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Die Säulen der Werbung

Den Berliner Buchdrucker Ernst Litfaß störte bei einem Besuch in London, dass sämtliche Gebäude mit Plakaten und Zetteln zugeklebt waren. Ähnlich sah es in seiner Heimatstadt aus. Abhilfe und ein gutes Geschäft für Litfaß boten die von ihm entworfenen "Annonciersäulen". Vor 150 Jahren erhielt er die Genehmigung, 150 der nach ihm benannten Säulen aufzustellen. Nur dort sollte fortan geworben und geklebt werden.

Von Klaus Kühnel | 05.12.2004
    Dem Buchdrucker Ernst Litfaß, allhier ansässig in der Adlerstraße 6, wird auf dero persönliches Ersuchen hin gestattet, auf fiskalischem Straßenterrain Anschlagsäulen zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen zu errichten. Alles andere Plakatieren von Zetteln ist künftig verboten. Berlin, am 5. Dezember 1854, genehmigt, gegeben und gezeichnet: Karl Ludwig von Hinckeldey, Polizeidirektor.

    Der so eindeutig bevorzugte und bevorteilte Ernst Theodor Amandus Litfaß war in Berlin eine stadtbekannte Persönlichkeit. Er hatte mit dreißig Jahren das schon gut gehende Druck- und Verlagshaus seines Vaters übernommen, sofort modernste Schnelldruckpressen angeschafft, eine Fabrik zur Herstellung von hölzernen Druckbuchstaben gegründet und als erster den Buntfarbendruck eingeführt.

    Die neueste Sensation aus dem Druckhaus Litfaß in Berlin sind riesige Plakate für Zirkus Renz. Sie haben das in Deutschland noch nie erreichte Format von 6 Metern und 28 Zentimetern in der Höhe und 9 Metern 42 in der Länge, sind vierfarbig – eine bisher unerreichte Meisterleistung der Drucktechnik, belegen sie das kaufmännische wie das erfinderische Genie des Unternehmers.

    Ernst Litfaß war als junger Mann in Brüssel, Paris und London gewesen, um dort führende Druckereien, Lithographenanstalten und Kupferstecher zu besuchen. Von der Themsestadt fühlte er sich abgestoßen. Ein zeitgenössischer Reisebericht verrät den Grund dafür:

    Wer nicht in London war, kann sich keine Idee von der Weise machen, in welcher oft die herrlichen öffentlichen und Privatgebäude mit Anschlagzetteln von allen Farben und Größen oft mehrere Quadratklafter weit überkleistert sind…Es ist unbegreiflich, wie man in einem so eleganten Land solche Sudeleien unbestraft dulden kann.

    Auch in Berlin wurden Werbezettel, Flugblätter, Theaterankündigungen, Tauf-, Hochzeits- und Begräbnisanzeigen an Hauswände, Zäune oder Bäume geklebt. Das wilde Plakatieren störte vor allem Polizeidirektor von Hinckeldey, der nicht nur Ruhe und Ordnung in den Köpfen liebte, sondern auch Sauberkeit auf den Straßen. Er war deshalb begeistert, als ihm Litfaß vorschlug:

    Ich errichte auf eigene Kosten hölzerne Werbesäulen an den belebtesten Punkten der Stadt Berlin. Künftig dürfen nur noch dort Plakate, Werbezettel und sonstige Reklame angeschlagen werden. Das Anbringen von Aushängen an anderen Orten ist nicht gestattet.

    Natürlich hatte Litfaß stillschweigend vorausgesetzt, dass ihm und seinem Druckhaus die alleinige Konzession zur Aufstellung dieser Anschlagsäulen erteilt wird – und hatte sich nicht verrechnet.

    Die Zahl der zu errichtenden Säulen war auf 150 begrenzt. 100 eigens dafür konstruierte Werbesäulen musste Litfaß auf eigene Kosten neu anfertigen lassen, 20 sollten durch hölzerne Umhüllungen von bereits existierenden Straßenwasserpumpen entstehen, weitere 30 durch die Verkleidung öffentlicher Pissoirs, was selbstverständlich den Spott der Berliner erregte, denn dort stank es fürchterlich.

    Die Verschönerung Berlins, ein allgemein gefühltes Bedürfnis,

    hieß es in der Couplet-Einlage eines Berliner Kabaretts. Auch der "Reklamekönig" und "Säulenheilige" von Berlin selbst wurde "bedichtet":

    Mit Lust bleibt das Auge jetzt weilen, was Litfaß gestellt uns hier her!
    Er baut sich ein Denkmal von Säulen! Na, Litfaß, was willst du noch mehr?


    Aber Ernst Litfaß wollte gar nicht noch mehr. Seine Idee zahlte sich aus. Das Geschäft blühte, noch bevor die ersten Säulen errichtet waren. Zur feierlichen Einweihung seiner Erfindung bestellte Litfaß bei dem damals so berühmten wie heute vergessenen Komponisten Kéler Béla sogar eine Musik, die "Annoncir Polka".