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Die Schnitzlers
Eine schrecklich interessante Familie

Was für eine Familie, diese Schnitzlers! Ärzte, Künstler, Selbstmörder! Die Journalistin Jutta Jacobi hat die Geschichte des Clans um den berühmten österreichischen Dichter aufgeschrieben. Entstanden ist ein facettenreiches Familienporträt mit spannenden Einblicken in die Zeit der Wiener Moderne.

Von Katharina Hamberger | 09.02.2015
    Arthur Schnitzler, geboren 1862 in Wien und dort auch gestorben im Oktober 1931, ist sicher das berühmteste Mitglied seiner Familie. Doch in der Geschichte, die Jutta Jacobi erzählt, ist er nicht der Mittelpunkt, sondern nur ein Teil. Die Autorin hat keine Biografie geschrieben, sondern das Leben dieser Familie verfolgt, über die Generationen hinweg, angefangen bei Johann Schnitzler und seinen ersten Erfahrungen in Wien. Geboren wurde er als Sohn eines armen Tischlers im Westen Ungarns:
    "Johann ist knapp 23 Jahre alt und Student der Medizin. Nach einigen Semestern in Pest will er sein Studium in Wien fortsetzen, dem Mekka aller Mediziner."
    Schreibt Autorin Jutta Jacobi. Sie begibt sich mit den Schnitzlers auf eine Reise durch die Zeit. Eine jüdische Familie, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zur Wiener Prominenz gehört. Dorthin muss Johann Schnitzler aber erst einmal kommen. In Wien arbeitet er sich hoch, baut eine Poliklinik mit auf, schreibt für ein Medizinfachblatt und ist mitten drin, als sich in Wien eine moderne Medizin durchsetzt. Johann Schnitzler erlebt aber auch den wiederaufkeimenden Antisemitismus, den die Autorin unter anderem mit dem Börsencrash in Wien von 1873 erklärt:
    "Einen Sündenbock musste man finden: zum Beispiel den jüdischen Finanzkapitalismus."
    Johann Schnitzler erlebt den wachsenden Antisemitismus auch in der Poliklinik, in der er Professor ist. Jutta Jacobi webt immer wieder aktuelle Ereignisse ein – der Leser erfährt so nicht nur, wer die Schnitzlers sind, sondern auch, was ihre Zeit geprägt hat. Börsencrash, Weltausstellung, zwei Weltkriege, die Erfindung des Fahrrads. Das schildert Jacobi aber so nebenbei, dass es nicht zu einer anstrengenden Geschichtsstunde wird, und obwohl sie die Geschichte der Schnitzlers chronologisch entfaltet, liest sich das nicht als langweilige Aufreihung von Ereignissen. Im Gegenteil: Die Autorin spielt mit ganz unterschiedlichen Erzähl-Formen. So steigt sie manchmal selbst in die Geschichte ein. Zum Beispiel als sie Briefe von Louise Schnitzler, der Mutter von Arthur, im Deutschen Literaturarchiv in Marbach ausfindig macht.
    Kreativer Umgang der Autorin mit ihren Quellen
    "Ich möchte Louises Stimme hören, ihre eigenen Worte lesen – wenn schon ihr Klavierspiel für immer verklungen ist."
    Schreibt Jacobi – und dann taucht sie in Louises Welt ein.
    "Halt Finger weg!"
    Da scheint die Autorin eine Stimme zu hören:
    "Ist der Brief etwa an dich? Wer hat dir erlaubt, ihn zu lesen?"
    Jutta Jacobi fühlt sich ertappt. Sie bittet in einem fiktiven Dialog um Louises Erlaubnis:
    "Ich sehe, Sie schreiben grade dem Herrn Gemahl. Darf ich Ihnen dabei über die Schulter schauen? Vielleicht lesen, was Sie geschrieben haben? (...) Na, schauen Sie, Ihr großer Sohn, der da draußen herumtollt – ganz entzückende Knöpfstiefelchen trägt er übrigens heute – der wird einmal berühmt!"
    Es beginnt ein Gespräch mit Louise Schnitzler, das damit endet, dass Jacobi aus den Briefen an Johann Schnitzler zitiert. Was die Schnitzlers bewegt, erfährt die Autorin aber zum größten Teil aus dem Nachlass von Arthur Schnitzler. Er ist der älteste Sohn von Johann und soll, wie der Vater, Arzt werden. Schon in jungen Jahren zeigt sich aber sein Drang zu schreiben:
    "Wenn ich nur so sehr Künstler wäre, als ich Künstlernatur bin. Aber in ein paar Jahren werde ich vielleicht auf dem Punkt stehen, wo ich einsehe, dass ich nicht zu diesem, nicht zu jenem tauge – und meine Zukunft wird sein: ein mittelmäßiger Arzt zu sein!"
    Zitiert die Autorin den jungen Arthur. Erst nach dem Tod des Vaters traut er sich, Dichter zu werden. Und das sogar noch erfolgreich. Seine Berühmtheit wird an vielen Stellen deutlich. So gehören zu seinen Weggefährten unter anderem Hugo von Hofmannsthal oder Stefan Zweig. Die Autorin versucht über Briefe und Tagebucheinträge immer wieder, den Persönlichkeiten der einzelnen Personen nachzuspüren. Am schärfsten gelingt ihr das bei Arthur Schnitzler, einem Vertreter der literarischen Wiener Moderne. Sie beschreibt den jungen Mann, der ohne Frauen nicht leben kann:
    "Sag ich mir die Wahrheit: Das Liebste wär mir ein Harem; und ich möchte weiter gar nicht gestört sein. Es ist zu bezweifeln, dass ich zur Ehe geboren."
    Eine Zeitreise mit einer Familie - bis ins hier und heute
    Er wird dann doch noch zu einem monogam lebenden und seine Kinder liebenden Ehemann, und doch zerbricht seine Ehe am Ende mit viel Streit und Zank. Seine Werke spielen nur am Rande eine Rolle – und zwar immer dann, wenn sie einen besonderen Einfluss auf das Leben der Schnitzlers haben. So zum Beispiel der "Leutnant Gustl" – ein innerer Monolog, der den Ehrenkodex des Militärs infrage stellt – und Schnitzler seinen eigenen Rang beim Militär kostet. Oder der Reigen – ein Drama, das Jacobi zufolge der Grund für den "Theaterskandal des Jahrhunderts" ist und von Antisemiten für ihre Parolen genutzt wird. Ihr Buch geht auch nach Arthurs Tod 1931 weiter – Jacobi erzählt die Geschichte seiner Kinder, etwa das kurze und doch ausführlich beschriebene Leben der Lily Schnitzler, die sich nach der Liebesheirat mit einem italienischen Faschisten erschießt. So bleibt der Fokus letztlich bei Heinrich Schnitzler, dem älteren Sohn von Arthur, der sich für die Schauspielerei entscheidet und nach Amerika auswandert. Das ist die Konsequenz aus den politischen Entwicklungen dieser Zeit. Er ist gerade erwachsen, als die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht an sich reißen:
    "Seit einigen Tagen sind Hakenkreuz, Hitlerbild und die Parolen des Nationalsozialismus in Wien allgegenwärtig, Hitler hat seine Heldenplatzrede gehalten, die Massen haben applaudiert, wie es in der Inszenierung vorgesehen war (...)."
    Das Buch endet im Heute. Bei Peter und Michael Schnitzler, Arthurs Enkeln. Sie leben in Los Angeles und Wien. Michael immer noch in der Sternwartestraße – in dem Haus der Schnitzlers in der österreichischen Hauptstadt. Die Brüder pflegen einen regen Kontakt, wie die Autorin bei ihrem Besuch erfährt:
    "Sie skypen fast täglich, und zwar auf Englisch. Briefe schreiben sie sich nicht mehr."
    Jutta Jacobi: "Die Schnitzlers. Eine Familiengeschichte", 304 Seiten, Residenz-Verlag, 24,90 Euro