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Die Sendlinger Mordweihnacht

Noch heute erinnert ein besonders Schauspiel im Münchner Stadtteil Sendling alljährlich zu Weihnachten an die so genannte Sendlinger Mordweihnacht: Alte Männer mit wallenden Bärten und speckigen Lederhosen, Fahnenträger mit gold besticktem Tuch pilgern zur Sendlinger Kirche. Vor allem die bayerischen Gebirgsschützen gedenken damit ihrer vor 300 Jahren gefallenen Kameraden. In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1705 hatten sie ihren spektakulärsten, aber eben auch verlustreichsten Einsatz: Mehr als 1000 von ihnen fielen im Kampf gegen die österreichische Besatzungsmacht. Heute gilt der niedergeschlagene Aufstand als die Wurzel bayerischer Identität und bayerischen Selbstverständnisses.

Von Wolf-Sören Treusch | 25.12.2005
    Die "Gotzinger Trommel" ruft in der Heiligen Nacht im Jahr 1705 zum Sturm auf München.

    " Lieber bayerisch stea'm als kaiserlich verdea'm. "

    Bayern zu Anfang des 18. Jahrhunderts: ein kleines Land ohne Herrscher inmitten einer kriegerischen Welt. Nach dem Tod des kinderlosen Karls des Zweiten, König von Spanien streiten sich die beiden großen Mächte der Zeit um das Erbe. Frankreich unter Ludwig dem Vierzehnten und Österreich unter den Habsburger Kaisern Leopold und Josef. Max Emanuel, Kurfürst von Bayern und einst gefeierter Held in den Türkenkriegen, schlägt sich auf die Seite der Franzosen und verliert 1704 eine entscheidende Schlacht gegen die alliierten Österreicher, Briten und Holländer. Bayern wird erst teilweise, später ganz besetzt. Nach dem Willen des österreichischen Kaisers soll es als Waffe im spanischen Erbfolgekrieg dienen. Im Klartext heißt das: Ausbeutung ohne jede Rücksichtnahme.

    Fremde Truppen ziehen durch das Land, morden, vergewaltigen, plündern, brandschatzen und erpressen die Bevölkerung.

    " Wir sind alle nur Untertanen des Kaisers, und der Kaiser bestimmt über Leben und Tod."

    Die Steuern und Zwangsabgaben für die Besatzungsmächte werden unerträglich. Als das Land dann 1705 auch noch gezwungen wird, Rekruten für die kaiserliche Armee zu stellen, ist es mit der Duldsamkeit der Bayern vorbei.

    " Es muss doch auch mal ein Ende haben mit dem Blutrausch der Soldateska. Aber eher hält ein Hund das Fastengebot, als dass die Administration ein Pardon gebe."

    Anfang Oktober 1705 werden achtzehn Rekruten, die zur Armee abgeführt werden sollen, auf offener Straße befreit. Im November bricht der allgemeine Aufstand aus. Immer mehr Offiziere, Adlige, Beamte und Handwerker beteiligen sich daran. In Braunau am Inn rufen die Rebellen Mitte Dezember die so genannte "Gemein der Bürger und Bauern" aus, das erste Vier-Stände-Parlament und damit das erste demokratische Gebilde des neuzeitlichen Europas.

    Am Mittag des 24. Dezember 1705 beginnen die Aufständischen ihren Marsch auf München. Doch der Angriff ist schlecht vorbereitet, die Rebellen sind uneins: statt der erwarteten 20.000 stoßen nur etwa 3000 Männer gen München vor, zudem sind sie völlig unzureichend bewaffnet. Die kaiserlichen Besatzer haben von den Plänen erfahren, sie haben ihre Truppen in und um München herum verstärkt.

    " So schlimme Träume kann kein Mensch haben wie das war, was ich dann miterleben musste. Gott sei meiner armen Seele gnädig."

    In den Morgenstunden des 25. Dezember werden die Aufständischen von zwei Seiten in die Zange genommen. Sie sind den Kugeln wie Wild bei einer fürstlichen Treibjagd hilflos ausgeliefert. In wilder Flucht schlagen sich die Überlebenden nach Sendling durch, heute ein Stadtteil von München. Die Kaiserlichen hetzen hinterher und ertränken den Aufstand im Blutbad.

    " In den gefalteten Händen den Rosenkranz, so knieten unsere Männer. Es war ein kaiserlicher Offizier, der den Befehl ‚Feuer' gab. Und es waren kaiserliche Soldaten, die in den wehrlosen Haufen hineinsprengten und mit dem Gemetzel begannen."

    Noch heute spricht man von der Sendlinger Mordweihnacht.

    " Wer noch konnte, der ist geflohen in die Häuser und in die Kirche. Aber selbst dahin wurden wir verfolgt, und zuletzt gar welche auf den Friedhof in ihre Einzelteile zerhackt, unter dem Gelächter der Husaren."

    " S'ist gut, dass es wenigstens den Schmied von Kochel gegeben hat. Der hat's den Österreichern gezeigt."

    Der Aufstand dient der Legendenbildung. Den Schmied von Kochel, der die blau-weiße Rautenfahne Bayerns bis zum Heldentod verteidigt haben soll, hat es nie gegeben.
    Die Sendlinger Mordweihnacht beendete die Rebellion. Mehr als 1000 Angreifer starben, die überlebenden Rädelsführer werden geköpft und gevierteilt. Anschließend schlägt die kaiserliche Verwaltung jedoch einen moderateren Kurs ein: die Steuerforderungen werden gesenkt und die Zwangsrekrutierungen eingestellt. Der Volksaufstand der Bayern hatte sich doch noch gelohnt.