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Die Seuche im Griff?

Veterinärmedizin.- Im August 2011 traten in Nordrhein-Westfalen die ersten Fälle einer mysteriösen Tierseuche auf. Das wahre Ausmaß wurde erst Monate später sichtbar, als Hunderte Lämmer und Kälber mit Fehlbildungen geboren wurden. Wütet das Schmallenberg-Virus heute noch immer in den Ställen?

Von Marieke Degen | 12.12.2012
    Die Lammsaison 2012 werden Schafzüchter wohl nie vergessen. Die Lämmchen kamen reihenweise mit schweren Fehlbildungen zur Welt.

    "Die mit dem Schmallenberg-Virus befallen sind, die sind natürlich - die Lämmer, die kommen meistens nicht alleine, die sind verformt, die Beine sind verwinkelt angewachsen, der Halswirbel ist verdreht, der ganze Rücken ist verwachsen also."

    Dieses zum Beispiel hat einen Zwilling gehabt, der verkrüppelt war -

    Dem Schafzüchter Ingo Jäger blieb dann nur noch eines.

    "Wenn ich das selber mache, dann mache ich's mit dem Messer – betäub sie und mit dem Messer abstechen. Ja – ich weiß nicht, einen Tierarzt rufen – man muss die Kosten ja auch gering halten. Es ist so. Und ich denk mal, die Lämmer, die kriegen da auch nicht viel von mit, und für die ist das eine Erlösung."

    Seit mehr als einem Jahr grassiert das Schmallenberg-Virus unter den Wiederkäuern in Deutschland. Die Schafe hat es am schlimmsten erwischt,
    sagt Martin Beer, Virologe am Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems.

    "Je nachdem, in welchem Trächtigkeitszustand das Schaf war und zu welchem Zeitpunkt die Infektion war, der Höhepunkt ist immer so September, Oktober gewesen, waren bis zu 50 Prozent eines Geburtsjahrgangs geschädigt. Das ist schon erheblich."

    Ganz anders bei den Rindern:

    "Da sprechen wir von ein, zwei Prozent, vielleicht sogar weniger, die dann letztendlich Missbildungen hatten. Und der Schaden kommt da eher durch tatsächlich akute Infektion, Fieber, Milchrückgang, das kann auch mal Durchfall sein, das ist aber nach ein, zwei, drei Wochen in so einem Betrieb wieder vorbei und deshalb kein massiver Schaden."

    Vor einem Jahr haben Martin Beer und seine Kollegen das Virus in einer Blutprobe aus Schmallenberg in Nordrhein-Westfalen entdeckt. Inzwischen hat sich die Seuche in ganz Deutschland ausgebreitet.

    "Wir hatten Bereiche, die 2012 noch kaum infiziert waren, zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern und auch Bayern, und diese Bereiche sind jetzt in den letzten Monaten massiv betroffen gewesen, wir sehen auch, da kommen jetzt die neuen, gemeldeten Fälle her, ganz besonders aus Bayern und Südbayern, und da wird es durchaus nochmal spannend im Bezug auf die Geburten im nächsten Jahr."

    Das Schmallenberg-Virus wird durch winzige Stechmücken, durch Gnitzen übertragen. Eine infizierte Gnitze hat es möglicherweise auch nach Europa eingeschleppt. Was die Forscher aber noch nicht wissen: Wie lange sich das Virus in den Gnitzen hält. Wenn sie das Virus weiter in sich tragen, könnte es immer wieder zu neuen Ausbrüchen kommen.

    "Also im Moment sind ja sehr, sehr viele, in manchen Bereichen fast alle Wiederkäuer geschützt, weil sie schonmal infiziert waren. Die geben diesen Schutz zumindest für ein paar Monate auch an die Nachkommen weiter, über sogenannte kolostrale Antikörper. Wenn diese Antikörper dann verbraucht sind, dann sind diese Jungtiere nicht mehr geschützt und können sich wieder infizieren, und die einzige Möglichkeit, so eine Infektion zu verhindern, ist dann zukünftig ein Impfstoff."

    Martin Beer und seine Kollegen haben schon einen Impfstoff entwickelt, genau wie einige Pharmafirmen. Wenn alles gut geht, könnte im nächsten Jahr eine Vakzine auf dem Markt sein. Hierzulande würden dann aber nur noch einzelne Tiere geimpft.

    "Das können Jungtiere sein, die nachwachsen. Das können Exporttiere sein, wo vielleicht ein Schutz verlangt wird, aber das Virus war so schnell, dass es zumindest in unseren Breiten kein Stoppen der Infektion jetzt ist, weil die Infektion ist in einem Jahr im Grunde von dem Ausbreitungsherd bis hoch nach Norwegen und auch nach Südeuropa durchgelaufen."

    Das Schmallenberg-Virus – mittlerweile hat es für Martin Beer ein bisschen an Schrecken verloren.

    "Wir können besser damit umgehen, wir wissen, was solche Viren machen können, auf der andren Seite zeigt es uns nach der Blauzungenkrankheit zum zweiten Mal, dass solche vormals völlig exotischen Erreger sich auch bei uns etablieren können."

    Auch der Schafzüchter Ingo Jäger ist sich sicher: Die nächste Seuche kommt bestimmt.

    "Also ich denk mal, so wie das aussieht, werden wir uns wohl an solche Geschichten gewöhnen müssen, und durch den Klimawandel bekommen wir hier Mückenarten oder Ungeziefer, was wir vorher nicht gekannt haben. Ich meine, in Afrika, Asien, kennen sie das – aber wir hier nicht."