine Frau in Bewegung!"

    Ein echter René Gruau! In der Münchener Galerie Bartsch & Chariau gibt es sogar ganze Schubladen voller echter Gruaus! Mit diesem Künstler begann vor dreißig Jahren eine ganz besondere Erfolgsgeschichte.

    "Er rief dann immer an und sagte: 'Oh, ich habe irgendetwas noch gefunden. Also auf einem Schrank in Rom, unter einem Bett in Cannes, in einer Kommode in New York' und so fing es an."

    Was der Künstler René Gruau in seinen diversen Wohnungen aufgestöbert hatte, waren Auftragsarbeiten, die er im Laufe seiner Karriere als Werbegrafiker und Modezeichner von den 1930er-Jahren an geschaffen hatte. Und es war Joelle Chariau, die dafür sorgte, dass diese in alle Winde verstreuten Kunstwerke wieder ans Licht kamen. Mit diesem Comeback setzte auch eine Neubewertung der Modeillustration auf dem Kunstmarkt ein. Heute erzielen Originale von René Gruau bei Auktionen fünf- bis sechsstellige Eurobeträge.

    Joelle Chariau hat im Lauf der letzten dreißig Jahre eine der bedeutendsten modegrafischen Sammlungen der Welt zusammengetragen. Die gebürtige Französin hatte zusammen mit ihrem Kompagnon Andreas Bartsch im Jahr 1980 eine Galerie für Cartoons und Karikaturen in München eröffnet; Künstler wie Sempé oder die Karikaturisten des New Yorkers zählten von Anfang an zum Programm. Dass sich das Spektrum der Galerie schon bald um die Gattung der Modeillustration erweitern sollte, war ein Zufall. Joelle Chariau hatte in einer alten Zeitschrift aus den50er-Jahren geblättert und war auf die Bilder von René Gruau gestoßen.

    ""Ich war wirklich verblüfft, wie viele dieser Arbeiten ich kannte - aus meiner Kindheit, aus den Zeitschriften meiner Mutter."

    René Gruau hat seiner Landsmännin viel Glück gebracht und er hat ihr eine der wichtigsten Erkenntnisse über sein Metier vermittelt:

    "Eine mittelmäßige Fotografie ist tausendmal besser als eine mittelmäßige Zeichnung, aber eine tolle Zeichnung ist besser als eine tolle Fotografie."

    Das Zeichnen von Mode gehört auch heute noch an jeder Modeschule zur Grundausbildung eines Designers. Maria Kleinschmidt, Dozentin für das Fach Modezeichnen an der Universität der Künste in Berlin, erklärt, worauf es in dieser Disziplin ankommt:

    "Man lernt seine eigenen Entwürfe zu visualisieren, um sie einem Dritten erklären zu können. Also zum Beispiel einem Produzenten, der die Sachen dann näht. Das ist ein Aspekt, der rein funktionelle, darstellerische Aspekt von Entwurfszeichnung. Modeillustration ist eigentlich was anderes. Wo es nicht in erster Linie darum geht, ein Kleidungsstück genau zu beschreiben, sondern eben eher etwas Atmosphärisches genau rüberzubringen und vor allem eine interessante Grafik zu machen. Eine interessante Zeichnung zu machen.

    ""Was sie auf jeden Fall sein muss: in irgendeiner Form attraktiv, beziehungsweise sexy. Das ist schon wichtig bei der Modeillustration. Es geht um Sexyness."

    Ist es also der männliche Blick auf die Mode, der erklären könnte, warum die Modeillustration lange Zeit eine reine Männersache gewesen ist?

    "Das ist ja verrückt. Das sind ja fast nur Männer. Also die berühmteren Illustratoren sind hauptsächlich Männer."

    Maria Kleinschmidt hat dennoch gute Chancen, sich in Zukunft in dieser Männerbastion zu behaupten. Sie kann fantastisch zeichnen und sie ist dabei, eine eigene unverkennbare Handschrift zu entwickeln, was derzeit für Modeillustratoren wichtiger ist denn je:

    "Sie waren früher Dienende, angewandte Künstler, deren Aufgabe es war eben die Mode darzustellen und heute werden sie eher als Künstler wahrgenommen, als Persönlichkeiten; - wo ein Magazin einen Künstler bucht und sich damit auch schmückt."

    "Meister der Modezeichnung" heißt der Bildband, den der englische Modezeichner David Downton gerade herausgegeben hat. Das Buch führt seine Leser und Betrachter ebenfalls durch ein ganzes Jahrhundert der Modeillustration. Downton, der 1959 im englischen Kent geboren wurde, gilt selbst als einer der ganz Großen seines Fachs. Mit diesem Buch huldigt er seinen künstlerischen Ziehvätern. Besonders bemerkenswert sind nicht nur die exquisite Bildauswahl, sondern auch die schönen Begleittexte, die über die Lebensgeschichte der jeweiligen Künstler informieren. Neben den Klassikern des Genres, wie zum Beispiel Erté, Eric und Antonio sind auch Namen zu finden, die man nicht unbedingt in diesem Zusammenhang vermuten würde. Unter anderem geht der Autor auch auf die werbegrafischen Arbeiten von Andy Warhol ein.

    Im letzten Kapitel des Buchs präsentiert David Downton Modezeichnungen aus seiner eigenen Werkstatt. Ein Teil der Arbeiten sind Porträts von prominenten Frauen wie Paloma Picasso, Catherine Deneuve, Linda Evangelista, Cate Blanchett. Diese Stars sind in ihrem Leben zigtausendfach fotografiert worden, aber die Porträts, die David Downton von ihnen gezeichnet hat, haben eine ganz eigene Qualität, die mittels der Fotografie nie erreicht werden könnte.

    "Es ist eine etwas abstraktere Welt, die aber trotzdem auch anregen kann und auch berauschen kann. Als Bildwelt. Auch modisch stimulieren kann!"

    Joelle Chariau (Hrsg.): Drawing Fashion. Prestel Verlag. 240 Seiten, 184 farbige Abbildungen, 59 Euro.

    David Downton: Meister der Modezeichnung. Collection Rolf Heyne. 224 Seiten, 200 farbige Abbildungen, 75 Euro.