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Die Schwabenkinder
In frischen Kuhfladen die Füße gewärmt

Über Jahrhunderte haben sich Kinder armer Familien aus den Höhenlagen der Alpen als Hüte-Kinder in Oberschwaben und im Allgäu verdingt. Die "Schwabenkinder", das war nicht nur ein Kinofilm, sondern über drei bis vier Jahrhunderte Wirklichkeit. Ein EU-Projekt macht diese vielfach vergessene Geschichte nun erlebbar. Mehrere Fernwanderwege führen auf den Routen der Schwabenkinder aus den Höhen der Alpen nach Bregenz am Bodensee.

Von Eva Firzlaff | 15.03.2015
    Auf fast 1.600 Metern Höhe liegt einsam die Alpe Batzen, schroffe Zweieinhalbtausender-Gipfel bilden das Panorama. Am Weg plätschert die Bregenzer Ache.
    Das Haus, über 400 Jahre alt und ein typisches Bergbauernhaus, wurde zum Museum. Wer von Lech nach Schröcken wandert, kommt an der Batzenalpe vorbei. Auch die Schwabenkinder sind hier langgegangen, erzählt Edwin, zeitig im März.
    "Bei jedem Wetter sind die da durchgezogen, ob das Schnee war oder Regen. So im März sind die fort von daheim und sind dann im Herbst wiedergekommen."
    Bis 1800 war das Haus übers ganze Jahr bewohnt, dann nur noch im Sommer. Ein flacher Holzbau, rechts der Stall für die Kühe, in der Mitte die Sennküche, hier wurde für die Familie gekocht und der Käse gemacht. Und links zwei kleine Stuben. Hier hat die Großfamilie geschlafen und gewohnt.
    "Es sind da immer Oma, Opa, Mama, Papa und mindestens drei bis vier Kinder. Und die mussten alle hier hausen. Geschlafen haben da entweder die Großeltern oder die Eltern mit dem Kleinsten. Die sind gekommen Anfang Juni mit Kind und Kegel, mit allem, was die haben, kommen die herauf. Und dann muss das Kleinste auch mit. Die anderen, die hier keinen Platz zum Schlafen hatten - alle ins Heu."
    Geschichte der Schwabenkinder lebendig gemacht
    Die Batzenalpe vermittelt einen Eindruck von den damaligen Lebensbedingungen in den Bergen. Man konnte so durchkommen, aber, sagt Elmar Bereuter, "Wenn irgendeine Kleinigkeit dazwischen gekommen ist, dass im Stall eine Kuh verkälbert hat oder es mit einer Sau nicht hinhaut, wie bei mir eben im Roman, dann kommt das ganze Gefüge durcheinander, dann muss man die Kinder wegbekommt von zu Hause, dass ein paar Esser weniger am Tisch sitzen."
    Elmar Bereuter hat den Roman "Schwabenkinder - die Geschichte des Kaspanaze" geschrieben, auch die Wanderführer für die Schwabenkinderwege, und dafür in den Dörfern herum gefragt. "Meist hat es geheißen: Bei uns hat es das nicht gegeben, nein, das waren immer nur ganz vereinzelte. Aber in der Realität war es dann ganz anders. Das Ganze war gerade so am Verschwinden, in der Vergessenheit zu verschwinden. Und ich habe gerade noch den letzten Zipfel erwischt, dass ich noch Schwabenkinder sprechen konnte, die das selber noch miterlebt haben, und zwar Kinder aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum.“
    Die Schwabenkinderwege sind nicht einheitlich gekennzeichnet. Die Kinder hatten auch keine Wegweiser. Vorhandene Wanderwege wurden einbezogen, wenn es ging. Denn Elmar hat vor allem nach den uralten Wegen gesucht, wie er in einem fast zwei Meter tief eingeschnittenen Hohlweg erzählt.
    "Wir befinden uns jetzt hier in der sogenannten Rossgasse, das ist der uralte Übergang von Wolfurt in den Bregenzer Wald, der kürzeste Übergang. Man sieht auch hier, wie tief eingeschnitten der Weg ist durch die jahrhundertelange Benutzung." – "Woher weißt du, dass das die alten Wege sind?" – "In Vorarlberg ist es einfach. Es gibt eine Katasterkarte von 1857, wo die ganzen alten Wege eingetragen sind. Und es gibt natürlich in jeder Gemeinde die Überlieferungen beziehungsweise die Karten, wo die alten Wege verlaufen sind." – "Dann brauchst du nur alte und neue Karte nebeneinander legen und weißt es?" – "Ja, vereinfacht gesagt, ja."
    Immer den kürzesten Weg, nie durchs Tal
    Schließlich ist er alle abgelaufen.
    "Ja, Meter für Meter. Ich habe mal versucht, Teile mit dem Mountainbike abzufahren. Aber das funktioniert nicht. Man übersieht so viele Kleinigkeiten am Weg. Habe ich mich dann eben entschlossen, jeden Weg zu Fuß zu gehen." Und nach einem Blick auf das GPS-Gerät: "Bis jetzt bin ich gelaufen: 5.298 Kilometer.“
    Vom Tannberg runter nach Bregenz laufen wir etwa 75 Kilometer. Derweil wächst die Bregenzer Ache vom steinigen Bergbach zum recht breiten Fluss. Stürzt sich als Wasserfall in die Tiefe, strudelt über große Steine, gurgelt durch enge Felsen. Erst in den 1930-er Jahren kam die Straße hoch zum Tannberg. Vorher gab es nur den Weg entlang der Ache. So wie hier begleitet der Wanderweg gelegentlich den Fluss. Oft sind aber auch Bergrücken zu überwinden. Auf engen Wegen, zum Teil mit bemoosten Steinmäuerchen, aber auch über Stock und Stein.
    "Man hat früher immer den kürzesten Weg genommen, man ist nie im Tal gegangen. Die Talwege waren hauptsächlich für die Fuhrleute. Aber wenn man zu Fuß unterwegs war, hat man den kürzesten Weg genommen und der ist über die Berge rüber gegangen. Und die Leute waren auch konditionell ganz anders beieinander als heute, die waren das gewohnt, es hat kein Auto gegeben. Die waren auf ihre Füße angewiesen und haben bis zu 60 Kilometer am Tag zurückgelegt."
    Auf den Märkten wurden die Kinder verteilt
    Im Bahnhof Bezau schnauft eine Lok Baujahr 1902. Im gleichen Jahr wurde die Bahnlinie fertig von Bregenz nach Bezau, erschloss den Bregenzer Wald und verkürzte auch den Kindern ihren Weg.
    "Ich weiß von meinem Vater, da hatten sie das Recht, in der Gemeinde betteln zu gehen, damit sie das Fahrgeld bezahlen konnten bis Bregenz. Also vom Hinterwald sind sie zu Fuß nach Bezau gegangen und dann mit dem Bähnle nach Bregenz, dort hat man geschaut, wie man nach Lindau kommt oder auf die Märkte in Ravensburg oder Friedrichshafen. Und dort hat man die Kinder verteilt. Ich kann das nur erzählen von meinem Vater, der war auch ein Schwabenkind. Der Vater ist im Krieg gefallen und im Ersten Weltkrieg gab es keine Witwenrente, oder kaum. Und da hat die Mutter das halt machen müssen. Und er hat es auch eingesehen. Beim ersten Mal war er zehn Jahre alt, beim letzten Mal 14 Jahre. Also von zehn bis 14 war er draußen, den ganzen Sommer lang."
    Wobei Sommer eben bedeutete: von Josephi Ende März bis Martini im November. Jakob Bobleter vom Verein Wäldlerbähnle erzählt auch vom Verdienst der Kinder. Zwei Mal anzuziehen, Arbeitskluft und Sonntagsanzug, genannt das doppelte Häs.
    "Es war Brauch, im Herbst, wenn sie heimgehen, bekommen die Buben komplett, also Schuhe, Socken, Hosen, komplette Bekleidung mit Hut. Das war der Lohn für den Sommer. Drei Jahre lang hat das mein Vater bekommen. Und im vierten Jahre, das war 1924, hat die Mutter gesagt: Jetzt haben wir Häs genug, jetzt möchten wir Geld. Dann hat man im Frühjahr mit dem Bauern ausgemacht, was der Bub im Herbst bekommen soll. Und im Herbst hat der Bauer das Geld ausgezahlt, es war aber leider nichts mehr wert. Sie haben gerade noch die Schifffahrt bezahlen können, nach Bregenz. Da war die Inflation. Also der Bauer hat einfach gesagt: Im Frühling haben wir ausgemacht, so viel Mark. Und im Herbst hat er so viel Mark ausbezahlt."
    Das Wäldlerbähnle fährt nicht mehr nach Bregenz. Nachdem 1980 ein Felssturz die Trasse in der Achenschlucht zerstört hatte, wurde bald die ganze Bahn stillgelegt. Der Verein konnte gerade noch die letzten Schienen-Kilometer zwischen Bezau und Schwarzenberg retten und lässt nun historische Wagen und Lokomotiven fahren.
    Auch viele Erwachsene zogen in die Ferne
    In einem der Waggons enthält ein umlaufendes Schriftband die Namen aller Bezauer Schwabenkinder.
    "Schätzungsweise sind es 250, von denen man weiß. Der Waggon ist immer Gesprächsstoff bei unseren Fahrgästen. Die meisten kommen ja aus dem Schwabenland, aus der Bodensee-Region und wissen kaum etwas davon. So, wir werden immer wieder gefragt nach den Schwabenkindern."
    In Schwarzenberg staunen wir über gleich mehrere stattliche Gasthöfe, große alte Höfe rings um die Kirche. Nicht nur wir staunen.
    "Ich werde hier auch von Gästen oft gefragt: Ja, war das so arm? Also, wenn sie die Höfe im Dorfkern sehen, so große Gasthäuser und dann liest man hier von dieser Armut. Also, dass sie das nicht ganz verstehen. Und da muss ich sage: Das stimmt, im Bregenzer Wald hat es immer auch Reiche gegeben. Man hat auch hier - speziell in Schwarzenberg - viel Handel betrieben. Wir haben Käsehändler, die sogar in Mailand Villen besessen haben. Die haben meist im Dorfkern gelebt und außerhalb waren die Armen. Wir haben zum Beispiel in Schwarzenberg im Dorfkern nur ein einziges Schwabenkind gefunden, obwohl es generell in Schwarzenberg natürlich auch viele gegeben hat."
    Im Angelika-Kaufmann-Museum erzählt Bernadette Rüscher, dass auch viele Erwachsene aus den Bergen zur Arbeit in die Ferne zogen. Wir hatten schon vorher in Au an der Kirche eine Tafel gesehen, die an Barock-Baumeister erinnert. "1650, dieser Michael Beer, der in Au eine Zunft gegründet hat und seine Lehrlinge, Gesellen und Meister in den Wintermonaten in diesen alten kleinen Bauernhäuschen ausgebildet hat und ganze Trupps zusammengestellt hat, die dann auch im Frühjahr - wie die Schwabenkinder - losgezogen sind und eben Barock-Kirchen gebaut haben. Die haben teilweise Weltkulturerbe hinterlassen mit der Stiftsbibliothek St. Gallen, haben bedeutende Kirchen gebaut wie Birnau, Weingarten, Kempten, Einsiedeln."
    Der Pfarrer ruft zu Schuhspenden auf
    Das Museum zeigt - neben einer Schwabenkinder-Ausstellung - Gemälde von Angelika Kaufmann. Im 18. Jahrhundert als Wunderkind gefeiert, findet man ihre Werke in Dresden, Weimar, in der Eremitage, in den Uffizien.
    "Was halt heute so fasziniert: ein Mädchen, dass eine Frau die Möglichkeit hatte, Karriere zu machen, und so angesehen war, zum Beispiel bei Goethe auch. Goethe war ja sehr innig mit ihr befreundet. Sie war 15 Jahre in London, hat die Königin von England porträtiert. Und wenn man im Königshaus gemalt hat, dann war man in der ganz oberen Maler-Liga zu Hause, ganz klar."
    Sie wurde zwar in der Schweiz geboren, fühlte sich jedoch sehr mit Schwarzenberg, woher ihre Familie stammte, verbunden. Das große Altarbild in der Kirche hat sie gemalt.
    Jeden Morgen, wenn ich meine Wanderstiefel schnüre, denke ich daran, was die Kinder damals an den Füßen hatten. Durch den Schnee mit pitschnassen Schuhen, die wohl auch mal zu klein oder zu groß waren.
    "Meine Mutter hat mir erzählt, dass der Pfarrer am Sonntag von der Kanzel dazu aufgerufen hat, für einen Buben zu spenden, damit man dem ein Paar Schuhe kaufen kann, damit der ins Schwabenland kann. Weil er mit den Schuhen, die hier üblich sind - nämlich die Holzschuhe - den Weg nicht antreten hätte können."
    Alle Geschichten selbst erlebt
    Elmar Bereuter stammt aus dem Bregenzer Wald, auch seine Eltern waren Schwabengänger. Viele kleine Geschichten, die er im Roman "Die Schwabenkinder" beschreibt, hat er selbst, hat sein Vater erlebt.
    "Also im Roman ist eigentlich kaum etwas erfunden. Die Geschichten haben sich alle so zugetragen, ich habe das nur in der Figur des Kaspanaze verdichtet. Das sind auch Geschichten von meinem Vater und eigene."
    Wie die frischen Kuhfladen, in denen Kaspanaze seine frostigen nackten Füße wärmt. Auch Elmar trug ab Mai keine Schuhe.
    "Faustregel war: In Monaten ohne "R" barfuß. Und wenn es kalt war, dann hat man gewartet, bis eine Kuh den Schwanz gehoben hat und hat sich dann in den Kuhfladen gestellt. Oder hat die Füße (Entschuldigung für den Ausdruck) in die Pisse gehalten, das war dann auch warm."
    Die kleine Eiszeit im 17. Jahrhundert führte in den Alpen zu Hungersnöten. Viele Familien haben ihre Kinder weggeschickt oder sind gleich zusammen ausgewandert. An einer steilen Koppel erklärt Elmar eine weitere Ursache der Armut in den Bergen. "Wir haben hier oben zwei Höfe und hier zwei Ställe, dass das für eine Familie jeweils nicht reicht, kann man sich vorstellen."
    Eine Folge des Erbrechts. "In Oberschwaben hat es das Anerben-Recht gegeben, also der älteste oder der jüngste Sohn hat den Hof übernommen. Und in den ganzen Gebirgsgegenden galt meistens die Realteilung. Das heißt, ein Stück wurde so lange geteilt unter den Kindern, bis nichts mehr übrig war."
    Ein krasses Beispiel findet sich im Wanderführer. Ein Ausschnitt aus einer Flurkarte. "Aus der Ur-Karte von 1857. Das ist das Grundstück bei mir zu Hause neben dem elterlichen Hof. Und da waren auf 1,7 Hektar über 20 Besitzer eingetragen. Das kleinste Grundstück hatte lediglich 35 Quadratmeter."
    Kindermärkte in Friedrichshafen und Bregenz
    Zwischen Schwarzenberg und Alberschwende liegt der Lorenapass. Von oben, vom Brüggele geht der Blick zurück auf die schroffen schneebedeckten Gipfel, wo wir unsere Tour begonnen haben. Und vor uns liegt der Bodensee. Er wirkt so nahe und doch sind es noch fünf Stunden Fußmarsch bis zum Bregenzer Hafen. Überhaupt Bregenz. Wie müssen sich die Kinder hier vorgekommen sein?!
    "Ja, das war für die natürlich sonderbar. Die kleinen Häuser zu Hause und hier plötzlich die großen Gebäude. Plötzlich kommen hier Kutschen und vornehm gekleidete Leute. Sie selbst in Lumpen und Loden."
    Manche Straßenzüge sehen heute noch aus, wie auf den uralten Fotos. "Wir stehen jetzt vor dem alten Hafengebäude. Das ist so erhalten, wie es noch die Schwabenkinder gesehen haben." – "Das sieht ein bisschen aus wie ein Bahnhof." – "Das ist ja auch ein Bahnhof, der Schiffsbahnhof und inzwischen auch für die Bahn. Und hier ist alles zusammen gekommen, egal woher die Kinder gekommen sind, ob aus Südtirol, Nordtirol, der Schweiz, Liechtenstein, Vorarlberg, Montafon, Bregenzer Wald. Und von hier ging es entweder weiter mit dem Schiff nach Friedrichshafen auf den dortigen Kindermarkt oder zum großen Markt in Ravensburg."
    Auf dem Schiff nach Friedrichshafen. Aus dem Dunst am Südufer ragen die hohen Berge, während auf dem weiten blauen Wasser eine silberne Sonnenstraße glitzert.
    "Das war für die natürlich das Meer. Es gibt die Beschreibung von Regina Lampert, wie sie in Bregenz auf das Schiff geht, dann kommen sie noch in einen Sturm. Und sie denkt, jetzt geht die Welt unter."
    Es gab auch Kindermärkte in Tettnang, Friedrichshafen, Wangen, doch der in Ravensburg war im 19. Jahrhundert der größte. In und um Ravensburg wuchs die Industrie, viele Knechte und Mägde gingen dort arbeiten und fehlten auf den Höfen. Als Ersatz holten sich die Bauern Schwabenkinder. Stadtführer Michael Borrasch zeigt auf einen kleinen Platz in der Bachstraße. "Das war früher das Areal, auf dem die sogenannten Schwabenkinder in Ravensburg vermittelt wurden an die Bauern der Umgebung, die an den Samstagen regelmäßig in die Stadt kamen zum Wochenmarkt und dann nach dem Marktgeschehen einkehrten. Und wir stehen hier auch neben dem einstigen Gasthaus "Krone".
    Barock-Kirche vermittelte Gefühl der Herrlichkeit des Himmels
    Oben an der Hausecke eine Skulptur des Konstanzer Künstlers Peter Lenk. "Der gerne satirisch, ironisch arbeitet in seinen Skulpturen, die in vielen Städten in der Bodensee-Region zu finden sind."
    Auf den Schultern eines schmächtigen Jungen - etwa zehn oder zwölf Jahre alt - hockt ein giftig guckender, Stock schwingender Bauer und auf dem Bauern noch ein grinsender Pfarrer. Polemisch, wie immer bei Peter Lenk. Er spielt darauf an, dass die Kirche die Verhältnisse gedeckt hat. Andererseits waren es Pfarrer, die mit einem Verein für bessere Arbeitsbedingungen, für Arbeitsverträge überhaupt gesorgt haben.
    In Ravensburg wurde ein ganzes Altstadt-Karree, sieben Häuser zum Teil aus dem 13. Jahrhundert, zum Museum Humpis Quartier. Die Fernhandelsfamilie Humpis kam mit der Großen Ravensburger Handelsgesellschaft im Mittelalter zu großem Geld. Handel und Geld prägten die Stadt, wie sie die Kinder gesehen haben und wie wir sie auch heute noch sehen. Denn die Armut nach dem 30-jährigen Krieg bewahrte die historischen Bauten.
    In Weingarten bei Ravensburg treffen sich seit Jahrhunderten am Freitag nach Christi Himmelfahrt bis zu 3.000 Reiter zum Blut-Ritt. Auch jetzt noch. Der Besuch dieser Wallfahrt war für die Schwabenkinder der einzige Festtag, wurde später sogar in den Arbeitsverträgen festgehalten. Die Basilika St. Martin gilt als größte Barock-Kirche Deutschlands. In deren Weite und Pracht müssen sich die Kinder winzig vorgekommen sein. Pfarrer Ekkehard Schmid: "Sie kamen aus diesen niederen Hütten, diesen kleinen Häuschen und dann hier in diese große Kirche, die damals vollkommen überdimensioniert war. Und sie sollten natürlich ein Gefühl für Himmel, für Herrlichkeit bekommen. Man kann es auch schön nachvollziehen an der Eingangstür hier. Die ist ja so groß wie eine normale Haustür. Das ist auch bewusste Barock-Architektur. Das heißt: kein riesiges Portal, sondern Sie machen eigentlich nur eine Wohnzimmertür auf und haben dann - weil die Orgelempore in der Vorhalle liegt und nicht wie üblich in den Kirchenraum hinein ragt - machen Sie die kleine Wohnzimmertüre auf und haben über sich sofort den großen Raumeindruck. Das war eben auch barocke Theatralik. Man wollte hier wirklich dieses Beeindruckende."
    30 Museen in fünf Ländern
    Letzte Station ist das Bauernhausmuseum in Wolfegg. Mit etlichen historischen Bauernhäusern, Höfen, Werkstätten aus Oberschwaben und dem Allgäu. Stefan Zimmermann. "Diese Häuser sind aus der ganzen Region hierher versetzt worden. Das ist kein Dorf, das hier alt geworden ist, sondern das sind alles bedrohte Gebäude, die man abgetragen hat und die sozusagen hier in Wolfegg ihr Schutzreservat bei uns gefunden haben." Bau- und Wirtschaftsgeschichte der vergangenen 300 Jahre, die Zeit auch der Schwabenkinder. Ihnen ist eine eigene große Ausstellung gewidmet.
    Woher kommen die Kinder und warum, der Weg der Kinder, der Kindermarkt, ihr Alltag auf den Höfen. "Die Kinder mussten um vier Uhr, halb Fünf raus, sich ums Vieh kümmern. Und in der Erntezeit ging es dann wirklich bis nach Sonnenuntergang. Also Zwölf-, 14-Stunden-Tage. Bei Wind und Wetter, auch das. Dass die Kinder auch hier im Herbst im Schnee gestanden haben - barfuß - das erzählen viele Kinder.
    "Es gibt auch genügend Berichte von Vorarlberger und Tiroler Kindern, die sagen, wir haben die Schwaben das erste halbe Jahr nicht verstanden. Mit dem Dialekt hier. Und ich glaub, den schwäbischen Bauern ging es wahrscheinlich umgekehrt auch so. Bis dahin gehend, dass die Kinder wirklich Prügel eingesteckt haben vom Bauern, weil der dachte, die sind widerspenstig und machen einfach nicht das, was sie sollen. Und die haben ihn einfach nicht verstanden."
    "Wir sprechen über einen Zeitraum von über 300 Jahren. Wir haben den ersten schriftlichen Beleg von Schwabenkindern aus dem Jahr 1625. Und das bis 1950. Also mehrere 10.000 Kinder waren das ganz sicherlich. Das ist ja ein EU-Projekt mit inzwischen 30 Museen in fünf Ländern. Also bis runter nach Südtirol beschäftigen sich ganz viele Einrichtungen mit den Schwabenkindern. Wir haben hier die größte Ausstellung und auch der Themenwanderweg, der die einzelnen Einrichtungen verbindet, endet hier bei uns in Wolfegg."