Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Die Sache Kränzle Von der Unsterblichkeit in der Musik Feature von Elke Pressler Produktion: Dlf 2018 Redaktion: Ulrike Bajohr Sendung: Freitag, 09.03.2018, 20:10-21:00 Uhr Sprecher Stephan Schad Tilo Werner Marion Martienzen Elke Pressler Regie: die Autorin Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Musik: J. M. Kränzle > Bühne: Gurrelieder Atmo/ Krankenhaus O-Ton Kränzle Ich hatte eigentlich mit dem Gesang abgeschlossen, ... Musik: J. M. Kränzle > Bühne Atmo/ Krankenhaus O-Ton Kränzle ... da die Stimme nicht mehr da war - und die Kraft sowieso nicht. Der Tod ist immer ein Begleiter.. 1. Sprecher Wir müssen böse sein, weil wir wissen, dass wir sterben müssen. O-Ton Kränzle ... wobei ich eher wieder einen Gottes-Dialog begonnen habe, den ich vorher nie mehr aktiv ausgeübt habe. Ob man das Gebet nennt oder nur Sprache, Zwiesprache - der Tod war nie mein Dialog-Partner. 1. Sprecher Wir wären böser, wenn wir von Anfang an wüßten, wann. Elias Canetti O-Ton Kränzle Es gab öfter mal die Momente, dass ich eingeschlafen bin und gedacht habe: morgen wache ich vielleicht nicht mehr auf. Aber ich konnte gut einschlafen dabei. Atmo / Musik > Die Sache Makropulos / Leos Janacek, Anja Silja singt 2. Sprecherin Wundervoll war's, wie der Tod mich zart angerührt. Und davor hab' ich Angst gehabt? Seht einen Sinn in allem! Jede Minute ist wertvoll, weil der Zufall euch günstig ist, rechtzeitig euch sterben läßt! Musik reißt ab Atmo Krankenhaus O-Ton Kränzle Manchmal habe ich Witze darüber gemacht. Also ich war an all diesen Geräten angeschlossen und hab' ein kleines Mini-Filmchen gemacht und habe den Fidelio-Florestan gegeben, wenn er im Gefängnis ist: (er singt) "Gott, welch' Dunkel hier", und alle Geräte haben angefangen zu piepsen ! Das Personal stürzte 'rein, also die Pfleger: "Sie dürfen überhaupt keinen Druck ausüben! Sie haben überhaupt keine Thrombozyten!" Da war dann Hochalarm ! (Lacht) Ansage Die Sache Kränzle Von der Unsterblichkeit in der Musik Feature von Elke Pressler Musik: Wagner, Meistersinger, J. M. Kränzle singt Beckmesser / MET O-Ton Kränzle Ob ich was gespürt habe? Ich kann es nicht sagen. 1. Sprecherin Johannes Martin Kränzle, Opernsänger, Bariton O-Ton Kränzle Es war genau in der Weihnachtswoche, da waren die letzten Aufführungen... 2. Sprecher/Kränzle Ja, Ende 2014. Wagners "Meistersinger" - ich war das erste Mal an der Metropolitan Opera in New York. Es war wahnsinnig aufregend. Ich bekam den Publikumspreis für meinen Beckmesser dort als "bester Debütant an der MET" - mit 52 Jahren! Aber wenn man den dritten Abend dort singt in diesem Riesen-Haus, also dann ist der Stress-Level schon deutlich flacher. Dann ist man schon wieder in einem ganz anderen Modus. O-Ton Kränzle Ich hatte ein paar Irritationen auf der Bühne, sekundenweise aber nur. Das waren so ganz kurze Ohnmachtsanfälle, dass man singt, ferngesteuert, man kann's nicht mehr regulieren - und dann ist man wieder dabei. Also es waren so minimale Aussetzer. Atmo/ Musik im Hintergrund O-Ton Kränzle Oder dass ich mal aufgewacht bin, mich einsingen wollte - oder überhaupt nur die Stimme testen - und nicht mal fähig war, zwei Töne voneinander zu unterscheiden. War dann völlig aufgeregt, ob ich abends die Vorstellung absagen muss - und singe eine halbe Stunde später wieder alles ganz normal! Solche Dinge gab es im Vorfeld. Atmo/Musik, W. Rihm, Dionysos, N O-Ton Kränzle Kurz nach meinem New-York-Aufenthalt hatte ich dann hier eine Probenphase in Frankfurt - endlich wieder in Frankfurt, ich war sehr viel unterwegs - 2. Sprecher/Kränzle Durch die Auszeichnung zum "Sänger des Jahres 2011" war ja der Hype gewaltig. Es hatte nur fünf Vorstellungen dieser Weltpremiere "Dionysos" von Wolfgang Rihm bei den Salzburger Festspielen 2010 gegeben, aber diese Rolle "N" - N ist Nietzsche - diese Rolle hat ja meine Karriere durch die Decke schießen lassen. Obwohl ich schon so lange dabei bin - fast 30 Jahre im Ensemble der Oper Frankfurt, O-Ton Kränzle ... da hatte ich dann meinen ersten Amfortas zu machen in Parsifal, und da geht's ja um Krankheit, um die offene Wunde, und da hatte ich eine dicke Grippe und schwer gehustet. Und da wurde es dann eklatant, weil ich auch in der Generalprobe das Gefühl hatte: ich schaffe das nicht. Diese Ohnmachts-Aussetzer werden länger, die kommen öfter. Das geht doch nicht so! 2. Sprecher/Kränzle Das geht doch nicht so! O-Ton Kränzle Dann habe ich die Wiederaufnahme, also für mich mein Rollendebüt, noch gesungen, den Amfortas, und am nächsten Tag wußte ich: irgendwas ist in dem Körper ganz anders als sonst, ich werde in absehbarer Zeit nicht mehr auftreten.. Musik / Atmo O-Ton Kränzle Es war wie ein schwarzes Loch. 2. Sprecher/Kränzle Ein schwarzes Loch. O-Ton Kränzle Ich war nach dieser Vorstellung völlig kaputt. Auch stimmlich. Ich hab' dann irgendwie so gesprochen. (krächzt mit tiefer Stimme) 2. Sprecher/Kränzle Und eine intensive Suche begann O-Töne-Montage Kränzle Als Erstes zu Hals-Nasen-Ohren-Ärzten / Monochorditis, völlig ungewöhnlich, ganz selten überhaupt / zu mehreren Ärzten / Fehldiagnose / Spezialisten / ein paar Koryphäen dabei / in Wien / in München / zum Endokrinologen / Orthopäden / und dann ist relativ schnell, nach eineinhalb Monaten vieler Diagnosen, diese Krankheit schon festgestellt worden: 2. Sprecher/Kränzle Aggressiv fortschreitendes MDS Atmo O-Ton Kränzle Myelodysplastisches Syndrom. 2. Sprecher/Kränzle Das ist eine Vorform von AML, der Akuten Myeloischen Leukämie. Von jetzt auf gleich bin ich ein Hochrisiko-Patient. Aus heiterem Himmel! So schnell kann es gehen! O-Ton Kränzle Dann waren es erst Blutwerte, die ganz schlimm waren - aber ich hab's ja nicht gespürt! Ich kann zwar nicht arbeiten, aber ich kann das Leben gestalten - bis es dann so schlimm wurde, dass ich hier in meiner Wohnung ohnmächtig umgefallen bin, zweimal... und niemand da war. 2, Sprecher/Kränzle Ein Bein war total geschwollen O-Ton Kränzle ... und ich gerade noch den Krankenwagen rufen konnte, ... 2. Sprecher/Kränzle Es war in der Klinik nicht sicher, ob man mich würde retten können!: akute Blutvergiftung O-Ton Kränzle ... und dann war klar: man muss das alles machen, muss mich transplantieren lassen. Dann kommt man in diese Isolation. Atmo/ Musik > Ouvertüre "Die Sache Makropulos" O-Ton Anja Silja Am Anfang, als ich das zum 1. Mal sang als 30-Jährige, ... 1. Sprecherin Anja Silja in einem Interview 2006. O-Ton Anja Silja ... dann machte man solche Zirkustricks, dass sie dann plötzlich 300 Jahre älter aussah mit - plötzlich - weißer Perücke und krampeligem Gesicht - mal schnell hinter der Wand wurde das gemacht. Das stimmt auch nicht mit dem Stück. 1. Sprecherin Da ist die Opernsängerin 66 Jahre alt und hat die Emilia Marty in der Oper "Die Sache Makropulos" von Leos Janacek in sieben verschiedenen Inszenierungen gesungen. O-Ton Anja Silja Obwohl - Leute, die mich damals gesehen haben, sagen, das wäre schon damals ziemlich überzeugend gewesen. 1. Sprecherin Die "Unsterbliche" wird IHRE Rolle - die Parade-Rolle der Anja Silja. Ihr langes, berühmtes Sängerin-Leben hindurch. Mit allen Höhen und Tiefen. Mit erstaunlichen Parallelen. Atmo O-Ton Anja Silja Es ist das, was die Marty ja auch sagt: Musik > Die Sache Makropulos / Leos Janacek, Anja Silja singt, 3. Akt / im Hintergrund 2. Sprecherin drauf "... alles ödet mich an ..." O-Ton A. Silja Erfolg ist ja nichts Bleibendes. Die Müdigkeit und das Bewusstsein, dass wirklich nichts ewig ist und dass es auch nicht anstrebbar sein sollte, ewig zu sein, das ist etwas, was mich sehr mit ihr vereint. Und auch dieser Überdruss vom ständigen Loben, von euphorischer Begeisterung von Menschen, die es gar nicht so meinen, sondern etwas in einem sehen oder etwas suchen in einem, was man gar nicht hat oder auch gar nicht zeigen will, das vereint mich denn doch auch mit ihrer Art, das Leben zu sehen und auch mit ihrem Zynismus. Man wird wirklich müde von diesen ewigen falschen Komplimenten. Es gibt ja auch viele echte, aber die meisten sind eben doch auf dem sogenannten Ruhm aufgebaut. Musik > 3. Akt / im Hintergrund 2. Sprecherin "... alles ödet mich an ..." 1. Sprecherin Rudolf II., 1576 bis 1612 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, will Ewigkeit. Sein Leibarzt am Prager Hof, Doktor Makropulos, begibt sich ins alchimistische Labor und erfindet ein Lebenselixier. Doch Rudolf fürchtet Risiken und Nebenwirkungen. So bekommt Elina Makropulos, 16-jährige Tochter des kreativen Arztes, die wundersame Flüssigkeit verabreicht. Sie fällt in Ohnmacht, scheint wie tot. Ihr Vater landet im Gefängnis. Es dauert Wochen, bis Elina erwacht. Putzmunter und gesund. Sie flieht und nimmt die geheimnisvolle Formel mit. Und stellt dann als Dreißig-Jährige Erstaunliches fest: ihr Aussehen, ihr Körper, ihre Haut - nichts verändert sich mehr! Mit dem vermeintlich tödlichen Rezept besitzt sie einen Jungbrunnen. Der Alterungsprozess ist besiegt, erst nach 300 Jahren wird der Körper nach der nächsten Dosis verlangen. Musik > 3. Akt / im Hintergrund 1. Sprecherin Soweit die Science-Fiction-Vorlage des Schriftstellers Karel Capek. Der Komponist Leos Janacek sieht das Stück 1922 in Prag. Und ist angetan. Ein Jahr später macht er sich daran, diesen Stoff für eine Oper zu verwenden - aus einer Komödie wird ein Krimi wird ein visionäres Experiment. O-Ton Kränzle Irgendwie war's für mich eine Art Märchen - ein modernes Märchen. Dieser Unsterblichkeits-Wahn wird schon sehr, sehr früh erkannt. Aber - in unserer Zeit sind wir da ja noch viel mehr dran: diesen Wunsch nach diesem längeren Leben oder jugendlicheren Leben zu haben. 1. Sprecherin Elina Makropulos wird als Opern-Diva berühmt. Doch immer wieder muss sie von der Bühne verschwinden, bevor ihre ewige Jugend auffällt. 2. Sprecher/Kränzle Was für einen Aufruhr, Unverständnis, ja Chaos würde es geben! ... 1. Sprecherin Nach einer Pause taucht sie unter anderem Namen anderswo wieder auf, wobei sie immer die Initialen E.M. beibehält. Elina Makropulos alias Elian MacGregor alias Eugenia Montez alias Ekatjerina Myschkina alias Elsa Müller alias Emilia Marty Atmo O-Ton Anja Silja Das ist wirklich die ehrlichste Musik, die es überhaupt gibt im Opernsektor! Das ist wirklich sehr komplizierte Musik, obwohl sie so einfach erscheint. 2. Sprecher/Kränzle Was für ein Chaos würde es geben auf der Welt! Unsterblichkeit für alle! Das merkt man doch schon an diesem verzwickten Erbschaftsstreit in der Oper, der absurd lange über Jahrhunderte geht - und den keiner mehr so richtig überblickt. Musik: Die Sache Makropulos, 3. Akt, Anja Silja singt Emilia Marty 2. Sprecherin drauf Angst erfasste den Kaiser - dreihundert Jahre leben, dreihundert Jahre jung und gesund! -, und er befahl dem Vater: "Probier das erst an deiner Tochter!" Ob ich es wollte, fragte man nicht... Atmo O-Ton Anja Silja Warum er eine Sängerin gewählt hat: ich glaube, weil sie eben in so viele Rollen schlüpfen kann und so vielseitig, so vielschichtig angelegt werden kann und vielleicht auch - was man Künstlern gern nachsagt - egozentrischer ist, egoistisch, eben nicht so menschlich, wie man das gern hätte. Das hat er wohl darin gesehen: in diesen Theaterfiguren ist keine wirkliche Echtheit - und das hat er angeprangert! O-Ton Kränzle Ich habe diese Rolle gar nicht so philosophisch gesehen. Musik: Die Sache Makropulos, Kränzle singt Jaroslav Prus, Zweiter Akt 2. Sprecher/Kränzle 2012, lange vor meiner Krankheit, habe ich den Jaroslav Prus in Frankfurt gesungen. Er ist ja Emilia Martys Prozessgegner in der Rahmenhandlung, dem komplizierten Erbschaftsstreit zwischen den Familien Prus und MacGregor. Er besitzt dieses Testament, um das es geht - einschließlich einer geheimnisvollen griechischen Handschrift'. O-Ton Kränzle Dieser Mann ist der einzige, der ihr so'n bisschen Paroli bieten kann... 2. Sprecher/Kränzle Es ist das uralte Rezept des Arztes, diese SACHE, die Emilia unbedingt braucht, um weiter zu leben, um jung und gesund und begehrenswert zu bleiben. Dieser Jaroslav Prus hat es, ohne es zu ahnen, ... O-Ton Kränzle ... und der da noch mal seine sexuelle Energie einsetzt, bis er merkt, dass sogar der Sohn sie begehrt. Und dann bringt sich der Sohn um, weil er es nicht ertragen kann, dass der Vater auch schon was mit ihr hatte. Aber trotzdem ist er dann kalt, eigentlich ist der ein sehr machtbesessener Geschäftsmann-Typ so - insofern hat's mich nicht innerlich aufgewühlt. Aber es kann an unserer Inszenierung gelegen haben. Es kann aber auch am Stück liegen, dass es eher so'n Experiment-Stück ist als eines, was die Figuren ganz menschlich werden läßt. Musik/ Atmo Krankenhaus 2. Sprecher/Kränzle Nach meinem Zusammenbruch zu Hause kam ich sofort auf die Quarantäne-Station. O-Ton Kränzle Es ist leider gar nicht so ruhig, wie man sich das jetzt vorstellt. Man ist ja mit Schläuchen vom Hals, von den Armen, man ist mit allem an diesen Geräten. Und kaum macht man eine falsche Bewegung, piepst schon wieder das Gerät. Es ist ständig eine Krankenschwester oder irgend-jemand da, dann wird der Raum dreimal wieder geputzt oder desinfiziert pro Tag, immer mit vermummt Gestalten. Die müssen sich völlig umziehen. 2. Sprecher/Kränzle Hier in der Isolation habe ich zuerst Chemotherapie bekommen; ziemlich hart war das. Meine Blutzellen, meine Stammzellen, das heißt: der Kern meines physischen Seins wurde völlig zerstört. O-Ton Kränzle Ja, bei diesen Chemotherapien werden nicht nur die kranken Zellen ausgelöscht, sondern es wird noch viel mehr zerstört. Und bei mir war das ein bißchen schade, weil es in 20 Jahren vielleicht eine andere Therapie dafür gäbe. Ich habe keinen Blutkrebs gehabt, sondern etwas Verwandtes, aber wurde eben mit den Chemotherapien eines Blutkrebses - weil es gar kein Mittel für meine Spezial-Krankheit gibt - behandelt. Also eigentlich mit stärkeren Waffen beschossen, als ich in 20 Jahren der neuen Forschung dann beschossen werden müßte. Aber ich war froh, dass es überhaupt natürlich ne Möglichkeit gibt - weil es ja sonst tödlich wäre. Musik: Die Sache Makropulos, 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin drauf ... Eine Woche lag ich, oder länger, wie tot... ruhig, trocken O-Ton Kränzle In dieser - Aplasie nennt man das, wenn man die Chemotherapie bekommen hat und nicht mehr lebensfähig wäre - 2. Sprecher/Kränzle Bei diesem "Auf-Null-Gestellt-Werden" hat sich bei mir eher eingestellt eine Ruhe als eine Todes-Angst, ... O-Ton Kränzle ... in dieser Aplasie ist man zwischen Tod und Leben. 2. Sprecher/Kränzle ... dass ich auch sagen könnte: das war's, jetzt ist es zu Ende. O-Ton Kränzle Ich habe da eher festgestellt, dass ich resümiere, was ich bis dahin erlebt habe. Dass ich glücklich darüber bin und dankbar für das, was ich bis dahin erleben konnte. Im Hintergrund Musik Makropulos (Zwischenmusik) 2. Sprecher/Kränzle Auftritte in Mailand und Paris, in Madrid, Zürich und Genf, bei den Salzburger- und Bregenzer Festspielen, beim Glyndebourne- und Luzern- Festival, in Berlin, in München, in Hamburg, Köln, Stuttgart, in San Francisco und New York, Kairo, Spoleto, Sofia, Tel Aviv, Tiflis und Tokyo! - Dann das Unterrichten und Kammermusik-Machen als Geiger mit Mitgliedern des Frankfurter Museumsorchesters - und ich hatte so eine Freude an allem!! O-Ton Kränzle Was ich mir vorgestellt hätte: dass ich immer mehr zittere, und denke: das kann doch jetzt noch nicht alles sein!, Ich bin Vater, ich habe Kinder, ich müßte jetzt bis zum Letzten kämpfen - das war nicht so! Atmo Vier, fünf Tage Chemotherapie, und schon am ersten Tag werden einem die neuen Stammzellen eingeimpft. Dann muss man aber warten. Dann hat man zwei Wochen, wo nichts ist. Wo man warten muss, ob die neuen sich wieder an die Plätze ansiedeln, wo die alten waren. Musik: Die Sache Makropulos, 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin drauf geflüstert... ... ohnmächtig lag ich, erholte mich langsam. Konnte man mir's denn ansehen, ob sich das Mittel, die SACHE, bewährt? ... O-Ton Kränzle Vielleicht kann man es gar nicht ganz fassen, überhaupt, was mit einem passiert? 1. Sprecher Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Bruder oder eine Schwester für die Stammzellenspende eignet, liegt bei 25 %. Bei Eltern und anderen Verwandten ist der Prozentsatz deutlich geringer. Sogenannte HLA- Merkmale müssen möglichst vollständig übereinstimmen. Diese humanen Leukozytenantigene sind bestimmte Eiweiße auf den Oberflächen der weißen Blutzellen. Bislang sind etwa 7000 solcher Merkmale bekannt, was es manchmal schwierig macht, einen geeigneten Spender zu finden. 2. Sprecher/Kränzle Ich habe mein "Lebens-Elixier", die Stammzellen, von meinem Bruder bekommen. Der ist 6 Jahre jünger. Das ist schon ein Glück, ja - ich trage damit eigentlich ein Verjüngungsprogramm in mir - Emilia Marty lässt grüßen! O-Ton Kränzle Sogar noch viel, viel extremer! Mein Blut hat jetzt das Alter von 2 Jahren!! Das Blut fängt jetzt wieder ganz bei Null an, d.h. ich kriege im Moment die Kinder-Impfungen - Masern, Tetanus, habe keinerlei Allergien, die ich früher hatte... 2. Sprecher/Kränzle Heuschnupfen, extreme Allergie auf Tierhaare. Es ist wie ein Neustart. 1. Sprecher Experimente, sich dem Alter, Krankheit, dem Tod zu widersetzen, laufen aktuell in zahlreichen Laboren. Am Institut für Neurowissenschaften an der Stanford University in Kalifornien z. B.: reihenweise werden Mäuse zusammengenäht. "Heterochrone Parabiose" nennt man dieses Verfahren. Dabei werden die Blutgefäße von zwei Tieren - eines sehr alt, das andere sehr jung - zu einem gemeinsamen Kreislauf verbunden. Und siehe da: Das junge Mausblut erzeugt im altersschwachen Tier ganz wundersame Effekte. Das Herz, die Muskeln - stark wie in der Jugend. Die inneren Organe - voll leistungsfähig. Ganz erstaunlich die Wirkung auf das Gehirn. Kognitive Tests absolvieren die Greise plötzlich ohne Probleme. Es scheint, als sei durch den alten Körper eine Welle magischer Verjüngung gerollt. Ulrich Bahnsen, Die ZEIT, 6. April 2017, "Für immer jung?" O-Ton Kränzle Das habe ich ausgetestet: Ich hatte nämlich eine Pferdehaarallergie, und jetzt, so vorm halben Jahr, bin ich an einem Pferdegut vorbeigegangen, und da - man traut ja der SACHE nicht so: ich bin in den Pferdestall, und es ist überhaupt nichts passiert! Da ist ein Mini-Vorteil entstanden. Aber dieses Blut hat erst die Abwehrkräfte eines Zweijährigen, also das muss man dann wieder auf der anderen Seite sehen, dass ich dadurch noch viel infektanfälliger bin (und diese ganzen Kinderkrankheits-Impfungen bekomme). 1. Sprecher An der University of California, Los Angeles, versucht ein anderer Forscher, die Lebens-Uhr neu zu justieren: "Horvath's clock" misst in den menschlichen Zellen den Mechanismus der Vergänglichkeit. Schaltet sich der Körper selbst nach und nach ab? Horvarths Uhr könnte einen direkten Blick in die Maschinerie des Niedergangs erlauben. Den letzten Beweis hat Steve Horvarth noch nicht, aber es ist wahrscheinlich, dass er das Räderwerk der Alterung entdeckt hat oder zumindest einen sehr wesentlichen Teil. Schon 2013 hatte er das Alter menschlicher Embryozellen geprüft. Es war null, wie zu erwarten. Heute wissen Forscher, wie sie auch alte menschliche Körperzellen in einen embryoähnlichen Zustand versetzen können. "Reprogrammierung" nennt man diesen Vorgang. Mit ihm werden im Erbgut Gene erweckt, die sonst nur im Embryo arbeiten. Reprogrammierte Zellen haben, wie die der Embryonen, die Fähigkeit, alle Zelltypen zu erzeugen. Egal, wie alt der Spender der Zellen ist - sobald sie durch die Reprogrammierung den embryonalen Zustand erreicht haben, steht ihre Lebensuhr auf null. Im Labor. Noch. Ulrich Bahnsen, Die ZEIT, 6. April 2017, "Für immer jung?" 2. Sprecher/Kränzle Ob ich die SACHE, die neuen, fremden, jungen Zellen, spüre? O-Ton Kränzle Nein, man spürt nichts. Man sieht nur die Zahlen: Aus 0,0 ist 0,9 geworden. Dann ist das eher ein Prozess, der im Kopf stattfindet: Oh, Wahnsinn, da fängt jetzt wieder was an zu arbeiten. Aber man spürt im Körper nichts. 2. Sprecher/Kränzle Trugbild (?) Einbildung (?) Mischwesen (?) O-Ton Kränzle Ich bin jetzt eine Chimäre! Mit zwei DNAs ! 2. Sprecher/Kränzle Ein Mischwesen. Mit zwei unterschiedlichen Lebens-Altern. Mit zwei verschiedenen Erbinformationsketten ! Wer bin ICH ? O-Ton Kränzle Habe ich mich verändert? Ich würde nicht sagen, in meinen Wesenszügen. Der gesamte Blutkreislauf hat eine andere DNA als mein restlicher Körper. Aber: die sind anscheinend doch so voneinander getrennt, Blut und Körper, dass sie sich doch nie ganz vermischen, die beiden DNAs. Das wußte ich auch nicht. 1. Sprecher Auch Google hat ein Biotechnologieunternehmen namens "Calico" gegründet, mit dem Ziel, den menschlichen Alterungsprozess - und damit letztlich den Tod abzuschaffen! Dort arbeiten angesehene Biowissenschaftler aus aller Welt. O-Ton Kränzle Wenn mein Bruder eine andere Blutgruppe gehabt hätte, hätte ich jetzt die Blutgruppe gewechselt. Wir hatten zufällig die gleiche. Für den Spender ist entscheidend, dass er die gleiche Eiweißkonstellation hat im Blut. Deswegen gibt's ja auch so'ne Datenbank, eine über-europäische, glaube ich, und die Chance, wenn jetzt mein Bruder nicht gepaßt hätte, einen ziemlich ähnlichen zu finden mit dieser Eiweißkonstellation, wäre sehr hoch. Der wäre sogar im Umkreis von 100 km meines Geburtsortes zu finden. Das ist sehr eigenartig. Manche Dinge wissen die noch gar nicht, warum eigentlich! Und was der für eine Blutgruppe hat, wäre dann eigentlich egal. Ist alles sehr seltsam! Musik Robert Schumann, Der Contrabandiste / Kränzle singt Lied 2. Sprecher /Kränzle Die Leute denken ja, ich hätte am Anfang meiner beruflichen Laufbahn wenig Vertrauen gehabt in meinen Körper - in meine Stimme. Weil ich so einiges ausprobiert habe: ich habe Geige gelernt, bin auch solistisch aufgetreten; ich habe komponiert, hab' sogar zwei Opern geschrieben, wollte dann inszenieren... O-Ton Kränzle Da hatte ich ja Regie studiert in Hamburg, und da hatten wir bei einem Sänger der Staatsoper Gemeinschafts-Gesangsunterricht, die 8 Regisseure. Und ich hab' nur gemerkt, ich hab' ein etwas lauteres Organ als die anderen, ich singe gern. Und war dann auch immer, weil ich keine Freundin hatte in Hamburg, in der Freizeit in der Oper und hab' den Franz Grundheber da immer gehört - wunderbar! ... Musik: Franz Grundheber singt > Wozzeck O-Ton Kränzle ... bisschen so die Sachen zu Hause angeguckt, die der da singt. Und dann habe ich gefragt: würde es sich bei mir lohnen, dass ich auch ein bißchen allein mache? "Nö, nö, laß' mal" - und damit war natürlich dieser erste - völlig begraben. Dann wollte ich ja Schulmusik machen, und da wiederum war ein anderer Gesangslehrer, der dann später mein Gesangslehrer wurde, Martin Gründler, und der hat aus der Schulmusik-Prüfung gehört: "Mensch, wie du da singst, du wirst Sänger ! Ich sag's dir, du mußt zu den Gesangsleuten gehen!" Man sollte nie die Türen für die Jungen ganz verschließen, als Lehrer hat man da Verantwortung. Es kann alles noch passieren. 2. Sprecher/Kränzle Mittlerweile sind über 100 Rollen draus geworden, O-Ton Kränzle 120! Das ist die Lust der Verwandlung, ein anderer zu sein! Musik Rimskij-Korsakoff, Die Zarenbraut, Grogori Griasnoj, Kränzle singt russisch 2. Sprecher/Kränzle Ich unterrichte auch leidenschaftlich gern als Gast-Professor an Hochschulen, auch in Südamerika! - und habe wirklich so eine Freude daran ! Vorher und nachher! - Nach dieser Sache ! O-Ton Kränzle Auf die Frage: "wie geht 's?" ist: "Ja, alles normal" mein guter Satz. Da ist mein Lehrer auch verantwortlich dafür, dass der immer gesagt hat: "Ich muss Sie nachts um 3h wecken können, und der erste Ton muss schon wieder sitzen. Das ist immer dieser Oberton-Ansatz, dass der sofort da ist. Das war die tägliche Übung, das ist inzwischen verinnerlicht. Vielleicht hat eine größere Pause habe ich im Witz gesagt - ganz gut getan. (Lachen Es kommt auf die Bündelung der Energien an. Und da gehört Erfahrung dazu, und die habe ich ja wieder. Insofern kommt es darauf an, wie man mit den Energien umgeht: ob man sie vergeudet, indem man den Ton viel zu breit raussingt, oder ob man die Energien zu sich holt. So beschreibe ich es auch immer den Schülern: italienische Schule - "inhalare da voce", sie einsaugen, die Stimme. 2. Sprecher/Kränzle Das ist so ähnlich wie seufzen O-Ton Kränzle Dieses Bild bewirkt, dass man die Energie zu sich holt und man doch viel mehr Projektion kriegt, als wenn man denkt, ich muss immer bis zur letzten Reihe kommen. Musik weiter O-Ton Kränzle Ich war früher nie so'n technisch brillanter Sänger, und dass sich das technische Vermögen in den letzten 20 Jahren eher verbessert als verschlechtert hat - was ja gar nicht so selbstverständlich ist mit der Alterung - und ich merke jetzt, wo ich von der Woche wiederkomme, wo ich den Studenten sehr viel vorgesungen oder erklärt habe - ich habe gerade unterrichtet in Köln an der Musikhochschule, da bin ich Gast-Professor - dass ich mehr machen kann, als ich vielleicht mit 40 konnte! Das ist ein tolles Gefühl. Oh, ich kann plötzlich den Ton piano singen, ... 2. Sprecher/Kränzle Ich kann plötzlich den Ton piano singen O-Ton Kränzle ... ganz blöden Ton da in der Arie, den ich vorher nie so hinbekommen hätte. 2. Sprecher/Kränzle Oder ist es die SACHE?? O-Ton Kränzle ... das Geschenk?, die Zellen, das neue Blut ? Naja, es bleiben immer noch Baustellen, alles geht nie. Da gibt's ja ne tolle Anekdote von dem Czerwenka, von der Wiener Staatsoper, glaube ich, wo der in Linz vorgesungen hat, ein Bass, und der hatte aber den tiefen Ton von Osmin, hatte er gar nicht. Und dann haben sie gesagt: "Wollen Sie jetzt nicht das tiefe D vorsingen?" Und dann sagt der: "Wenn ich das tiefe D hätte, dann würde ich nicht in Linz vorsingen." Lacht herzlich! Musik: Lied F. Schubert, Der Erlkönig, Kränzle singt O-Ton Kränzle Was seltsam war: dass ich den Humor nie verloren habe! Atmo Dass ich sehr leicht und heiter auch sogar in dieser Isolationsstation war. Das Personal wollte mich wahnsinnig gern behandeln, weil es bei mir anscheinend wesentlich lustiger war als bei den meisten anderen. Musik Lied F. Schubert, Der Erlkönig, "... er hält ihn sicher, er hält ihn warm ..." Kränzle singt O-Ton Kränzle Indem ich den ‚alten Trott' nicht bereue, mache ich's weiter. Vielleicht ist das die schönste Therapie. Musik nervös-bedrohliches Klavier-Motiv / Erlkönig 2. Sprecher/Kränzle Ich bin für meine Ärzte ein Phänomen, weil ich momentan der Einzige mit dieser Transplantation bin, der wieder so extrem körperlich arbeiten kann. Ein Wunder!! Als ich im Herbst 2016 nach London gereist bin, zu meinem Comeback, da dachten meine Mutter und meine Freundin: "Er ist verrückt." Musik nervös-bedrohliches Klavier-Motiv / Erlkönig O-Ton Kränzle Dann war ich ja wie so'n Spieler, ganz, ganz cool. Mir ging's ganz schlecht im Juni, und Anfang August hatte ich schon wieder Proben, da wäre die Pause zu Ende gewesen, ich hätte Proben an Covent Garden zum ersten Mal überhaupt mit "Cosi fan tutte". Und ich habe einfach nicht abgesagt und hab immer gedacht: ich gehe da vielleicht hin, und dann werde ich nach 2, 3 Tagen sehen, ob ich da irgendwie überhaupt 6 Stunden proben kann, ob das völlige Illusion ist!? Ich hab nur ein einziges Mal hier dieses schöne Terzett Soave sia il vento am Klavier einmal durchgespielt: und gemerkt die Stimme macht das - und alles andere nie mehr geübt! Und bin dann da hingefahren. Und es hat von vornherein geklappt, rein stimmlich. Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Sie verzeih'n, dass ich wegging. Ich hab' Kopfweh, es ist schauderhaft... so geht's mir seit zwei Jahrhunderten! Atmo O-Ton A. Silja Sie leidet nicht unter dem Älterwerden, sie leidet gar nicht, sondern sie ist lebensüberdrüssig. Sie ist sarkastisch, sie ist müde von dieser ewigen Bewunderung und der Flucht vor sich selbst, weil sie so lange lebt. Das ist ihr ja schon klar, trotzdem sie dieses Elixier hat, dass das nicht normal ist. Dass sie irgendwie immer auf der Flucht ist. Der Identitäts-Wechsel ständig: sie ist Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin gewesen. Und wurde immer bewundert... Sprecherin: Anja Silja O-Ton A. Silja Aber - man wird nicht um seiner selbst willen geliebt! Atmo O-Ton Kränzle Es ist ne ganz tolle Sängerin ! 1. Sprecher Emilia Marty ist ein Geschöpf der kreativen Wissenschaft. Eine Idee des Schriftstellers Karel Capek, der auch das Wort Roboter erfand. Eine künstlerische Kopf-Geburt. Ein Gedankenspiel, ein Experiment. Musik: Die Sache Makropulos, Ouvertüre O-Ton Kränzle Ich -Experiment ? Für die Wissenschaft sicher. Ich bin auch mit meiner Spezial-Erkrankung im Moment einer von dreien in Deutschland, die jetzt genau das hatten, was ich habe. Dieses MDS, Myelodysplastische Syndrom, ist ein Riesen-Überbegriff. In den Überbegriff fallen ganz viele mit der Erkrankung. Aber mit genau meinem Spektrum - also die Bildung der weißen Blutkörperchen, die war gestört. Die gab's nicht mehr. Die wurden ausgebildet ohne Wirkung. 2. Sprecher/Kränzle Das lernt man ja sogar schon in der Grundschule, dass das die Polizei ist: die weißen Blutkörperchen. Es gab welche, aber ohne Kraft. O-Ton Kränzle Und zusammen noch mit einer Knochenaufweichung, die dann dadurch auch stattgefunden hat - gibt es genau drei gerade! Und insofern ist das ein Feld der Forschung wahrscheinlich. Andererseits ist es auch gar nicht so relevant, da zu forschen, weil es so wenige betrifft! Man muss ja auch sagen: Vor 20 Jahren wurde erstmals so eine Stammzellen-Transplantation gemacht, in den 90er Jahren. Wäre ich 20 Jahre früher geboren und hätte die Krankheit dann bekommen, dann hätte man noch überhaupt gar nichts machen können! 1. Sprecher Die Entwicklung auf dem Markt der Ewigkeiten gibt Anlass zur Vermutung, dass es ernst wird. Endlich den Tod überwinden! Einige Zeit richteten sich die Hoffnungen auf die Telomere, die Enden der Chromosomen, die die Zellerneuerung regulieren, mit fortschreitendem Alter aber abgeschnitten werden. Lassen sie sich wieder anstückeln? Ihren Entdeckern wurde 2009 der Nobelpreis verliehen, aber eine Verbindung zwischen der Länge der Enden und dem Alterungsprozess steht mittlerweile infrage. Macht nichts, dann eben eine Stammzellenkur! Pluripotenten Stammzellen wird zugetraut, altersbedingte Schädigungen zu beheben, in jungem Blut sind sie reichlich vorhanden. 1. Sprecherin Wilhelm Schmid, Philosoph Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Wie ihr nun dasteht - und alle mir so wesenlos - wie Schatten ! Tot sein, am Leben sein - kein Unterschied. ... wenn freudlos dumpf der Atem schleicht! O-Ton Kränzle Seit ich wieder singen kann, über ein Jahr nach der Transplantation, seitdem habe ich, Gott sei Dank, keinerlei stimmliche oder in dem Beruf irgendwelche Irritation mehr gehabt, sondern war da ganz, ganz stabil. Und ich bin zwar schon weit in der Schlußtherapie, aber auch diese Therapie ist eben nicht beendet, weil diese beiden verschiedenen DNAs sich reiben. Die beiden DNAs kämpfen jetzt gegeneinander im Körper. Deswegen ist das neue Blut nicht nur mein Freund, sondern im Moment noch mein Feind. 2. Sprecher/Kränzle und 1. Sprecher Die wissen eigentlich viel zu wenig! Manche Dinge wissen die noch gar nicht, warum eigentlich! Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Tot sein, am Leben sein - kein Unterschied. Wenn freudlos dumpf der Atem schleicht. Aber davon wißt ihr nichts, ihr lebt mit leichtem Herzen! Seht einen Sinn in allem! Nähe und Wärme - freut euch! O-Ton Kränzle Man denkt, ich hab's jetzt überstanden mit der Transplantation. Aber nein, das Jahr danach ist das viel schlimmere. 2. Sprecher/Kränzle Das Jahr danach ist das viel schlimmere. O-Ton Kränzle Weil das neue Blut eine andere Verträglichkeit hat mit dem Restkörper und ständig Entzündungen verursacht. Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin drauf Jede Minute ist wertvoll! Toren, ihr seid so glücklich... O-Ton Kränzle Es ging bei mir gleich mit 'ner Leberentzündung los, dann war's die Mundschleimhaut, die sich bis heute noch nicht erholt hat; innen viele offene Stellen. Bei vielen ist es die Haut, die plötzlich reagiert. 2. Sprecher/Kränzle Die Haut, die plötzlich reagiert. O-Ton Kränzle Ganz schlimm ist es, wenn es den Darm oder die Lunge betrifft. Dann ist es meistens auch nicht mehr reparabel. Bei mir war mal der Verdacht auf Darm, da hatte ich siebzehn Kilo (!) abgenommen, ein halbes Jahr nach der Transplantation. Und man hat nichts feststellen können, woran es liegt! 2. Sprecher/Kränzle und 1. Sprecher gleichzeitig, etwas lauter Die wissen eigentlich viel zu wenig! Manche Dinge wissen die noch gar nicht, warum eigentlich! O-Ton Kränzle Ich konnte nicht mehr allein von einem Stuhl aufstehen. Ich konnte die Treppe hier nicht hochgehen. Die haben natürlich sofort drauf getippt, auf diese GVHD, das ist die graft-versus-host-disease, Spender-gegen-Empfänger-Krankheit. Und dann haben sie mich erstmal falsch behandelt. 2. Sprecher/Kränzle Ich dachte, jetzt werde ich zum Pflegefall für den Rest meines Lebens, ich muss irgendwo nur noch liegen. O-Ton Kränzle Und irgendwann, bei der dritten Darmspiegelung, hat man festgestellt: es ist doch nur ein Bakterium, was jeder andere in drei Tagen bekämpft hat, aber mein Körper eben nicht! Ich hab's überlebt. 2. Sprecher/Kränzle Ich hab's überlebt. O-Ton Kränzle Wo ich vorher schon wieder trainiert hab, war ich sieben Monate nach der Transplantation auf dem wirklichen Tiefpunkt., da war ich psychisch am Ende. Insofern ist das mit diesem jungen Blut 'n halb-guter Tausch, weil es nicht ganz auf meinen Körper passt. Das wär wie wenn Sie jetzt ein Dieselauto mal mit Benzin getankt haben. 2. Sprecher/Kränzle und 1. Sprecher Gleichzeitig, bestimmter Die wissen eigentlich viel zu wenig! O-Ton Kränzle Die SACHE ist die, dass dieser ganze Prozess, den ich durchgemacht habe, meinen Körper so viel weiter geschwächt hat, als dass ich - durch das neue Blut - dadurch jetzt jünger und dadurch auch länger leben könnte. Das könnte ich jetzt eher durch meine Hoffnung machen. Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Ach, man soll nicht so lange leben! In mir stockt der ganze Lebensstrom und kann nicht weiter, starrer als der Tod. Es ist gleich vergeblich: Singen oder Schweigen. Und man erkennt, d a s s d i e S e e l e g e s t o r b e n i s t. O-Ton Kränzle Ganz böse hat jemand gesagt: rein biologisch sind Sie zehn Jahre älter nach diesem ganzen Ding, was Sie jetzt durchgemacht haben. An Schocks natürlich auch. Das würde jetzt wieder gegen mein sehr, sehr junges Blut sprechen. Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Hier steht es geschrieben. "Ego, Hieronymus Makropulos." Es ist die Formel meines Vaters - das Elixier. Ich will es nicht mehr! Da, nehmt es euch. O-Ton Kränzle Das ist ja ein hoch-chemischer Bereich. Auch was ich jetzt noch an Mitteln schlucke, ich bin noch lange nicht auf der natürlichen Seite wieder! Es ist kein Vitamin in Sicht. Wenn ich jetzt etwas Gesundheitsförderliches einnehme, ist es im Verhältnis zu den Pillen, die ich einnehme, wie ein Fliegendreck - Nüsse oder so, weil die so kleine Pilzarten haben, jeder Salat hat so und so viele Bakterien. Und wenn ich mal ganz aus der Behandlung raus wäre, dann kann man den Körper auch wieder ganz reinigen. Aber im Moment ist er aus Sicherheitsgründen auf Chemie eingestellt. Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Will es denn niemand? Du bist da, Christa, ich nahm dir den Geliebten. Schön bist du, nimm es nur! Du wirst hoch-berühmt! Singen wirst du wie Emilia Marty ! Nimm 's, Mädchen, nimm 's! Atmo O-Ton Silja Deshalb finde ich das so idiotisch mit diesem ewigen Leben. Gut, wenn alles ganz frisch in einem bleibt. Wenn das möglich ist, das kann ich mir nicht wirklich vorstellen, aber wenn das alles so bliebe, wie das war, wenn man 30 war! Aber so ist es natürlich eine Lustlosigkeit, die irgendwann mal einsetzt. Ich kann es einfach nicht glauben, dass Menschen immer sagen, auch mit 70: man muss in die Zukunft gucken. Warum soll ich in die Zukunft gucken? Was soll die Zukunft mir denn so Tolles bringen? Außer dass man die Enkelkinder aufwachsen sieht und die Kinder noch `ne Weile hat - ja, was soll die denn noch Tolles bringen? Dass ich mich jetzt noch mal irrsinnig verliebe? Also was für ein Käse. 1. Sprecher Die Ewigkeit könnte schrecklich sein, wenn sich herausstellt, dass Menschen nicht nur eine Ecke im Raum brauchen, in die sie sich zuweilen zurückziehen können, sondern auch eine Falte in der Zeit, die ihnen ein Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit vermittelt. Naturgemäß offeriert die Zeitspanne eines Menschen zwischen Geburt und Tod dieses Gefühl. 1. Sprecherin Wilhelm Schmid, Philosoph Atmo O-Ton A. Silja Das ist wirklich Verdrängung - heute ganz extrem: Menschen werden ja künstlich am Leben gehalten und wissen gar nicht, warum. Sie kommen ja schon mit einem Regentag nicht klar. Wie sollen sie dann mit dem ewigen Leben klarkommen? Was machen die? Was fangen die denn damit an? Wenn sie keinen Beruf finden, jetzt schon sehr viele ohne Beruf, aber, selbst wenn wir jetzt alle Berufe hätten, dann müssten wir aufhören mit 55, damit die nächsten dann rankommen können, damit das nicht alles so überaltert. Dann gehen sie joggen oder dann gehen sie kegeln - und das will man dann 50, 60 Jahre lang machen? Es sind immer Wiederholungen. Es kommt nichts Neues! Es kann noch ein großer Erfolg kommen und noch ein größerer - es sind Wiederholungen. Es ist auch nichts, wofür ich nun leben muss! Musik: "Die Sache Makropulos", 3. Akt, Emilia Marty singt 2. Sprecherin Toren, ihr seid so glücklich, weil der Zufall euch günstig ist, rechtzeitig euch sterben lässt! Glaubt an die Menschheit, Größe und Tugend, und liebt! Was wollt ihr denn noch mehr! O-Ton Kränzle Es gibt so viele Kollegen, die darüber schimpfen, was sie alles machen müssen, und wie langweilig das ist. Und ich empfand das immer als riesiges Privileg: sich mit wunderbarer Musik, egal welcher Stilrichtung, beschäftigen zu können, mit meistens guter Literatur. Es gibt auch ganz schwache Libretti, aber dann gibt es wenigstens einen historischen Hintergrund, der wieder interessant ist. Auch mit verschiedenen Sprachen, der Internationalität der Musik, die ja in allen Sprachen komponiert wird - sich mit diesen Dingen beschäftigen zu können - mit Ungarisch oder Russisch und natürlich Französisch, Englisch sowieso, Italienisch - dass ich da eigentlich mich immer wieder neu motivieren kann - und nicht satt bin!! 2. Sprecher/Kränzle Und nicht satt bin!! O-Ton Kränzle Im Gegenteil: es gibt dann so gute Opern! Ich entdecke ja erst nach so und so vielen Jahren die ganzen Geheimnisse in einer Rolle, die mir beim ersten Mal vielleicht noch verborgen geblieben sind, obwohl ich es vielleicht auch schon gut gelöst habe, durchaus auch schon Erfolg hatte. Da kommt vielleicht das Blut meines Bruders durch, der Historiker ist! Lachen Dann muss ich jetzt gerade wieder Tschechisch-Unterricht nehmen. 2. Sprecher/Kränzle Für "Die Sache Makropulos", ja! Ich halte es nicht für einfach! Der Stoff ist nicht unkompliziert, seine Vermittlung auf einer Opernbühne ein Wagnis. O-Ton Kränzle Ich hab's jetzt, Gott sei Dank, noch mal mit einem meiner Lieblings-Regisseure in paar Jahren vor, an einem nicht so großen Haus: der Nicolas Brieger. Da habe ich mich wahnsinnig gefreut und sofort zugesagt, einfach, weil mich dann die SACHE so interessiert! Die Sache Makropulos - kombiniert mit "Aus einem Totenhaus". Und da es die beiden letzten Opern sind von Janacek, ist das ein sehr ambitioniertes Projekt. O-Ton Silja Mit der Sprache auch ! Der hat niemals damit gerechnet, dass Ausländer überhaupt jemals fähig sind, diese Sprache zu lernen. Das hat's bis dahin, Siebziger, nicht gegeben. Es war damals auf Deutsch. Das hat kein Mensch erwartet, dass man das jemals auf Tschechisch lernen würde. 2. Sprecher/Kränzle Und ich bin voller Hoffnung, dass ich durchhalte und die SACHE gut ausgehen möge. 1. Sprecherin Václav Havel, der tschechische Dramatiker und Menschenrechtler, hat einmal gesagt: "Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Sie ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat - ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht." 2. Sprecher / Kränzle Ob es einen Sinn gibt in all dem? In der plötzlichen "Krankheit zum Tode" ? In der Erfahrung der Lebensverlängerung? In dieser ‚Vollbremsung' auf dem Karriere-Höhepunkt ? Atmo Krankenhaus O-Ton Kränzle Meine Psychologen würden sagen, die Frage wäre nicht gut, weil sie eben keine Ursache hat. Es ist ein Reparaturfehler der DNA, die täglich in jedem von uns stattfindet. Und plötzlich ist die Reparatur an einer ganz entscheidenden Stelle mißlungen, und dann potenziert sich dieser Fehler. Es passieren immer wieder Fehler, aber an un-entscheidenden Stellen. Ich würde auch nicht sagen, ich empfinde es als Last oder als Makel. Im Gegenteil. Es gibt so Konzertveranstalter, die sagen: "Müssen wir da den Absatz über die Krankheit, muss der da auch 'rein ?" Die spinnen ja! Das ist natürlich ein absoluter Bestandteil meines Lebens. Den zu verschweigen, um eine viel langweiligere Biographie, wie sie sonst auch bei den anderen Künstlern immer da steht: wer hat wann wo was gesungen - es geht ja nicht langweiliger! Bei diesen Lebensläufen hat jeder schon mal überall alles gesungen; die sind dann so geschönt, dass es immer super aussieht. Atmo/ Musik . Aber - ich sehe es auch nicht als eine Sache, die hat sein müssen. Nein. Absage Die Sache Kränzle Von der Unsterblichkeit in der Musik Feature von Elke Pressler O-Ton Kränzle Das ewige Leben - ist ja Gott sei Dank noch keine Option. Irgendwann wird's mal eine. Aber das wäre ja schlimm! Es sprachen: Stephan Schad, Tilo Werner, Marion Martienzen und die Autorin Technische Realisation und Regie: Elke Pressler Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion im Auftrag des Deutschlandfunks 2018 27 27