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Die Schreckensherrschaft der Roten Khmer

Pol Pot führte Kambodscha mit gnadenloser Brutalität. Der Anführer der Roten Khmer trieb das Land in einen grausamen Steinzeitkommunismus, der rund 1,7 Millionen Menschenleben forderte. Vor 30 Jahren, am 17. April 1975, zog er mit den Roten Khmer in die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh ein.

Von Hildegard Wenner | 17.04.2005
    "Frühmorgens kam die erste Vorhut, 300 Mann, die sich als erste Rote Khmer feiern lassen."

    Christoph Maria Fröder, ARD-Fernsehkorrespondent. Er gehörte zu den letzten Ausländern, die sich noch in Kambodscha aufhielten, als am 17. April 1975 die Roten Khmer die Hauptstadt Phnom Penh einnahmen:

    "Nachmittags kamen die eigentlichen Kampfeinheiten, sehr diszipliniert. Sie wurden von der Bevölkerung begrüßt."

    Die meisten Ausländer waren da schon evakuiert. Zurück in Deutschland berichtet Fröder im Mai 1975:

    "Man hatte fast den Eindruck, dass hier eine Verbrüderungsszene stattfand, dass die Stadt echt befreit worden sei. Die Kämpfe hatten bereits am Vortag aufgehört."

    - Befreit von Lon Nol, einem korrupten Militär, der sich 1970 an die Macht geputscht hatte.
    Kambodscha war seit Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst französisches Protektorat, dann Kolonie, bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Während des Vietnamkrieges versuchte Prinz Norodom Sihanouk Kambodscha auf neutralem Kurs zu halten. Ohne Erfolg. Die Amerikaner weiteten ihre Bombardements auf Kambodscha aus, um die kommunistischen Vietminh zu treffen, die die Grenzregion als Rückzugsbasis nutzten.

    Nach seinem Sturz 1970 verbündete sich Prinz Sihanouk im chinesischen Exil mit den kambodschanischen Kommunisten, gegen die er vorher noch selbst vorgegangen war und die er Khmers Rouges, Rote Khmer, getauft hatte. Als Drahtzieher seines Sturzes sah der Prinz die USA, denn Lon Nol, der Putschist, war deutlich amerika-freundlicher eingestellt, wurde von den USA gestützt, schließlich fallen gelassen. Letztlich stärkte dies die oppositionellen Roten Khmer, die ihre Offensive auf Phnom Penh am 1. Januar 1975 begannen.

    "Am Nachmittag hat sich die Situation sehr schnell geändert, die Roten Khmer haben bekannt gegeben über Radio, dass die gesamte Hauptstadt Phnom Penh evakuiert werden müsse."

    Die Stadt musste geräumt werden, denn dort wohnten Beamten, Makler, Anwälte, Bankiers, die Intelligenz des Landes – in den Augen der Roten Kmehr eine parasitäre Schicht die auf Kosten der bäuerlichen Bevölkerung lebte:

    Rath Samoeurn, einer der Studentenführer der 50er Jahre:

    "Die Städte entleeren, die Bourgeoisie zerstören heißt die Zementierung der Macht des Volkes erleichtern. Das muss unser Ziel sein."

    Die Khmer-Soldaten, meist jung und vom Land, trieben rund 2 Millionen Menschen aus Phnom Penh, ohne Gnade:

    "Kranke, die teilweise noch ihre Binden hatten, durchblutet, von ihren Bahren stadtauswärts getragen wurden, andere wiederum versuchten auf allen vieren zu krabbeln, weil sie keine Verwandten mehr hatten und nicht mehr gehen konnten, das war ein erschütterndes Bild auch menschlicher Grausamkeit, wie ich es auch nicht erwartet hätte."

    Phnom Penh verwandelte sich in einer Geisterstadt. Winfried Scharlau, WDR-Korrespondent berichtete zwei Monate später aus Hongkong.

    "Gerüchte sind ganz sicherlich bislang nur die Massenexekutionen, Hunger, Cholera, es gibt viele Berichte von Flüchtlingen, bin mir nicht sicher, ob das Überprüfte sauber recherchierte Nachrichten ist."

    Eine neue Gesellschaft wollte Pol Pot erschaffen, der Führer der Roten Khmer, Bruder Nummer eins genannt, ein Bauernsohn, der in Paris studiert hatte.

    Wer im Verdacht stand, Gegner der Revolution, Anhänger der alten Ordnung zu sein wurde sofort exekutiert, brutal erschlagen, mit Äxten und Hacken. Im Prinzip traf es jeden mit höherer Schulbildung, wie z.B. Beamte, Offiziere und Lehrer. Eine andere Methode war "Vernichtung durch Arbeit", auf den Reisfeldern, den "killing fields".
    Pol Pot führte Kambodscha zurück in die Steinzeit. Geld, Zeitungen und Privatbesitz wurden abgeschafft, Bibliotheken, Maschinen und Laboreinrichtungen zerstört. Es gab keinen Schulunterricht mehr und keinerlei medizinische Versorgung für die Bevölkerung.
    Rund 1,7 Millionen Kambodschaner wurden umgebracht oder starben an Unterernährung, Seuchen, Überarbeitung, Folter. Ein Viertel der Bevölkerung.

    1979 marschierten die Vietnamesen in Kambodscha ein und beendeten die Schreckensherrschaft der Roten Kmehr. Pol Pot und einer seiner Mitstreiter wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Der "Bruder Nummer eins" starb 1998 an einem Herzschlag. Viele der Täter leben noch im Land, unbehelligt, wahrscheinlich werden sie nicht mehr zur Rechenschaft gezogen.