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"Die Schnecke marschiert"

Vor 50 Jahren trat das Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher war damals Abgeordnete im bayerischen Landtag. Damals sei die Frau in der Politik nur "eine lästige Zugabe" gewesen. Anträge auf Gleichberechtigung wurden regelmäßig abgelehnt. Erst in den 80er Jahren sei der eigentliche Aufbruch passiert.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 01.07.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn vom rückständigen Frauenbild im Islam die Rede ist, dann gerät allzu schnell in Vergessenheit: auch im christlichen Abendland ist die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen nicht wirklich lange her. Erst nach dem Ersten Weltkrieg 1918 erhielten die Frauen das aktive und passive Wahlrecht und noch viel später, erst im Jahr 1958 trat das Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Zuvor war es einem Ehemann beispielsweise möglich, den Job seiner Frau zu kündigen, wenn ihm ihre Berufstätigkeit nicht passte. Er durfte das Geld seiner Gattin allein verwalten und in allen ehelichen Fragen hatte er das letzte Wort. Heute vor 50 Jahren trat das Gesetz in Kraft, das damit aufräumte oder zumindest damit anfing.

    Am Telefon begrüße ich Hildegard Hamm-Brücher, ehemalige FDP-Politikerin und Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

    Hildegard Hamm-Brücher: Das ist wirklich interessant, das nochmals zu hören.

    Heckmann: Guten Morgen, Frau Hamm-Brücher.

    Hamm-Brücher: Guten Morgen.

    Heckmann: Frau Hamm-Brücher, im Jahre 1958 waren Sie Abgeordnete des bayerischen Landtags. Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, wie war das als Frau damals?

    Hamm-Brücher: Na ja, es war genauso, wie das in den Reden zum Ausdruck kam. Die Frau war eine lästige Zugabe, und alles, was sie wagte zu sagen, wurde niedergemacht, und alle meine Anträge, nun endlich auch Frauen als Schuldirektorin, als Schulrätin, überhaupt in den öffentlichen Dienst zu nehmen, dort zu befördern, alle Anträge wurden abgelehnt. Nie wurde eine Frau berücksichtigt, auch in den Parteien nicht, auch in den Fraktionen nicht, höchstens mal eine Konzessionsfrau. Also es war einfach schier unglaublich, und wir haben ja ungefähr fünf- oder sechsmal nur mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts dann eine andere Mehrheit auch fürs Eherecht, Familienrecht, Scheidungsrecht und all die Dinge bekommen. Es war wirklich schlimmer, es war beinahe mittelalterlich noch mal wieder.

    Heckmann: Und wenn Sie an Ihr privates Umfeld denken? Ihr Mann hatte die Verfügungsgewalt über Ihr Bankkonto.

    Hamm-Brücher: Nein. Das hat er nie versucht.

    Heckmann: Dann hat er das nicht in Anspruch genommen. - Und es wurde als Akt der Auflehnung quasi angesehen, dass Sie darauf bestanden hatten, nach Ihrer Heirat einen Doppelnamen anzunehmen.

    Hamm-Brücher: Ja. Das war allerdings ein Kampf von über einem Jahr beim Verwaltungsgericht, denn für Frauen im öffentlichen Leben gab es das nicht. Nur für Schauspielerinnen gab es einen Doppelnamen. Aber dann habe ich es schließlich doch noch geschafft.

    Heckmann: Was haben Sie empfunden, als dieses Gesetz, das jetzt heute vor 50 Jahren in Kraft getreten ist, in der Tat dann Gesetz wurde?

    Hamm-Brücher: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man 50 Jahre später eine so wirklich weitgehende Gleichstellung und Ebenbürtigkeit von Frauen erreichen könnte. Aber man musste ja kämpfen um jeden Schritt, und man konnte sich nicht hinsetzen und jammern.

    Heckmann: Was hat sich konkret verändert?

    Hamm-Brücher: Einen Antrag nach dem anderen habe ich gestellt und immer wieder. Immer wieder habe ich mir blaue Flecken geholt bei der Abstimmung, aber es ist dann eigentlich erst in den 80er Jahren der eigentliche Aufbruch passiert.

    Heckmann: Inwiefern?

    Hamm-Brücher: Seitdem sind es Riesenschritte gewesen.

    Heckmann: In den 80er Jahren erst. Weshalb erst so spät? Woran machen Sie das fest?

    Hamm-Brücher: Bis die erste Ministerin oder als ich Staatssekretärin wurde im Schulministerium in Hessen, da rauschte der deutsche Blätterwald. Heute dreht sich keiner mehr um, wenn eine Frau Staatssekretärin oder Ministerin wird. Das ist eben wunderbar!

    Heckmann: Wenn Sie an die heutige Situation denken, Frau Hamm-Brücher, und vielleicht auch an Ihre eigene Familie und Ihren Freundeskreis, würden Sie dann sagen, dass die Gleichberechtigung heute in vollem Umfang erzielt worden ist?

    Hamm-Brücher: Na ja, sie muss immer wieder realisiert werden. Aber es muss nicht mehr so darum gekämpft werden und vor allen Dingen ist ganz wichtig, dass die Männer langsam anfangen, sich zu emanzipieren. Das gehört nämlich auch dazu, dass die Männer sich emanzipieren, nicht nur die Frauen. Das geht jetzt los, und das finde ich ganz wichtig, dass die Männer nicht auf gnädiger Weise uns Rechte gewähren, sondern dass sie selber sagen: Ja, wir müssen auch unseren Teil mittragen an Beruf und Karriere der Frau.

    Heckmann: In der Tat ist es ja so, Frau Hamm-Brücher, dass Mädchen derzeit eine bessere Ausbildung vorweisen können, schneller studieren, mehr Auslandsaufenthalte und Praktika vorweisen können. Die Mehrheit unter Hauptschülern sind Jungen und auch bei Sitzenbleibern und Schulabbrechern haben die Jungen die Nase vorn sozusagen. Ist es also insofern Zeit, jetzt auch Gleichberechtigung von der anderen Seite her zu denken?

    Hamm-Brücher: Ja, natürlich. Jetzt, glaube ich, muss man mal den Jungs helfen, dass es voran kommt. - Jedenfalls finde ich, dass die Mädchen gezeigt haben, dass sie das wirklich alles gut schaffen, und die Männer sehen ein, dass das nur in Partnerschaft zu machen ist. Ich bin also ein Anhänger der Partnerschaft zwischen Mann und Frau und nicht dem ewigen Gerede, wie man das machen kann. Ich finde überhaupt: Zu meiner Zeit hat sich noch nie jemand den Kopf zerbrochen, wie ich das mit zwei Kindern und Politik eigentlich mache. Heute gibt es alle möglichen Hilfen und so weiter, aber damals in den 50er und 60er Jahren, als ich meine Kinder bekam, hat sich niemand darum gekümmert, ob und wie ich das eigentlich schaffe.

    Heckmann: Wobei das Thema Krippenausbau ja jetzt erst in den letzten Jahren an Aktualität gewonnen hat.

    Hamm-Brücher: Ja, gut. Wir haben ja damals schon dafür gekämpft. Auch für Ganztagsschulen haben wir gekämpft und auch für Schulen, dass die Kinder nicht aussortiert werden, aus sozialschwachen Familien. Das hat sich alles nicht durchgesetzt. Das ist 40 Jahre jetzt verspätet, langsam setzt sich das durch. Aber immerhin: Die Schnecke marschiert.

    Heckmann: Ein wichtiger Aspekt ist die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen. Es ist immer noch so, dass Frauen weniger Geld verdienen, 22 Prozent weniger als Männer.

    Hamm-Brücher: Ja, aber nur in freien Berufen. In allen verbeamteten Berufen und allen öffentlichen Berufen kriegen Frauen dasselbe. Nur bei Managergehältern, oder Arbeiterinnen bekommen weniger Stundenlohn, weil man behauptet, das sei eben arbeitsmäßig so. Aber das werden wir auch noch schaffen!

    Heckmann: In der Tat, das ist auch ein großer Bereich, um den es da geht, nämlich den Privatsektor. Und Frauen in der Führung von Unternehmen sind ja auch rar gesät.

    Hamm-Brücher: Sowie die Frauen noch besser vorgebildet sind, je mehr, je schneller wird das gehen. Bisher war es ja so: Eine ungelernte Arbeiterin konnte man so schlecht bezahlen. Aber wenn eine Frau dann eben auch einen guten Schulabschluss hat und eine gute Ausbildung, dann kann man es nicht mehr machen. Also das ist alles eine Frage der Fähigkeit der Frauen und der Bereitschaft, das Gleiche zu leisten wie der Mann, und dann schaffen wir das auch noch.

    Heckmann: Frauen verdienen weniger als Männer. Frauen in Führung von Unternehmen und an Universitäten sind sehr rar gesät oder teilweise gar nicht vorhanden.

    Hamm-Brücher: An Universitäten geht es im Augenblick ganz rasant voran. In den letzten drei, vier Jahren werden sehr viele Frauen berufen und habilitiert, was ja die Voraussetzung ist. Und es gibt auch viele Hilfen. Es ist an den Universitäten noch relativ am langsamsten, und im Management ist es noch und Banken und so weiter. Aber zum Beispiel in der Evangelischen Kirche gibt es ja Bischöfinnen und Vorsitzende von Synoden und alles, wo man es nie für möglich gehalten hätte.

    Heckmann: Sie würden also nicht sagen, dass die Emanzipation nur auf dem Papier steht?

    Hamm-Brücher: Nein, jetzt nicht mehr. Die ersten 30 Jahre war es unmöglich. Niemand hat wirklich, auch die Frauen haben nicht gekämpft. Aber als sie dann in den 70er, 80er Jahren zu kämpfen angefangen haben, da ging es ziemlich viel schneller.

    Heckmann: Heute vor 50 Jahren trat das Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau in Kraft. Wir sprachen hier im Deutschlandfunk mit Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin im Auswärtigen Amt außer Diensten. Frau Hamm-Brücher, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Hamm-Brücher: Danke schön.