Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die selbsternannten Heil-Gurus der 50er-Jahre

Die Risiken und die Wonnen der Manipulierbarkeit in einer Sekte schildert Paul Thomas Anderson in seinem Spielfilm "The Master". Angelehnt ist die Hauptfigur an den Scientology-Begründer Ron Hubbard.

Von Josef Schnelle | 16.02.2013
    Diese Mischung aus Religion, Unternehmensberatung, Psychoanalyse und Scharlatanerie, die man gemeinhin "Scientology" nennt, konnte wohl nur im Amerika der 50er-Jahre entstehen, als Tausende junge Männer vom Krieg traumatisiert und ohne Hoffnung ins Land zurückkehrten. Freddie ist einer von ihnen und er ist der Wut und dem Alkohol verfallen, als er auf einen nicht näher charakterisierten modernen Guru trifft, dessen Figur Lancaster Dodd aber sehr offensichtlich von dem Scientology-Gründer Lafayette Ronald Hubbard inspiriert ist. Freddie schleicht sich auf die Yacht des offensichtlich schon wohlhabenden Allroundtalents Dodd, der schon von einer illustren Entourage finanzkräftiger Anhänger umgeben ist. Die erste Begegnung des kleinen Losers mit dem großen Scharlatan.

    - "Was machen sie?"
    - "Ich mache viele, viele Dinge. Ich bin Schriftsteller und Arzt und Atomphysiker und theoretischer Philosoph, aber vor allem bin ich ein Mann. Ein hoffnungslos wissbegieriger Mann. So wie sie."

    Die Figur Lancaster Dodds ist nicht allein auf Ron Hubbard begründet. Anfang der 50er-Jahre war Amerika voll von diesen selbsternannten Führungsfiguren in eine neue Zeit. Paul Thomas Anderson destilliert daraus die von Phillip Seymour Hofmann kongenial und Oscar-kompatibel destillierte Figur eines schillernden Mannes, der mühelos Förderkreise reicher Damen und opulente Spendendinner erschafft und seine Fans mit billigen Therapiespielchen unterhält. Hypnosesitzungen gehören auch dazu.

    - "Ich glaube, ich war ein Mann."
    – "Lachen ist gut."
    – "Was ich gerade erlebt habe, war ich das etwa?"
    – "Was waren sie Teuerste?"
    – "Dieser Mann in der Rüstung. War ich das?"
    – "Ja, das war ihr Wesen. Unser Wesen lebt durch alle Zeiten weiter. Es existiert in vielen Hüllen durch die Zeiten hinweg. Das ist ihre jetzige Hülle, in der sie jetzt existieren: 1950."

    An Freddie hat er einen besonderen Narren gefressen. Doch der sieht sich bald als treuer Leibwächter und überträgt seine chronische Paranoia mit gefährlicher Tendenz zur Gewalttätigkeit auf seinen "Meister". Im engeren Umkreis von Dodd – auch das ein Hinweis auf Scientology-Gründer Hubbard – gibt es jedoch auch schon Kritiker. Insbesondere sein Sohn wendet sich - wie auch Hubbards Sohn im wirklichen Leben - explizit von ihm ab und warnt Freddie vor allzu gläubiger Abhängigkeit.

    - "Der erfindet das alles, überlegt sich irgendwelchen Stuss. Merkst du das gar nicht. Ich kann einschlafen und wieder aufwachen, ohne irgendwas zu versäumen."
    – "Willst Du mir irgendetwas sagen?"
    – "Nein, Sir."
    – "Das solltest du aber. Solltest etwas sagen. Du sollst etwas tun. Sag: Fick dich. Sei ein Mann!"

    Paul Thomas Anderson hat mit "The Master" vor allem ein grandioses Schauspielerstück über Risiken und die Wonnen der Manipulierbarkeit abgeliefert, das von großen Darstellerleistungen namentlich von Phillip Seymour Hoffman und Joaquim Phoenix befeuert wird. Der eine gefällt sich als Puppenspieler seiner Geschöpfe. Der andere suhlt sich in lustvoller Unterwerfung.

    Man denkt unwillkürlich an Orson Welles und andere Großmagier des Kinos. Jeder Auftritt, jede Szene findet auf großer Bühne statt. Und auch das Personal der fehlgeleiteten Bewunderer mag sich auf der heutigen Medienbühne wiedererkennen. Was passiert, wenn die Religion die Bühne der Massenmedien betritt? Die evangelikalen Fernsehkirchen vor allem in Südamerika machen gerade vor, wie man damit eine ganze Welt aus den Angeln heben kann.

    "The Master" ist trotzdem gar kein Film, den man sozialkritisch oder sozialanalytisch sehen kann. Immer bleibt die Magie des Kinos im Vordergrund, die für jede Taschenspielerei zu haben ist. In einer Szene stellt Dodd mit großem Pomp wieder einmal ein Buch vor. Francis hat ihn fast durchschaut. Die Fangemeinde bebt erwartungsfroh. Aber irgendwie ist auch schon der Deutungshorizont überschritten. Angst, Hoffnung, Humbug. Das ist doch schon der ganze Bogen, den das Kino bespielt.

    - "Sind die Reisen in die Vergangenheit in meinem Buch für sie beängstigend?"
    – "Beängstigend? Nein."
    – "Was ängstigt sie bei dem Gedanken einer Reise in die Vergangenheit?"
    – "Ich hab keine Angst."
    – "Haben sie vielleicht Angst, wir könnten entdecken, dass unsere Vergangenheit umgeformt wurde? Pervertiert. Und dass das, was wir über diese Welt zu wissen denken ausgemachter Humbug ist."