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Die Schwester aller Schwestern

Für die einen ist sie die größte Humanistin des 20. Jahrhunderts, für andere der Inbegriff frömmlerischer Einfalt: Mutter Teresa, die 1979 sogar den Friedensnobelpreis bekam. Nun würde sie 100 Jahre alt - über ihr genaues Geburtsdatum wird jedoch gestritten.

Von Wolf Oschlies | 26.08.2010
    "Ich bin von Herzen dankbar, nach 52 Jahren wieder hier zu sein. Auch wenn Skopje jetzt anders und völlig neu ist, ist es doch mein Skopje, wo ich meine Kindheit verlebte und schöne Zeiten mit meiner Familie verbrachte."

    So liebevoll – und fehlerfrei in der serbischen Sprache ihrer Kindheit und Jugend – erinnerte sich Mutter Teresa 1980 ans makedonische Skopje, wo sie am 26. August 1910 unter dem bürgerlichen Namen Gonxha Bojaxhiu geboren wurde. Das alte Skopje ging 1963 in einem schrecklichen Erdbeben unter, das die Stadt zu neun Zehnteln zerstörte, darunter auch Mutter Teresas engste Umgebung, das Vlaško maalo, das Vlachen-Viertel. Vlachen oder Aromunen, wie der deutsche Balkanologe Gustav Weigand sie 1895 benannte, gehörten Gonxha Bojaxhiu und ihre wohlhabende Kaufmannsfamilie: Vater Nikola, der die Aromunen in Skopjes Stadtverwaltung vertrat, Mutter Drona, Schwester Aga und Bruder Lazar - eine Gemeinschaft in Geborgenheit:

    "Ich weiß noch, dass ich eine sehr fröhliche Kindheit hatte, getragen von der Liebe meiner gut christlichen Eltern."

    Fröhlich? Gonxha Bojaxhiu war körperbehindert, wurde mit einem Klumpfuß geboren, blieb stets ein kränkliches Kind, das alljährlich lange Wochen in Sanatorien verbrachte. Dennoch besuchte sie eine katholische Grundschule und ein elitäres Mädchengymnasium, war zudem Mitglied in Literaturzirkeln und Wandervereinen. Skopje war nicht mehr das osmanische Grenznest ihres Geburtsjahres, es kam 1912 zu Serbien und mit Serbien 1918 zu Jugoslawien. Junge Menschen konnten hier eigene Wege gehen, auch wenn nur wenige ihre Familien so verblüfften wie Gonxha Bojaxhiu. Ihre Cousine Pina Markovska erinnerte sich:

    "Wir alle waren von ihrem Entschluss, Nonne zu werden, sehr erstaunt, aber ihre Familie hinderte sie nicht."

    Bis auf Bruder Lazar, das schwarze Schaf der Familie. Er hatte früh mit Mussolinis Faschisten im italienisch besetzten Albanien kollaboriert und er befürchtete nun Rückschläge für seine Offizierskarriere bei den erzkonservativen und frauenfeindlichen Albanern durch Schwester Gonxhas Eigensinn. Die aber reiste am 5. September 1928 nach Dublin ab, um dort in den Loreto-Orden einzutreten und später in Indien tätig zu sein. Mit päpstlicher Erlaubnis verließ sie den Orden 1948, und gründete ihre eigene Gemeinschaft, die Missionarinnen der Nächstenliebe.

    Damit hatte sie viel Erfolg und noch mehr Publicity und bekam am 10. Dezember 1979 den Friedensnobelpreis. Mit echter oder gespielter Bescheidenheit kommentierte die, seit 1951 indische Staatsbürgerin, diese Auszeichnung:

    "Ich habe den Preis für die Armen angenommen. Hätte ich nicht mit ihnen und für sie gearbeitet, hätte ich keinen Nobelpreis bekommen."

    Wofür konkret den Preis? Für Werke aufopfernder Humanität, sagen Heerscharen von Bewunderern in fantasievollen Büchern und süßlichen Traktätchen. Mutter Teresa webte am eigenen roten Läufer mit:

    "Seit Anfang unseres schönen Werks haben wir über 40.000 Menschen von den Straßen geholt."

    Dagegen meinten die harschen Teresa-Kritiker, die bigotte Heuchlerin habe niemanden gerettet, nur Spenden-Millionen aufgehäuft. Am 5. September 1997 starb sie, bereits 2003 sprach der Vatikan sie selig. Eine Heilige wird sie wohl nie werden, Objekt eines degoutanten Streits ist sie seit Jahren: Albanien verlangt von Indien ihre Gebeine, um die Albanerin Mutter Teresa im Heimatland zu begraben. Ihre angebliche albanische Abstammung ist eine lachhafte Erfindung, wie der albanische Journalist Bexhet Baraliu bezeugen kann: Er bat 1979 in Oslo die just gekürte Nobelpreisträgerin um ein paar Worte auf Albanisch, was Mutter Teresa gern tat – nachdem Baraliu ihr einen Satz aufgeschrieben und ihn mit ihr fünfmal geübt hatte.